Satellitenbild des Nord Stream Leaks
APA/AFP/Imagesat International (isi)
Kiew zu „Nord Stream“

Keine Informationen über „Sabotagegruppe“

Nach Medienberichten, wonach eine proukrainische Gruppe hinter der Sprengung der „Nord Stream“-Gaspipelines in der Ostsee im September steckt, hat die Ukraine jegliche Involvierung von sich gewiesen. Weder habe Kiew mit dem „Vorfall“ zu tun noch verfüge man über Informationen zu einer „proukrainischen Sabotagegruppe“, so der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak.

Die „New York Times“ („NYT“) hatte mit Verweis auf Informationen aus dem US-Geheimdienst berichtet, dass womöglich russische und ukrainische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen verantwortlich für die Explosionen in der Ostsee sind. US-Regierungsvertreter hätten eingeräumt, dass vieles noch unklar sei – etwa wer genau die Sprengungen verübt, wer sie angeordnet und wer den Einsatz finanziert habe.

Es gebe aber Hinweise darauf, dass es sich um Gegner des russischen Präsidenten Wladimir Putin handle. Hinweise auf eine Verwicklung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj oder seines engen Umfelds gebe es nicht, hieß es im Bericht.

Verdächtiges Schiff im Jänner durchsucht

Zugleich lieferten Recherchen deutscher Medien einem Bericht der „Zeit“ zufolge Erkenntnisse zur Vorbereitung des Sprengstoffanschlags. Wie die „Zeit“ (Onlineausgabe) berichtete, hatten gemeinsame Recherchen mit dem ARD-Hauptstadtstudio, dem ARD-Politikmagazin „Kontraste“ und dem SWR ergeben, dass deutsche Ermittlungsbehörden weitgehend rekonstruiert hätten, wie und wann der Sprengstoffanschlag auf die Pipelines „Nord Stream 1“ und „2“ vorbereitet wurde.

Die deutsche Bundesanwaltschaft teilte indes mit, sie habe im Zuge ihrer Ermittlungen zu den Explosionen im Jänner ein verdächtiges Schiff durchsuchen lassen. Es bestehe der Verdacht, dass es zum Transport von Sprengsätzen verwendet worden sein könnte, so die Karlsruher Behörde am Mittwoch. Belastbare Aussagen zu Tätern, Motiven und einer staatlichen Steuerung könnten derzeit nicht getroffen werden.

Nach den Berichten von ARD, SWR und „Zeit“ wurde eine Jacht von einer Firma mit Sitz in Polen angemietet, die „offenbar zwei Ukrainern gehört“. Ein sechsköpfiges Team, bestehend aus einem Kapitän, zwei Tauchern, zwei Tauchassistenten und einer Ärztin, habe den Sprengstoff damit zu den Tatorten gebracht. Welche Nationalitäten diese Leute hätten, sei unklar. Sie hätten offenbar gefälschte Pässe verwendet.

Pistorius: „False-Flag-Aktion“ auch möglich

Schon am Dienstag hatte das deutsche Kanzleramt auf den „NYT“-Bericht reagiert. Man nehme ihn zur Kenntnis. Am Mittwoch lehnte der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius eine Stellungnahme ab. Er habe die Rechercheergebnisse mit großem Interesse zur Kenntnis genommen, sagte er im Deutschlandfunk. Es gelte aber abzuwarten, was sich davon wirklich bestätige.

Grafik zur Gaspipeline Nord Stream
Grafik: APA/ORF

Schließlich könne es sich genauso gut um eine „False-Flag-Aktion“ handeln, um proukrainischen Gruppierungen etwas in die Schuhe zu schieben. „Die Wahrscheinlichkeit für das eine wie für das andere ist gleichermaßen hoch“, so Pistorius. „Es hilft uns nicht, auf der Grundlage von solchen Recherchen, die bestimmt mühsam und akribisch gemacht worden sind, jetzt darüber nachzudenken, welche Auswirkungen das auf unsere Unterstützung für die Ukraine hätte.“

„Nord Stream“: Proukrainische Spur

Nach den Explosionen bei den Gaspipelines „Nord Stream 1“ und „2“ in der Ostsee 2022 kam schnell der Verdacht der Sabotage auf. Jetzt sollen Spuren in die Ukraine führen, doch es gibt keine Hinweise auf das direkte Umfeld des ukrainischen Präsidenten Selenskyj.

Ukraine sieht „schräge Story“

Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow dementierte eine Beteiligung seines Ministeriums an der Sabotage. Dass ukrainischen Spezialkräften so ein Einsatz zugetraut wird, sei „eine Art Kompliment“, sagte Resnikow am Mittwoch am Rande eines informellen Treffens mit den Verteidigungsministern der EU-Staaten in Schweden. „Aber das ist nicht unser Tätigkeitsfeld.“ Die Story sei schräg, weil sie nichts „mit uns“ zu tun habe.

Auf die Frage, ob er befürchte, dass die Berichte über eine mögliche Beteiligung der Ukraine an der Sabotage einen negativen Einfluss auf die Unterstützung für sein Land im Krieg gegen Russland haben könnten, sagte Resnikow: „Nein, ich bin nicht besorgt.“

Russland sieht Ablenkungsmanöver

Russland, das derzeit einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, wertete die Medienberichte hingegen als Versuch, von den „wahren“ Drahtziehern abzulenken. „Es ist einfach ein Mittel, um den Verdacht von denjenigen in offiziellen Regierungspositionen, die die Angriffe in der Ostsee angeordnet und koordiniert haben, auf irgendwelche abstrakten Personen zu lenken“, erklärte die russische Botschaft in den Vereinigten Staaten auf Telegram.

Zum Zeitpunkt der Explosion nicht im Betrieb

Die Explosionen hatten im September in den Wirtschaftszonen Schwedens und Dänemarks in der Ostsee mehrere Lecks in die Pipelines gerissen, die für den Transport von russischem Gas nach Deutschland gebaut worden waren. Die Pipelines waren zum Zeitpunkt der Explosionen nicht in Betrieb, enthielten aber Gas. Nach Angaben Schwedens wurden Sprengstoffreste nachgewiesen.

Als Drahtzieher der mutmaßlichen Sabotage wurde unter anderem Russland selbst verdächtigt. Die russische Regierung wies dies entschieden zurück und zeigte mit dem Finger auf Washington. Die US-Regierung hatte den Bau von Nord Stream 2 als geopolitisches Druckmittel des Kremls verurteilt.

Anfang Februar sorgte dann der bekannte US-Investigativreporter Seymour Hersh mit einem Bericht für Aufsehen, demzufolge US-Marinetaucher bereits im Juni Sprengsätze an den Gaspipelines angebracht haben sollen. Diese seien im September ferngezündet worden. Die US-Regierung hat dies entschieden zurückgewiesen. Unabhängige Faktenprüfer haben auf Ungereimtheiten in dem Hersh-Bericht hingewiesen.