Estlands Premierminister Kaja Kallas
AP/Sergei Grits
Putins „eiserne“ Gegnerin

Sieg für Kallas’ Reformpartei in Estland

Die proeuropäische Reformpartei von Premierministerin Kaja Kallas hat in Estland die Parlamentswahl am Sonntag deutlich vor der rechtsextremen EKRE gewonnen. Kallas konnte mit klarer Haltung zum russischen Angriffskrieg ihr Profil schärfen. EKRE spricht nun von Wahlbetrug.

Kallas’ wirtschaftsliberale Reformpartei erhielt am Sonntag knapp 32 Prozent der Stimmen, damit holte sie 37 von 101 Sitzen im Riigikoku, dem Parlament in Tallinn – drei mehr als bei der vorherigen Wahl 2019. Mit über 31.000 Stimmen in ihrem Wahlkreis stellte Kallas gar einen Rekord auf – mehr hatte seit der Unabhängigkeit Estlands von der Sowjetunion 1991 noch niemand bekommen. Die rechtsextreme Partei EKRE kam mit 16,1 Prozent auf Platz zwei.

EKRE-Chef Martin Helme reagierte auf das Ergebnis mit Betrugsvorwürfen. Seiner Partei sei der Wahlsieg „gestohlen“ worden. Während der Auszählung der Papierwahlzettel war seine Partei vorne gelegen, bei der Auszählung der elektronischen Stimmen habe sich das Ergebnis jedoch gedreht. Gut 47 Prozent der Wählerinnen und Wähler gaben bei dieser Wahl ihre Stimmen per Briefwahl oder online ab.

„Estlands eiserne Lady“

Kallas steht seit 2021 – als erste Frau in Estlands Geschichte – an der Regierungsspitze und gilt als eine der stärksten Unterstützerinnen der Ukraine in Europa. Ihr unbeirrter Anti-Kreml-Kurs brachte ihr in Medien Beinamen wie „Europas Kassandra“, „Estlands eiserne Lady“ und auch „Frontfrau des Widerstands gegen Russland“ ein.

Während andere europäische Staatschefs Anfang 2022 noch auf Russland einzureden versuchten, setzte Kallas bereits erste Hebel für Waffenlieferungen an die Ukraine in Gang. Die Gefahr eines Krieges sei „real“, sagte sie fast einen Monat vor Kriegsbeginn. Durch ihren klaren Kurs machte sie einige politische und kommunikative Fehltritte während der Pandemie wieder wett.

Grafik zur Wahl in Estland
Grafik: APA/ORF

Sollte es Kallas nun wieder gelingen, eine Koalition zu bilden, würde das den proeuropäischen Kurs des baltischen Landes und Russland-Nachbarn festigen. Kallas sagte, ihre Partei sei nach der Wahl in einer starken Position, um eine Koalitionsregierung zu bilden, die weiterhin Druck auf Russland ausüben werde.

„Wir … müssen in unsere Sicherheit investieren, unser aggressiver Nachbar ist nicht verschwunden und wird auch nicht verschwinden, also müssen wir damit arbeiten“, sagte sie Reportern in einem Hotel im Zentrum Tallins, wo am Sonntag die Wahlparty stattfand.

Politiker Martin Helme
AP/Pavel Golovkin
EKRE-Chef Helme ist von Wahlbetrug überzeugt

Koalitionspartner noch offen

Unter Kallas’ Führung hat Estland mehr als ein Prozent seiner Wirtschaftsleistung als Militärhilfe an die Ukraine geleistet und mehr als 60.000 Kriegsflüchtlinge aufgenommen. Estland teilt eine fast 300 Kilometer lange Grenze mit Russland. Da etwa ein Viertel der Bewohner russischstämmig ist, wurden durch den Krieg heikle gesellschaftliche Debatten neu angefacht – zum Beispiel über Schulunterricht in russischer Sprache und den Umgang mit der eigenen Geschichte und Erinnerungskultur.

Parlamentswahl in Estland

Die Reformpartei von Ministerpräsidentin Kaja Kallas hat die Parlamentswahl in Estland gewonnen. Nach vollständiger Auszählung der Stimmen kam die moderat konservative Reformpartei auf 31,6 Prozent, wie aus den in der Nacht auf Montag veröffentlichten Ergebnissen hervorging.

Alle anderen Parteien „mit Ausnahme von EKRE und vielleicht des Zentrums“ hätten sich für die gleiche Linie mit Blick auf die Ukraine entschieden. „Ich denke daher, dass wir hier eine gemeinsame Basis finden können“, so Kallas mit Blick auf die anstehenden Koalitionsverhandlungen.

Überraschungserfolg für Estland 200

Bisher führte die 45-Jährige eine Dreierkoalition mit den Sozialdemokraten und der konservativen Partei Isamaa an. Die beiden Koalitionspartner gehörten aber zu den Wahlverlierern, dennoch ginge sich eine Mehrheit erneut aus. Ob Kallas die Koalition fortführen oder sich neue Partner suchen wird, ließ sie vorerst offen. Eine Entscheidung darüber soll in Kürze getroffen werden, sagte sie am Montag nach einem Vorstandstreffen ihrer Partei. Bei diesem seien Vor- und Nachteile der verschiedenen Optionen ausführlich diskutiert worden.

Ein Überraschungssieger war am Sonntag die liberale Partei Estland 200. Sie errang aus dem Stand 14 Mandate und zieht nun erstmals ins Parlament ein. Auch Estland 200 könnte ein möglicher Partner für Kallas sein.

EKRE punktete mit Existenzsorgen

Eine Koalition zwischen EKRE und Reformpartei gilt jedenfalls als unwahrscheinlich, zu weit entfernt voneinander sind die Ansichten. EKRE vertritt eine EU-feindliche Politik und war nach der Wahn vor vier Jahren gemeinsam mit der Zentrumspartei und Isamaa an der Regierung beteiligt. EKRE-Politiker sorgten damals mit sexistischen, rassistischen und den Nationalsozialismus relativierenden Aussagen für Skandale.

Später kursierten Berichte, wonach der Chef der russischen Wagner-Gruppe, Jewgeni Prigoschin, 2019 mit Hilfe von Influencer-Netzwerken versucht haben soll, zugunsten der Partei in den estnischen Wahlkampf einzugreifen. Unklar ist, inwieweit EKRE-Politiker darüber Bescheid wussten. Das starke Abschneiden von EKRE bei der jetzigen Wahl spiegelte vor allem die Besorgnis über die steigenden Lebenshaltungskosten in dem Land mit seinen 1,3 Millionen Einwohnern wider.