Rettungsboot mit Migranten in Dover
Reuters/Peter Nicholls
Menschenrechte ausgehebelt?

Aufschrei gegen britischen Asylvorstoß

Das geplante neue Asylgesetz der konservativen britischen Regierung lässt die Wogen hochgehen und sorgt für einen Aufschrei. Das Gesetz käme einem Asylverbot gleich, sagte das UNO-Flüchtlingshilfswerk. Britische NGOs stoßen in das gleiche Horn. Großbritannien stehle sich aus der Verantwortung Flüchtlingen gegenüber, so etwa Amnesty. Die oppositionelle Labour-Partei bezweifelt, dass das Gesetz überhaupt rechtlich bestehen wird. Es könnte Menschenrechten widersprechen – wie auch die Tory-Regierung selbst sagte.

Das neue Asylgesetz, das am Dienstag im Parlament eingebracht wurde, sieht vor, fast alle Migrantinnen und Migranten, die ohne offizielle Erlaubnis einreisen, zunächst in Unterkünften wie früheren Militärbasen und Studierendenheimen festzuhalten. Danach sollen sie nach Ruanda oder in andere Staaten ausgewiesen werden.

Das Recht, Asyl zu beantragen bzw. später eine britische Staatsbürgerschaft, soll ihnen entzogen werden. Außerdem soll dem Gesetzesplan zufolge die Möglichkeit eingeschränkt werden, Berufung gegen eine Abschiebung einzulegen. Ferner soll es eine Obergrenze für Flüchtlinge geben, die auf legale Weise ins Land kommen.

Asyl-Auffanglager in Manston
Reuters/Henry Nicholls
Ein Auffanglager für Flüchtlinge im britischen Manston

Braverman: „Verhaftet und schnell abgeschoben“

Man werde „die Boote stoppen, die Zehntausende an unsere Küsten bringen“, so Innenministerin Suella Braverman bei ihrer Vorstellung des Vorhabens. „Sie werden erst dann aufhören, hierherzukommen, wenn die Welt weiß, dass jeder, der illegal nach Großbritannien einreist, verhaftet und schnell abgeschoben wird.“ Braverman hatte die Ankünfte einst auch als „Invasion“ bezeichnet.

Tatsächlich gibt es für Menschen, die ins Vereinigte Königreich flüchten, bis auf wenige Ausnahmen bereits jetzt kaum legale Wege ins Land. Nach der UNO-Flüchtlingskonvention hat jedoch jeder und jede Verfolgte das Recht, in einem sicheren Land seiner Wahl Asyl zu beantragen – unabhängig davon, wie er oder sie dort hingelangt. Diese Vereinbarung gilt auch für Großbritannien.

Die britische Innenministerin Suella Braverman
Reuters/UK Parliament
Die britische Innenministerin Suella Braverman bei der Vorstellung des Gesetzesvorschlags im britischen Parlament

„Mehr als 50 Prozent“ gegen Menschenrechtsgesetze

Vor dem Unterhaus räumte Braverman am Dienstag auch ein, keine „endgültige“ Aussage dazu machen zu können, ob ihr Entwurf die britische Menschenrechtsgesetzgebung respektiere. „Wir haben die Grenzen des internationalen Rechts ausgereizt, um diese Krise zu lösen“, sagte Braverman im Gespräch mit dem „Telegraph“, bevor sie das Gesetz ins Parlament einbrachte. Der BBC sagte die Ministerin, sie habe das aus Vorsicht erwähnt. „Aber wir gehen auch an die Grenzen und testen innovative und neuartige rechtliche Argumente“, so Braverman.

Als Braverman ihre Pläne vor konservativen Abgeordneten präsentierte, gab sie allerdings laut „Guardian“ zu, dass das Gesetz zu „mehr als 50 Prozent“ gegen Menschenrechtsgesetze verstoßen würde. Der britische Premierminister Rishi Sunak hatte bereits angekündigt, er werde das neue Asylgesetz notfalls vor Gericht verteidigen.

166.000 warten auf Entscheidung

Der Rückstand in der Bearbeitung der Asylanträge nimmt offenbar zu. 166.000 Menschen warten laut „Guardian“ auf eine Entscheidung über ihre Anträge. In diesem Jahr kamen der britischen Nachrichtenagentur PA zufolge bisher fast 3.000 Migranten über den Ärmelkanal ins Land – 2022 waren es 45.755 und damit 60 Prozent mehr als im Jahr davor. Bis das Gesetz tatsächlich in Kraft tritt, könnten Monate vergehen. Es wird mit Widerstand im Oberhaus gerechnet, was ein „Ping-Pong“ zwischen beiden Kammern auslösen könnte.

Labour Chef Keir Starmer
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Der Chef der größten Oppositionspartei Labour, Keir Starmer

Labour: Regierung unverantwortlich

Oppositionschef Keir Starmer von der Labour-Partei zweifelte an, dass die Pläne rechtlich Bestand haben werden und mahnte zur Achtung internationaler Verpflichtungen. Die Schatten-Innenministerin der Labour-Party, Yvette Cooper, sagte gegenüber der BBC: „Ich denke, dass die Regierung unverantwortlich handelt.“ Immer wieder setze die Regierung auf Spielereien und eine Rhetorik, die die Debatte anheize. „Aber die Regierung löst das Problem nicht wirklich.“

UNHCR: Gesetz kommt Asylverbot gleich

Menschenrechtsgruppen und die Opposition nennen das Vorhaben „undurchführbar“ und werfen der Regierung vor, schutzbedürftige Flüchtlinge zu Sündenböcken zu machen. Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) zeigte sich tief besorgt über das Vorhaben. Das Gesetz käme einem Asylverbot gleich und würde das Recht auf Flüchtlingsschutz im Vereinigten Königreich für diejenigen auslöschen, die irregulär ankommen, egal wie aufrichtig und überzeugend ihr Anspruch sein mag, erklärte das UNHCR.

Auch das britische Rote Kreuz sprach sich gegen den Vorstoß aus. „Wir fragen uns, wie man in Großbritannien Asyl beantragen können soll, wenn man vor Verfolgung oder Krieg flieht, wenn man aus Afghanistan oder Syrien flieht und um sein Leben fürchtet?“, sagte Christina Marriott vom Britischen Roten Kreuz dem Sender Sky News.

Asyl-Auffanglager in Manston
Reuters/Henry Nicholls
Flüchtlinge aus dem Auffanglager Manston werden per Bus verlegt

Flüchtlingsrat: Flucht aus Verzweiflung

Amnesty International UK kritisierte, Großbritannien stehle sich aus der Verantwortung und erwarte von anderen, diese zu übernehmen. Auch der britische Flüchtlingsrat geht auf die Barrikaden. „Die Mehrheit der Männer, Frauen und Kinder, die den Ärmelkanal überqueren, tun das, weil sie aus Verzweiflung vor Krieg, Konflikten und Verfolgung fliehen“, sagte Enver Solomon vom britischen Flüchtlingsrat der britischen Nachrichtenagentur PA zufolge. London verrate seine Verpflichtung im Rahmen der UNO-Flüchtlingskonvention.

„Das Gesetz wird Menschen nicht davon abhalten, den Ärmelkanal zu überqueren. Es wird nur das Trauma der Menschen in diesen Booten vergrößern und Großbritanniens Ruf weltweit schädigen“, sagte Laura Kyrke-Smith von der Rettungsorganisation International Rescue Committee UK.

Aufregung über Lineker-Vergleich

Der auf Twitter geäußerte Vergleich der britischen Flüchtlingspolitik mit Nazi-Deutschland durch Fußballmoderator Gary Lineker sorgte indes für schwere Turbulenzen bei der öffentlich-rechtlichen BBC. Die Suspendierug Linekers wurde nach einem Aufschrei der Empörung von der BBC wieder zurückgenommen.

Lineker hatte am Dienstag in einem Tweet das neue Asylgesetz der konservativen britischen Regierung als „mehr als schrecklich“ bezeichnet. Auf Kritik, er sei „nicht ganz bei Trost“ („out of order“), antwortete er: „Dies ist eine unermesslich grausame Politik, die sich gegen die am stärksten gefährdeten Menschen richtet, in einer Sprache, die der von Deutschland in den 1930er Jahren nicht unähnlich ist, und ich soll nicht ganz bei Trost sein?“ Lineker, der bei Twitter etwa 8,6 Millionen Follower hat, hat die konservative Regierung wiederholt kritisiert.

EGMR blockiert Ruanda-Abschiebung

Schon für ihre bisherigen Ruanda-Pläne ist die britische Regierung scharf kritisiert worden, unter anderem auch vom UNHCR. Mit Ruanda hat Großbritannien bereits einen umstrittenen Pakt geschlossen und dem Land dafür 140 Millionen Pfund (derzeit rund 156 Mio. Euro) gezahlt. So sollen Schutzsuchende in Ruanda Asyl beantragen und – wenn es ihnen gewährt wird – dort leben können. Eine Rückkehr nach Großbritannien ist nicht vorgesehen. Da der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einschritt, gab es bisher aber keine Abschiebeflüge von Großbritannien nach Ruanda.

Sicherheitskontrolle vor Asylunterkunft in Ruanda
AP
Sicherheitskontrolle vor einer Asylunterkunft in Ruanda

Braverman: Brechen keine Gesetze

Innenministerin Braverman verteidigte am Mittwoch ihr umstrittenes Asylgesetz gegen Kritik, das Vorhaben verletze internationales Recht. „Wir brechen keine Gesetze, und kein Regierungsvertreter hat gesagt, dass wir Gesetze brechen“, sagte Braverman am Mittwoch dem Sender Sky News. „Vielmehr haben wir sehr deutlich gemacht, dass wir der Ansicht sind, dass wir alle unsere internationalen Verpflichtungen einhalten.“ Die konservative Ministerin nannte unter anderem die Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention.

Braverman konnte in ihrem Statement allerdings nicht sagen, wann die ersten Asylwerber und -werberinnen im Rahmen der neuen Pläne abgeschoben würden oder wann weitere Haftzentren gebaut würden, da die Kapazitäten zur Unterbringung von Flüchtlingen bereits überlastet sind, heißt es im „Guardian“ weiter.

Braverman sprach allerdings von „mitfühlenden, aber notwendigen und fairen Maßnahmen“: „(Die Migranten) brechen unsere Gesetze, sie missbrauchen die Großzügigkeit des britischen Volkes, und wir müssen jetzt dafür sorgen, dass sie davon abgehalten werden“, sagte die Ministerin, die zum rechten Flügel der Konservativen Partei gehört.

Der britische Premier Rishi Sunak
Reuters/Leon Neal
Der britische Premier Rishi Sunak mit dem Slogan „stop the boats“

Sunak verteidigt Vorstoß

Falls die nicht erwünschte Zuwanderung nicht gestoppt werden könne, schränke das die Möglichkeit ein, echten Flüchtlingen in Zukunft zu helfen, so das Argument Sunaks. „Ich verstehe, dass es Diskussionen über die Härte dieser Maßnahmen geben wird. Ich kann nur sagen, wir haben es auf jede andere Weise versucht, und es hat nicht funktioniert.“

Der Anstieg ist der Regierung in London seit Langem ein Dorn im Auge. Den Zuzug einzuschränken und die Kontrolle über die eigenen Grenzen zu erhalten, war eines der Kernversprechen des Brexits. Premier Sunak hat das zu einer der Prioritäten seiner Politik erklärt.