Luftaufnahme vom Gasleck der Pipeline Nord Stream 2 im Meer
APA/AFP/Airbus DS 2022
„Nord Stream“-Explosion

Neue Spuren, viele Fragezeichen

In den Fall der rätselhaften Explosionen, die im Herbst des Vorjahres die Gaspipelines „Nord Stream 1“ und „2“ stark beschädigt haben, kommt wieder Bewegung – doch das wirft mehr Fragen als Antworten auf: Laut „New York Times“ könnte eine proukrainische Gruppe hinter dem Anschlag stehen. Deutsche Medien wollen gar eine verantwortliche Personengruppe ausgemacht haben, und deutsche Behörden räumten nun eine Schiffsdurchsuchung ein. Doch sowohl Russland als auch die Ukraine dementieren.

Die deutsche Bundesanwaltschaft teilte am Mittwoch mit, dass man bereits im Jänner ein verdächtiges Schiff durchsucht habe, mit dem im September 2022 der Anschlag auf die Pipelines verübt worden sein könnte. Die Auswertung der sichergestellten Spuren und Gegenstände dauere an, sagte eine Sprecherin in Karlsruhe auf Anfrage.

„Die Identität der Täter und deren Tatmotive sind Gegenstand der laufenden Ermittlungen. Belastbare Aussagen hierzu, insbesondere zur Frage einer staatlichen Steuerung, können derzeit nicht getroffen werden.“ Was genau gefunden wurde, teilte sie nicht mit.

Vage Spuren in Ukraine

Kurz zuvor hatten ARD, SWR und „Zeit“ berichtet, die Ermittler hätten auf dem Tisch in der Kabine des Schiffes Sprengstoffspuren entdeckt. Laut den Berichten wurde die Jacht von einer Firma mit Sitz in Polen angemietet, die „offenbar zwei Ukrainern gehört“. Ein sechsköpfiges Team, bestehend aus einem Kapitän, zwei Tauchern, zwei Tauchassistenten und einer Ärztin, habe den Sprengstoff damit zu den Tatorten gebracht. Welche Nationalitäten diese Leute hätten, sei unklar. Sie hätten offenbar gefälschte Pässe verwendet.

„Nord Stream“: Proukrainische Spur

Nach den Explosionen an den Gaspipelines „Nord Stream 1“ und „2“ in der Ostsee 2022 kam schnell der Verdacht der Sabotage auf. Jetzt führen Spuren in die Ukraine, doch es gibt keine Hinweise auf das direkte Umfeld von Präsident Selenskyj.

Auftraggeber und Drahtzieher unklar

Weiter hieß es in den Medienberichten, die Gruppe sei am 6. September 2022 von Rostock in See gestochen. Die Ausrüstung sei vorher mit einem Lieferwagen in den Hafen transportiert worden. Den Ermittlern sei es gelungen, das Boot am folgenden Tag erneut in Wieck am Darß im Bezirk Vorpommern-Rügen und später an der dänischen Insel Christiansö nordöstlich von Bornholm zu lokalisieren. Im Anschluss an die Operation sei die Jacht ungereinigt zurückgegeben worden.

Ähnlich wie die „New York Times“ spekulierten die deutschen Medien, dass eine proukrainische Gruppe für die Explosionen verantwortlich sein könnte. Beweise dafür, wer die Zerstörung der Pipelines in Auftrag gegeben habe, seien aber nicht gefunden worden.

Ukraine: „Hat nichts mit uns zu tun“

Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow verneinte eine Beteiligung seines Ministeriums an der Sabotage. Dass ukrainischen Spezialkräften so ein Einsatz zugetraut wird, sei „eine Art Kompliment“, sagte Resnikow am Mittwoch am Rande eines informellen Treffens mit den Verteidigungsministern der EU-Staaten in Schweden.

„Aber das ist nicht unser Tätigkeitsfeld.“ Die Story sei schräg, weil sie nichts „mit uns“ zu tun habe. Auf die Frage, ob er befürchte, dass die Berichte über eine mögliche Beteiligung der Ukraine an der Sabotage einen negativen Einfluss auf die Unterstützung für sein Land im Krieg gegen Russland haben könnte, sagte Resnikow: „Nein, ich bin nicht besorgt.“ Weder habe Kiew mit dem „Vorfall“ zu tun noch verfüge man über Informationen zu einer „proukrainischen Sabotagegruppe“, sagte auch der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak.

Russland ortet Ablenkungsmanöver

Russland wertete die jüngsten Medienberichte als Versuch, von den wahren Drahtziehern abzulenken. Solche Informationen würden von denjenigen gestreut, „die im Rechtsrahmen keine Untersuchungen führen wollen und versuchen, mit allen Mitteln die Aufmerksamkeit des Publikums abzulenken“, schrieb die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, Dienstagabend auf ihrem Telegram-Kanal.

„Es ist einfach ein Mittel, um den Verdacht von denjenigen in offiziellen Regierungspositionen, die die Angriffe in der Ostsee angeordnet und koordiniert haben, auf irgendwelche abstrakten Personen zu lenken“, erklärte auch die russische Botschaft in den Vereinigten Staaten auf Telegram. „Wir können und wollen nicht an die Unparteilichkeit der Schlussfolgerungen der US-Geheimdienste glauben“, hieß es weiter.

Russland verlangt von den Staaten der an den „Nord Stream“-Pipelines beteiligten Unternehmen, auf schnelle und transparente Untersuchungen der Explosionen zu drängen. Russland dürfe sich weiterhin nicht an den Ermittlungen beteiligen, sagte Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow. Erst vor einigen Tagen habe Russland entsprechende Mitteilungen Dänemarks und Schwedens erhalten. „Das ist nicht nur seltsam. Das riecht nach einem gigantischen Verbrechen.“

Deutsche Politik will Untersuchungen abwarten

Auch die deutsche Politik will die Berichte nicht überbewerten. Außenministerin Annalena Baerbock äußerte sich zurückhaltend: „Natürlich verfolgen wir alle Berichte und auch alle Erkenntnisse, die es von unterschiedlichen Akteuren gibt, ganz, ganz intensiv“, sagte sie. Zunächst müssten aber die zuständigen Behörden ihre Ermittlungen zu Ende führen.

Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius sagte, er habe die Recherchen mit großem Interesse zur Kenntnis genommen. Es gelte aber abzuwarten, was sich davon wirklich bestätige. Schließlich könne es sich genauso gut um eine „False-Flag-Aktion“ handeln, um proukrainischen Gruppierungen etwas in die Schuhe zu schieben. „Die Wahrscheinlichkeit für das eine wie für das andere ist gleichermaßen hoch“, so Pistorius.

Auch der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der US-Regierung, John Kirby, verwies auf die Ermittlungen in Deutschland und Skandinavien. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, man wisse, dass es ein Angriff, eine Sabotage war. Es wäre falsch, vor Abschluss der Untersuchungen zu spekulieren, wer dahintersteckt.

Umstrittener Hersh-Bericht

Rund um die Explosionen war es in den vergangenen Monaten eher ruhig geworden. Anfang Februar sorgte dann der bekannte US-Investigativreporter Seymour Hersh mit einem Bericht für Aufsehen, dem zufolge die USA die Pipelines gesprengt haben sollen. US-Marinetaucher hätten im Juni bei einer vom Weißen Haus angeordneten und vom US-Auslandsgeheimdienst CIA geplanten verdeckten Operation mit Hilfe Norwegens Sprengsätze an den Gaspipelines angebracht. Die Sprengsätze seien im September ferngezündet worden.

Die US-Regierung hatte das entschieden zurückgewiesen. „Das ist völlig falsch und eine vollkommene Erfindung“, sagte die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates der USA, Adrienne Watson. Unabhängige Faktenprüfer wiesen auf Ungereimtheiten in dem Hersh-Bericht hin. Der Journalist hatte den Bericht nicht in einem großen Medium, sondern in seinem Blog veröffentlicht. Der 85-Jährige beruft sich zudem nur auf eine anonyme Quelle.