Eine Archivaufnahme aus dem Jahr 1993 zeigt die brennende Unterkunft der Davidianer-Sekte in Waco (US-Bundesstaat Texas)
AP/Susan Weems
Kapitol-Erstürmung

Waco als Kampfschrei rechter US-Milizen

Drei Jahrzehnte ist es her, dass das FBI in Waco das Anwesen der Branch-Davidianer-Sekte stürmte. Doch die Auswirkungen des Fiaskos für die US-Bundesbehörden mit Dutzenden Toten sind bis heute in der US-Politik präsent. Waco wurde zu einem Symbol der rechten Milizen. So zieht sich ein roter Faden von Waco über Timothy McVeigh, Alex Jones bis zur Kapitol-Erstürmung, angetrieben durch Verschwörungstheorien und Schlagworte wie etwa die Mär vom „deep state“.

Das Vorgehen der US-Bundesbehörden, zuerst des Bureau of Alcohol, Tobacco, and Firearms (ATF) und dann der US-Bundespolizei FBI, die als Troubleshooter geholt wurde, gilt als Tiefpunkt derartiger Fälle. Das ATF war deshalb zuerst zuständig, da die Branch-Davidianer die Lizenz hatten, Waffen herzustellen und diese auch zu verkaufen.

Den Auftakt des Fiaskos bildete eine versuchte Razzia des ATF auf dem 31 Hektar großen Anwesen der Branch-Davidianer am 28. Februar 1993. Etwa 100 Beamte, die den Sektengründer David Koresh festnehmen und auf der Ranch nach Schusswaffen suchen wollten, wurden mit einem Kugelhagel empfangen. Bei einem 45-minütigen Schusswechsel wurden zehn Menschen getötet, unter ihnen vier Polizisten.

Ausgebrannte Überreste der Unterkunft der Davidianer-Sekte in Waco (US-Bundesstaat Texas) im Jahr 1993
AP/Charles Bennett
Ein Blick auf das ausgebrannte Anwesen der Branch-Davidianer-Sekte

Auch weitere Amtshandlung lief komplett aus dem Ruder

Am 19. April ließen die Behörden nach 51 Tagen Belagerung das Anwesen der Branch-Davidianer-Sekte stürmen. Dabei starben mindestens 81 Mitglieder der Sekte, darunter auch Kinder, in einem vermutlich selbst gelegten Feuer. Teils sollen sich die Davidianer selbst und auch die Kinder erschossen haben, wie ein späterer Untersuchungsbericht nahelegt. Getötet wurde auch Koresh. Jedoch gibt es Verschwörungstheorien, die davon ausgehen, dass Koresh überlebt hat.

Bild des Sektenführers David Koresh neben einem Holzkreuz
AP/Newsbase
Der Sektenführer David Koresh – auch um seinen Tod gibt es Verschwörungstheorien

Die Bilder des in Flammen aufgehenden Anwesens der Branch-Davidianer gingen damals um die Welt. Der damalige demokratische Präsident Bill Clinton nahm denn auch die Verantwortung auf sich und entschuldigte sich später für die völlig aus dem Ruder gelaufene Amtshandlung. Denn statt auf Deeskalation hatten die Bundesbehörden offenbar auf Eskalation gesetzt.

Trump kündigt Auftritt an

Der ehemalige US-Präsident Donald Trump will am Samstag just in Waco eine Rede vor Tausenden Anhängern halten.

Trump, dem eine Anklage wegen Schmiergeldzahlung droht, inszeniert sich derzeit als Opfer einer politisch motivierten Justiz.

So wurden etwa Lautsprecher mit Musik und Co. mit voller Lautstärke auf das Anwesen gerichtet, um die Sektenmitglieder zum Aufgeben zu bewegen. Und das, obwohl bekannt war, dass sich mehrere Kinder auf dem Anwesen der religiösen Gruppierung befanden. Die Branch-Davidianer glaubten, dass nun die Apokalypse vor der Tür stünde.

Prophetisches Papier von 1995

Dass die ganz aus dem Ruder gelaufene Aktion rechten Milizen einen Auftrieb geben wird, war den US-Behörden ziemlich bald klar, wie auch ein Paper mit dem Namen „Paranoia as Patriotism“ („Paranoia als Patriotismus“) von 1995 zeigt.

„Die Ziele der Milizen beziehen sich darauf, den Grundstein für einen großangelegten Widerstand gegen die Regierung und ihre Strafverfolgungsbehörden sowie gegen Waffengesetze zu legen.“ Nach Ansicht vieler dieser Extremisten sei die Regierung ihre Feindin, da sie ihre autoritäre Kontrolle ausweite, heißt es in dem Bericht. Die Extremisten sähen eine Kriegsplanung gegen die Bürgerschaft; und das ATF sowie das FBI würden nun als dessen Hauptinstrumente gesehen.

Militärhubschrauber vor der Unterkunft der Davidianer-Sekte in Waco (US-Bundesstaat Texas) im Jahr 1993
AP
Ein Militärhubschrauber vor dem Branch-Davidianer-Anwesen im März 1993

Der Bericht erwähnt auch als „wichtigste Maßnahmen der Regierung, die diese Wahrnehmungen untermauern“, eben Waco und die Belagerung von Randy Weaver in Ruby Ridge in Idaho. Milizenführer würden wiederholt auf diese beiden Vorfälle als Beleg für ein ihrer Ansicht nach koordiniertes, konspiratives Vorgehen der Bundesregierung gegen Gruppen und Einzelpersonen sehen, die ihr Recht auf „Waffentragen“ ausüben, so der US-Behördenbericht zwei Jahre nach dem Massaker. Und das sollte sich bewahrheiten – mit Auswirkungen bis in die heutige US-Politik, wie etwa die Kapitol-Erstürmung am 6. Jänner 2021.

Ruby Ridge als weiterer „Gründungsmythos“

Neben Waco gilt, wie auch in dem Bericht der US-Behörden, ein um ein Jahr vorangegangener Fall als „Gründungsmythos“ der rechten Milizionäre. 1992 belagerte das FBI das Haus des Separatisten Randy Weaver in Ruby Ridge im Bundesstaat Idaho. Auch dabei kam es zu einem Blutbad. So erschossen FBI-Scharfschützen gezielt die unbewaffnete Ehefrau Weavers, und auch sein Kind wurde getötet. Danach versuchten FBI-Beamte, Fehler zu vertuschen. An der Untersuchung des Falls beteiligte Beamte beklagten eben jene Vertuschungsmanöver von höherer Seite und berichteten über „Vergeltungsmaßnahmen“ für diese kritischen Äußerungen.

Ex-US-Präsident Donald Trump
Reuters/Evelyn Hockstein
US-Präsident Donald Trump verkündet weiterhin das Märchen von der ihm gestohlenen Wahl

Trump begünstigte Klima für extreme Rechte

Doch vor allem Waco aufgrund der langen Belagerung, der Fehler der US-Behörden und der Dutzenden Toten blieb bis heute im US-Gedächtnis eingeschrieben. Die Belagerung von 1993 trug dazu bei, die amerikanische Milizbewegung zu entfachen, so die „Washington Post“ („WP“), daraus sei ein Trend zu rechtsextremen paramilitärischen Organisationen entstanden.

Diese haben neue Bedeutung erlangt, als Gruppen wie etwa die Oath Keepers in das Kapitol einmarschierten. Möglich sei das in einem politischen Umfeld geworden, das von Lügen über den „deep state“ und über eine gestohlene Wahl heimgesucht werde, so die „WP“ in Richtung Trump und der Republikaner.

In Mainstream eingesickert

Paramilitärische Gruppen wie eben die Oath Keepers und die Three Percenters, deren Mitglieder im Zusammenhang mit ihrer Rolle beim Angriff auf das Kapitol angeklagt wurden, entstanden nach Waco aus einer Welle des rechtsextremen Misstrauens gegenüber der US-Regierung, so die „WP“ weiter. In den zwei Jahren seit der Kapitol-Erstürmung zersplitterten sich zwar einige damals anwesende Milizgruppen oder lösten sich auf. Ihre Ideologien bestehen allerdings fort und sind in den Mainstream eingesickert, wie etwa zuvor das Tea-Party-Movement und später auch Teile des Trumpismus bzw. Trump selbst bei den Republikanern zeigen.

Bombenattentäter Timothy McVeigh eskortiert von Polizisten
AP/David Longstreath
Der „Oklahoma-Bomber“ Timothy McVeigh wird zum Gericht eskortiert

McVeigh: Oklahoma-Anschlag aus Rache für Waco

Doch die Auswirkungen auf die rechte Milizszene durch die Ereignisse von Waco waren schon viel früher zu spüren. 1995 legte Timothy McVeigh in einem Terrorakt am 19. April zum Gedenken an den Jahrestag der Erstürmung des Branch-Davidianer-Anwesens Bomben in einem Bundesgebäude in Oklahoma City und tötete dabei 168 Menschen. Es sei ein Racheakt gewesen, so McVeigh, der 2001 schließlich hingerichtet wurde.

McVeigh war 1993 nach Texas gereist, um sich die Belagerung anszusehen, schreibt die „WP“. Laut dem „Time“-Magazin verkaufte er Autoaufkleber mit Waffen-Trag-Parolen, um die Branch-Davidianer zu unterstützen.

Laut dem Waco-Experten Kevin Cook in der „New York Post“ wollten auch die Verantwortlichen für den Anschlag auf die Columbine High School 1999 ihre tödliche Aktion am 19. April zum Gedenken an Waco und den Oklahoma-City-Anschlag durchführen. Schließlich erschossen am 20. April 1999 zwei bewaffnete Teenager zwölf Mitschüler und einen Lehrer, anschließend töteten sie sich selbst.

Erstürmung des Kapitols in der US-Hauptstadt Washington am 6. Jänner 2021
AP/Jose Luis Magana
Auch die Kapitol-Erstürmer hofften auf einen Umsturz, um Donald Trump als US-Präsidenten einzusetzen

Hoffen auf Umsturz durch Milizen

McVeigh hatte mit seinem Anschlag auf das Bundesgebäude auf einen Umsturz, einen Aufstand der Rechtsaußenmilizen gehofft – ähnlich den Kapitol-Erstürmern und -Erstürmerinnen. Kurzfristig geschah alldings laut „WP“ das Gegenteil. Eine Gegenreaktion auf McVeighs Mord an Unschuldigen ließ die Mitgliedschaft in der Miliz sinken. Die islamistischen Anschläge vom 11. September 2001 veranlassten sogar viele Rechtsextreme, die Regierung unter George Bush Jr. gegen die Feinde im Ausland zu unterstützen.

Die Wahl Barack Obamas zum ersten schwarzen US-Präsidenten ließ die Milizbewegung wieder erstarken. Obamas damaliger Vizepräsident war der nunmehrige Präsident Joe Biden, der durch die Kapitol-Erstürmung laut Sicht der Milizen, angestachelt durch die Mär von der Trump gestohlenen Wahl, nicht in sein Amt hätte kommen sollen.

Kapelle der Davidianer in der Nähe von Waco (US-Bundesstaat Texas)
AP/Rod Aydelotte
Die von Alex Jones mit Spenden errichtete Kirche auf dem Grund des ehemaligen Branch-Davidianer-Anwesens

Alex Jones: Spendenaktion für Waco-Gedenkkirche

Auch Radiomoderator und Gründer der rechten Website „Infowars“ Alex Jones hatte seinen großen Durchbruch teilweise wegen seiner Bereitschaft, Verschwörungstheorien über Waco anzunehmen, so die „WP". Er leitete eine Spendenaktion zum Bau einer Kapelle auf dem Gelände des Massakers. „Keine Waco mehr!“, so seine Parole. Jones hatte auch mit einem Interview mit dem Rapper Kanye West für Aufsehen gesorgt, in dem dieser Sympathien für Hitler und die Nazis äußerte. Auch Jones war am 6. Jänner dabei – allerdings vor dem Kapitol.

Im Dezember 2022 reichte der Ultrarechte Jones Privatinsolvenz ein. Er war wegen Falschbehauptungen zum Blutbad an der Sandy-Hook-Volksschule im Jahr 2012 mit 26 Toten in mehreren Prozessen zu Schadenersatz in Höhe von insgesamt knapp 1,5 Milliarden US-Dollar (mehr als 1,4 Milliarden Euro) verurteilt worden. Das Geld schuldet er unter anderem mehreren Eltern, deren Kinder bei dem Massaker getötet worden waren. Der 48-Jährige reichte den Antrag am Freitag bei einem Insolvenzgericht im Bundesstaat Texas ein.

1,5 Mrd. Schadenersatz wegen Schulmassakerleugnung

Jones hatte über Jahre behauptet, das Schulmassaker in der Stadt Newtown im Bundesstaat Connecticut habe gar nicht stattgefunden. Es sei vielmehr vorgetäuscht worden, um eine Verschärfung des Waffenrechts durchzusetzen. Jones ist als Unterstützer Trumps bekannt. So machte Jones sich Trumps Falschbehauptung zu eigen, die Niederlage des Amtsinhabers gegen Biden bei der Präsidentschaftswahl 2020 sei auf schwerwiegenden Betrug zurückzuführen.

US-Verschwörungstheoretiker Alex Jones
AP/Hearst Connecticut Media/Tyler Sizemore
Der ultrarechte Verschwörungstheoretiker und „Infowar“-Gründer Alex Jones im September 2022 vor Gericht

Sekte nicht der extremen Rechten zugeordnet

Bittere Ironie der Geschichte: Die rechten Milizen haben offenbar etwas völlig falsch verstanden, so die „WP“ und auch das History Newsnetwork. Trotz der Bedeutung Wacos für weiße Extremisten war und wird die multiethnische Religionsgemeinschaft der Branch-Davidianer selbst nicht den Rechtsextremisten zugeordnet.

Doch das hindert die Extremisten nicht daran, Waco weiter als Symbol und Schlachtruf zu verwenden. Mike Vanderboegh, Mitbegründer der Three-Percenters-Miliz, warnte etwa: „Waco kann jederzeit passieren. Aber das Ergebnis wird beim nächsten Mal anders sein.“ Auch ein weiterer Aufständischer, der nach den Unruhen im US-Kapitol festgenommen worden war, erwartete einen Kampf mit der Polizei, den er „Waco 2.0“ bezeichnete.