Eine Frau schüttet für ein krankes Kind Medizin aus einer Flasche auf einen Löffel
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Akuter Engpass

„Weiter warten“ auf Kindermedikamente

Derzeit grassierende Infektionskrankheiten führen insbesondere bei Antibiotikasäften für Kinder dazu, dass die benötigten Medikamente zunehmend nicht verfügbar sind. Die Apothekerkammer ließ mit einem Vorstoß gegen den seit Monaten akuten Lieferengpass aufhorchen. Doch eine einfache und rasche Lösung für das Problem zeichnet sich nicht ab. Für Kinder und Eltern heißt es damit oft: Weiter warten oder zumindest längere Wege und teils weniger gute Behandlungen auf sich nehmen.

Wegen der andauernden Medikamentenknappheit schlägt die Apothekerkammer nun wieder Alarm. Anders als in der Vergangenheit angekündigt sei auch im März keine Entspannung in Sicht – insbesondere bei Antibiotikasaft für Kinder. Dabei grassieren vielerorts derzeit Infektionskrankheiten in Kindergärten und Schulen. Einen Lösungsvorschlag der Kammer lehnt das Gesundheitsministerium aber als nicht umsetzbar zurück.

Dass es kein Patentrezept gegen die Lieferengpässe gibt, das machten jedenfalls Gesundheitsministerium und Pharmaindustrie klar, die eine Initiative der Apothekenkammer als nicht umsetzbar zurückwiesen. Seit Wochen und jedenfalls noch bis Ende März sind in Österreich die bewährten Breitbandantibiotikasäfte für Kinder nicht verfügbar. Denn im März kommt keine neue Lieferung, und Großhandel und Apotheken haben keine Vorräte mehr. Mittlerweile gibt es laut Apothekerkammer-Präsidentin Ulrike Mursch-Edlmayr Wartelisten für Kinder und Erwachsene, die mehr als 23.000 Packungen umfassen.

Apotheken bieten sich an, wollen aber Garantie

Die Apothekerkammer forderte in dieser Situation nun vom Gesundheitsministerium, der Staat solle Rohstoff im Ausland kaufen, damit die Apotheken die Mittel selbst herstellen können. Für die Rohstoffbeschaffung im Ausland müsse die Republik eine Abnahmegarantie geben und die Finanzierung sichern, erläuterte Mursch-Edlmayr bei einem von der Kammer organisierten Pressetermin.

Der heimische Großhandel könne dann für die Verteilung der Rohstoffe auf Apotheken in ganz Österreich sorgen. Für die Patientinnen und Patienten bzw. die Eltern falle für die in Apotheken hergestellten Mittel nur die Rezeptgebühr an.

Höfliche Absage von Ministerium

Der Forderung der Apothekerkammer erteilte das Gesundheitsministerium prompt eine Absage. „Der Vorschlag der Apothekerkammer ist aus Sicht des Gesundheitsministeriums kurzfristig leider nicht umsetzbar. Es fehlt die gesetzliche Grundlage, damit der Bund Wirkstoffe ankauft.“

Außerdem, so das Ministerium, würden sich in der Regel die Arzneimittelhersteller die auf dem Markt verfügbaren Wirkstoffe für die eigene Produktion sichern. Es widerspricht damit der Apothekerkammer-Chefin, deren Angaben zufolge es derzeit jedenfalls Rohstoff auf dem Markt verfügbar gebe.

Dort erfolge auch „die nötige Qualitätssicherung, also die Prüfung der Wirkstoffe auf Reinheit, damit dann Medikamente hergestellt werden können“. Eine kurzfristige Änderung dieses Systems sei daher „nicht möglich bzw. zielführend“, teilte das Ministerium in einem Statement mit.

Pharmig zweifelt ebenfalls

„Zweifel an der praktischen Durchführbarkeit“ des Vorschlags der Apothekenkammer äußerte auch Alexander Herzog, Generalsekretär des Verbands der pharmazeutischen Industrie (Pharmig), im Ö1-Mittagsjournal. Zwar würden die Apotheken über ein „bewährtes System der Magistralen Zubereitung“ verfügen, das gelte aber für eine kleine Stückzahl.

Für Antibiotika brauche es „teilweise hochexplosive Zusatzstoffe“, außerdem könnten diese „sinnvollerweise nur in hohen Mengen hergestellt werden“, sagte der Pharmig-Generalsekretär. Sollten Apotheker das überhaupt können, dann sicherlich nicht großflächig, sagte Herzog.

Auslagerung rächt sich

Ähnlich wie bei fertigen Medikamenten ist Europa durch jahrzehntelange Auslagerung auch bei Rohstoffen, vor allem bei den aktiven pharmazeutischen Wirkstoffen (API), mittlerweile großteils von China und Indien abhängig.

Überlegungen für Notfalllager

In den letzten Monaten gab es bereits mehrere Vorstöße der verschiedenen Seiten, die nebenbei auch deren Interessen und Rolle stärken würden. Der Pharmagroßhandel (PHAGO) plädiert etwa für ein nationales Notfalllager, in dem zur Überbrückung von Lieferproblemen rund 200 häufig benötigte Medikamente eingelagert werden. Das Gesundheitsministerium bestätigte am Mittwoch, dass an einer Erhöhung der Medikamentenreserven gearbeitet werde, nannte aber keine Details. Entsprechende Initiativen gibt es jedenfalls bereits auf EU-Ebene, die von Österreich unterstützt werden.

Apotheker wollen Antibiotika produzieren

Über 23.000 Kinder warten in Österreich auf Antibiotikasäfte. Die Apothekerkammer bietet nun an, die Mittel selbst herzustellen, sofern die Regierung die Rohstoffe beschafft.

Hin und Her um Wirkstoffverschreibung

Hinter dem Vorstoß der Apothekerkammer steht ein jahrelanger Streit im Gesundheitsbereich, nämlich jener über die Wirkstoffverschreibung. Ärztinnen und Ärzte würden auf dem Rezept nicht den Namen eines bestimmten Medikaments, sondern den Wirkstoff verschreiben. Die Apotheke könnte dann auch ein gleichwertiges Generikum abgeben oder das Mittel selbst herstellen.

Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK), Ministerium, Patientenanwaltschaft und Apotheker sind für diese Systemumstellung, Ärztekammer und Pharmaindustrie – auch die Generikaproduzenten – dagegen. Laut Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) ist Österreich das einzige EU-Land, in dem es die Wirkstoffverschreibung noch nicht gibt. Eine entsprechende Verordnung hatte Rauch im September angekündigt – sie lässt aber bis heute auf sich warten.

Weit unter vorpandemischem Jahresbedarf

Bei Antibiotika für Kinder hat sich laut Mursch-Edlmayr der seit Herbst akute Lieferengpass noch einmal verschärft. 2019 seien in Österreich etwa 130.000 Packungen an Antibiotikasäften für Kinder verbraucht worden, im Jahr 2022 wurden rund 80.000 Packungen abgegeben, mehr standen nicht zur Verfügung. „Wir haben es nicht einmal geschafft, den Jahresbedarf von vor der Pandemie zu decken“, sagte Mursch-Edlmayr.

Dass die Lage gerade bei der Versorgung von kranken Kindern derzeit besonders akut ist, davor hatten erst vor wenigen Tagen Ärztinnen und Ärzte gewarnt. Antibiotika brauche man nur bei bakteriellen Infektionen, diese seien aber die „schlimmeren, die gefährlicheren“, so Kinderärztin Lucia Kautek.

Da seien Ärztinnen und Ärzte auf flüssige Antibiotika für Kleinkinder angewiesen. Derzeit könnten diese aber nicht einmal mehr alle bakteriellen Infektionen behandeln. Kinder müssten daher unnötig ins Spital überwiesen werden, damit sie dort statt oral verabreichter Säfte durch Infusionen mit den nötigen Antibiotika behandeln werden könnten. Das sei „unerträglich“, so Kautek.