Ein Richter blättert durch Gerichtsakten
ORF.at/Roland Winkler
Neues Korruptionsstrafrecht

Justiz stört sich an Definition von „Kandidat“

Mit der Novelle des Korruptionsstrafrechts will die Regierung eine Gesetzeslücke schließen, die im Zuge der „Ibiza-Affäre“ offensichtlich geworden ist: Künftig sollen Kandidaten und Kandidatinnen, die sich für ein Amt bewerben, wegen eines Korruptionsdelikts bestraft werden können. Innerhalb der Justiz wird das Vorhaben begrüßt, dennoch ist man mit dem Entwurf unzufrieden. Das Justizministerium zeigt sich gesprächsbereit.

Nach gut acht Wochen endet am Donnerstag die Begutachtung für die Novelle, die im Jänner von Justizministerin Alma Zadic (Grüne) und Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) präsentiert wurde. Als zentraler Punkt des Vorhabens gilt die Verschärfung in Sachen „Vorab-Korruption“. Wenn jemand als Kandidat bzw. Kandidatin für ein Amt antritt und dabei einen Vorteil annimmt und als Gegenleistung ein pflichtwidriges Amtsgeschäft verspricht, soll das künftig strafbar sein.

Doch so klar die Regelung auf den ersten Blick scheint, so kompliziert dürfte es in der Ausgestaltung sein. Denn in der Begutachtung wurde die Definition von „Kandidat für ein Amt“ bis ins Detail zerlegt. Laut Entwurf aus dem Justizministerium handelt sich bei einem Kandidaten bzw. einer Kandidatin um eine Person, die sich „in“ einem Wahlkampf, Bewerbungs- oder Auswahlverfahren befindet. Gleichzeitig muss die Person auch eine realistische Chance auf die Funktion haben – „nicht bloß hypothetisch“, wie es im Entwurf heißt.

Ausgeschlossen von der Strafbarkeit wären zum Beispiel Kandidaten und Kandidatinnen, die auf einem „aussichtslosen Listenplatz“ stehen oder die Bewerbungskriterien „offenkundig“ nicht erfüllen. Beinahe in allen Stellungnahmen wurde die Frage aufgeworfen, wer entscheidet, ob die Chancen des Kandidaten bzw. der Kandidatin realistisch sind.

Justizministerin Alma Zadic (Grüne) und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP)
APA/Georg Hochmuth
Nach monatelangen Verhandlungen präsentierten Zadic und Edtstadler den Entwurf im Jänner

Staatsanwälte wollen Streichung von „hypothetisch“

„Die Politikgeschichte ist wohl voller Beispiele hoher und höchster Amtsträger, denen man das Erreichen ihrer Position vorher nicht zugetraut und denen man zuvor ‚keine realistische Chance‘ gegeben hätte (z. B. durch Tod oder Verzicht anderer Bewerber)“, schrieb die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) an das Ressort von Zadic. Inhaltlich sei einer solchen Einschränkung, die auf Chancen des Kandidaten abzielt, „nichts abzugewinnen“.

Auch die Vereinigung der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte hält recht wenig von dieser Bedingung. Das Wort „hypothetisch“ werde im Gesetz bisher nicht verwendet und eröffne einen weiten Auslegungs- und Interpretationsspielraum. Aufgrund der Unbestimmtheit sollte nach Ansicht der Vereinigung der Begriff weggelassen werden.

Selbst die Rechtsanwaltschaft, die einer Ausdehnung von Strafbarkeit skeptisch gegenübersteht, zeigt sich kritisch ob der Unbestimmtheit der Definition. Es sei nicht nachvollziehbar, „nur aussichtsreiche Bewerber für politische Ämter zu kriminalisieren, wenn es doch generell verboten sein sollte, für zukünftige pflichtwidrige Handlungen oder Unterlassungen Geld zu fordern“.

Stichtage nicht nachvollziehbar gewählt

Nach Ansicht der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien ist die Definition von „Kandidat für ein Amt“ ohnehin ausbaufähig. „Gerichtliche Straftatbestände sollten möglichst einfach und bestimmt formuliert sein, zumal sich aus ihnen eindeutig ergeben muss, wann die Grenze des gerichtlich Strafbaren überschritten wird“, heißt es in der Stellungnahme. Diesem Erfordernis werde die Definition aus dem Justizministerium jedenfalls nicht gerecht.

Definition „Kandidat“

"Kandidat für ein Amt: jeder, der sich in einem Wahlkampf, einem Bewerbungs- oder Auswahlverfahren zu einer nicht bloß hypothetisch möglichen Funktion als Amtsträger oder in einer vergleichbaren Position zur Erlangung einer von ihm angestrebten Funktion als oberstes Vollzugsorgan des Bundes oder eines Bundeslandes oder als Organ zur Kontrolle der Gesetzmäßigkeit der Vollziehung befindet.“

Ein weiterer Kritikpunkt, der in vielen Stellungnahmen aufgegriffen wurde, war die zeitliche Beschränkung („in einem Wahlkampf“ etc.). Zwar wird in den Begleitpapieren des Gesetzesentwurfs auf vorab definierte Stichtage verwiesen. Auch die OStA Linz hält zeitliche Grenzen für nachvollziehbar. Dennoch scheinen die Fristen „beliebig“ gesetzt worden zu sein. Die OStA Graz sieht es ähnlich und empfiehlt die Zeitpunkte, ab wann beispielsweise ein Wahlkampf beginnt, näher zu definieren.

Susanne Reindl-Krauskopf, Strafrechtsexpertin der Universität Wien, hielt in ihrer Stellungnahme ebenfalls fest, dass Begriffe zu vage formuliert seien. Eines der obersten Prinzipien des Strafrechts sei, dass eine klare Unterscheidung zwischen strafbarem und straflosem Verhalten möglich sein muss. Die Definition von „Kandidat für ein Amt“ werde dem nicht gerecht.

Ministerium verweist auf Vorhersehbarkeit

Auf die geplanten Definition angesprochen, hielt das Justizministerium gegenüber ORF.at fest, dass es sich bei dem vorliegenden Entwurf „um eine deutliche Verbesserung der bisher geltenden Rechtslage“ handle. Die Formulierungen seien gewählt worden, „um einerseits die bestehenden Lücken – welche sich nach dem Ibiza-Skandal gezeigt haben – zu schließen und andererseits die verfassungsrechtlichen Erfordernisse an das Strafrecht, insbesondere im Hinblick auf die Vorhersehbarkeit und Bestimmtheit, zu erfüllen“.

Die im Begutachtungsverfahren eingelangten Stellungnahmen wolle man fachlich sichten und gegebenenfalls einarbeiten. „In der Folge werden wir gemeinsam mit dem Koalitionspartner mögliche Änderungen besprechen“, hieß es aus dem Justizressort unter Zadic.

Mandatskauf: Praktische Probleme wegen Bedingung

Das Ministerium wird sich dann wohl auch mit der Strafbarkeit beim neuen Straftatbestand „Mandatskauf“ auseinandersetzen müssen. Konkret sieht die Änderung vor, dass die Strafbarkeit des Mandatskaufs erweitert wird. Künftig soll es auch für Dritte strafbar sein, wenn sie „ihrem Kandidaten“ einen Listenplatz erkaufen. Täter bzw. Täterinnen sollen aber erst bestraft werden, wenn es „tatsächlich“ zu einer Mandatszuteilung an den Bewerber oder die Bewerberin kommt.

Die OStA Linz ortet vor allem praktische Probleme in der Ermittlungstätigkeit. Denn zwischen Tathandlung und Mandatszuteilung könne eine „geraume Zeit“ vergehen. „Bis zum Eintritt der objektiven Bedingung (Mandatszuteilung, Anm.) kann die Staatsanwaltschaft kein Ermittlungsverfahren einleiten.“ Es sei daher mit „erheblichen Beweismittelverlusten zu rechnen“.

Wenig Verständnis für Strafbarkeitsregelung

Eine ähnliche Regelung findet sich auch bei Kandidaten und Kandidatinnen. Die Strafbarkeit soll erst dann einsetzen, wenn der Kandidat die Stellung als Amtsträger tatsächlich erlangt. Expertin Reindl-Krauskopf empfiehlt auch, von einer solchen Konstruktion im Gesetz Abstand zu nehmen. Experte Farsam Salimi von der Universität Wien findet es „höchst befremdlich“, dass der Täter nach „Setzung der Tathandlung es selbst in der Hand hat, ob die Bedingung eintritt und es daher zur Strafbarkeit kommt oder nicht“.

Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs läuft diese Einschränkung den Zielsetzungen des Entwurfs zuwider. Das Strafrechtsinstitut der Universität Innsbruck vertritt jedoch die Meinung, dass die Bedingung der Mandatszuteilung „vernünftig“ sei. „Dass sich ein Kandidat der Strafbarkeit dadurch entziehen kann, dass er das Amt nicht annimmt, ist nicht weiter problematisch: Er verdient Straflosigkeit, weil er eine Art ‚tätige Reue‘ übt“, so das Institut.

Scharfe Kritik von Transparency International

Scharf fällt die Kritik von Transparency International Österreich aus. „Würde dieser Entwurf unverändert Gesetz, wäre damit für die Korruptionsbekämpfung kaum etwas gewonnen“, heißt es in der Stellungnahme. Die NGO ist zwar der Meinung, dass man darüber diskutieren kann, gewisse Einschränkungen zuzulassen, aber: „Die entworfenen Lösungen greifen … bei Weitem zu kurz. Sie sind in einer Reihe von Punkten nicht anwendungstauglich. Sie schaffen ungerechtfertigte Ausnahmen und Schlupflöcher.“

Andere Organisationen sind geteilter Meinung, was den Entwurf angeht. Zwar wird das Vorhaben stets begrüßt, doch entweder geht der Entwurf nicht weit genug (Arbeiterkammer) oder er wird als „überschießend“ (Wirtschaftskammer) bezeichnet. Einig ist man sich darin, dass der vorliegende Gesetzestext überarbeitet gehört.