Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP)
APA/Roland Schlager
Von Schule bis Alter

Nehammer spannt weiten Bogen bis 2030

ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer hat am Freitag eine Rede mit dem Titel „Zur Zukunft der Nation – Österreich 2030“ gehalten. Vor Parteikollegen und -kolleginnen blickte er zunächst zurück auf die Krisen, mit denen auch Österreich konfrontiert war. Danach gab er einige Ziele vor, wie sich seiner Meinung nach das Land entwickeln soll.

Nehammer hielt seine Rede in der Wiener Eventlocation Thirty Five im 35. Stock der Twin Towers. Eingeladen zur Veranstaltung hatte die ÖVP. Für die extra dafür erstellte Website Oesterreich-2030.at ist inhaltlich Nehammers Partei verantwortlich. Neben der Regierung von ÖVP-Seite waren auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) sowie Funktionäre und Funktionärinnen der ÖVP-Bünde vertreten. Geladen waren aber auch die Sozialpartner. Der grüne Koalitionspartner war nicht vertreten.

Nehammer spannte einen weiten Bogen, wobei der bei den Krisen der vergangenen Jahre anfing. Die Coronavirus-Pandemie, der Krieg in der Ukraine und die Energiekrise hätten die Gesellschaft vor „völlig neue“ Herausforderungen gestellt. Doch in den Krisen habe man gezeigt, dass „wir das Unmögliche möglich machen können“, so der Parteichef. Wichtig seien dafür Zusammenhalt, Kreativität und das „ständige Streben nach Lösungen“ gewesen.

Dialog und Versöhnung

Für die Zukunft – „das schönste Thema für mich“ – habe er sich einiges vorgenommen. In den kommenden Woche will er mit Fachleuten einen Plan zusammenstellen. Darin sollen sich Maßnahmen finden, die Österreich bis 2030 weiterentwickeln. „Österreich ist ein gutes, sicheres und leistungsstarkes Land. Es steckt voller Kreativität, weil es getragen wird von den Menschen, die in unserem Land leben“, sagte er. Die Krisen hätten aber gezeigt, dass es auch Schwächen im System gebe. Das habe er in seinen 15 Monaten als Kanzler erkannt.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP)
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Hoch oben über Wien hielt Nehammer seine Rede

In erster Linie wolle er versöhnen – also den Prozess umsetzen, den er angesichts der Coronavirus-Politik der Regierung angekündigt hatte. Eine gespaltene Gesellschaft schade Österreich. Jeder dürfe mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, aber jene, die auf das Auto angewiesen sind, dürften deshalb nicht kritisiert werden. Ein „Gegeneinander“ helfe nicht, so Nehammer. „Wir müssen die Zukunft begreifen als das, was sie ist: Sie gibt uns Chancen, sie gibt uns Raum zu gestalten.“

„Talente“ in den Mittelpunkt stellen

In Sachen Kinder und Bildung will Nehammer die „Talente“ in den Mittelpunkt stellen. „Das Mittelmaß ist nicht unser Ziel“, so der Kanzler. „Stolpern wir nicht in die Durchschnittsfalle, sondern schaffen wir Rahmenbedingungen für unsere Kinder, damit sie die Forscherinnen und Forscher von morgen werden.“ In der Schule müsse die politische Bildung ein fixer Bestandteil sein, auch der Umgang mit Medien müsse gefördert werden.

Er will, dass Schulkinder ab der siebenten Schulstufe von allen Zeitungen, die im Presserat vertreten sind, die E-Paper-Ausgaben erhalten. „Wir wollen, dass Schulen der Ort der Bildung und des Wissens sind und nicht zu Brennpunkten werden“, sagte er weiter. Schulen sollen auf das Leben vorbereiten, nicht auf Arbeitslosigkeit. Es sei „keine Selbstverständlichkeit mehr“, dass Kinder Lesen, Schreiben und Rechnen können, wenn sie die Schule verlassen.

Es müsse eine Selbstverständlichkeit sein, dass Kinder beim Verlassen Deutsch auch tatsächlich können. Ab der fünften Schulstufe solle das Pflichtfach „Programmieren“ eingeführt werden. Als Ziel gab er auch vor, Handwerk zu fördern. „Deshalb soll die Meisterprüfung künftig kostenlos sein.“

Nicht nur altern, sondern auch gesünder altern

Nehammer formulierte auch das Anliegen, dass bis 2030 Altersarmut in der Pension „kein Thema mehr“ sein solle. Man habe ein „gutes und leistungsfähiges Pensionssystem“. Es müssten Anreize gesetzt werden, damit Menschen länger arbeiten wollen und können. Die Gesundheit sei eine wesentliche Voraussetzung dafür. Ziel müsse daher sein, dass wir „nicht nur immer älter werden, sondern gesund älter werden“. Hier brauche es auch Verbesserungen in Österreichs Gesundheitssystem.

Dazu müsse man das Kassenarztsystem ausbauen. Bis 2030 fehlten Österreich 800 zusätzliche Kassenärzte und -ärztinnen, um sowohl das Land als auch die Stadt bestmöglich gesundheitlich zu versorgen. Dafür sollten etwa die Medizinstudienplätze ausgebaut und eine Berufspflicht für Absolventen und Absolventinnen im Inland eingeführt werden.

Auch der Pflegekräftemängel müsse kleiner werden. Hier stoße man derzeit auf „Hemmnisse“, die dazu geführt hätten, dass man dieses Problem bis jetzt nicht in den Griff bekommen habe. „Dazu müssen wir die Anerkennung von Qualifikationen und Nostrifizierungen erleichtern, das darf nicht an der Verwaltung scheitern.“

Land der „besitzenden Klasse“

Als ein weiteres Ziel nannte Nehammer, dass alle Österreicher und Österreicherinnen zur „besitzenden Klasse“ gehören sollten. Österreich müsse ein Land der Eigentümer werden, sagte er mit Blick auf das Thema Wohnen. Der Fokus müsse wieder stärker darauf gerichtet werden, dass sich Menschen Eigentum leisten können. Dafür soll die Grunderwerbssteuer für das erste Eigenheim gestrichen und die Zweckwidmung der Wohnbauförderungsbeiträge eingeführt werden. Die Abgabenquote soll von 42 auf 40 Prozent gesenkt werden.

Kanzlerrede „Zur Zukunft der Nation“

ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer hat am Freitag eine Rede mit dem Titel „Zur Zukunft der Nation – Österreich 2030“ gehalten und seine Vorstellungen für einen politischen Fahrplan bis 2030 erläutert.

Auch die Arbeitswelt sparte Nehammer in seiner Rede nicht aus. „Wir müssen dazu kommen, dass Arbeit ein Wert ist. Arbeit ist sinnstiftend“, sagte der ÖVP-Chef. Aber es könne nicht sein, dass „die einen nur mehr Work und die anderen nur noch Life haben“. Damit spielte der Kanzler auf die aktuelle Teilzeitdebatte an, welche die ÖVP-Regierungsseite vor einigen Wochen angestoßen hatte. Leistung müsse sich wieder lohnen, bekräftigte Nehammer eine alte ÖVP-Forderung. „Die einen arbeiten für das Geld, die anderen bekommen es.“

In Österreich brauche es auf der einen Seite qualifizierte Arbeitskräfte, auf der anderen willige Industrielle und Unternehmen, die mit Risiko bereit seien, Arbeitsplätze zu schaffen. Um das zu unterstützen, forderte Nehammer ein „neues Arbeitslosengeld“. In der ersten Phase müsse das Arbeitslosengeld hoch angesetzt werden, dann müsse es aber deutlich sinken, sagte Nehammer und bestärkte das von der ÖVP gewünschte degressive Modell. „Der, der 30, 35 ist und zwei gesunde Hände hat, soll auch tatsächlich arbeiten gehen.“

Migration: Strenge Regeln bei Sozialleistung

Genauso wichtig wie das Thema Wohnung sei die Frage nach der Lebensmittelversorgung. Es sei Aufgabe der Politik, Bauern und Bäuerinnen von Hürden zu befreien. Auch im Jahr 2030 müsse Landwirtschaften noch möglich sein. Den „Fehlentwicklungen“ der EU müsse man entgegenwirken, sagte der ÖVP-Chef und nannte das Beispiel Putenfleisch. Dieses werde stark nachgefragt, aufgrund diverser Auflagen werde das Fleisch aber nicht ausreichend produziert und deshalb aus Drittstaaten importiert.

Auch das Thema Migration fand in Nehammers Rede Eingang. Weiterhin werde er gegen die irreguläre Migration und gegen die organisierte Kriminalität kämpfen, sagte er und blieb bei seiner Forderung einer kontrollierten und geordneten Zuwanderung. Entscheidend sei, „dass wir entscheiden, wer nach Österreich kommt – und nicht die organisierte Kriminalität“. Hier sei auch die EU in die Pflicht zu nehmen. Das Asylsystem müsse sich ändern, sagte er.

Im selben Atemzug kündigte Nehammer ein weiteres Vorhaben an, das bei den Grünen wohl auf wenig Gegenliebe stoßen wird. Einen Anspruch auf einen vollen Bezug der Sozialleistungen sollen künftig nur jene Menschen haben, die mindestens fünf Jahre in Österreich leben, sagte der Kanzler. Wer diese Bedingung nicht erfüllt, soll die Hälfte erhalten. Eine solche Regelung dürfte von Rechtsexperten kritisch gesehen werden.

Nehammer gegen „Untergangsapokalypse“

Schon in den Endzügen seiner Rede kam der ÖVP-Chef auf die Klimakrise zu sprechen. Verbote sind für ihn keine Antwort, der Klimakrise zu begegnen. Vielmehr gehe es nach Ansicht Nehammers um wissenschaftlich fundierte Maßnahmen, Kreativität und Innovationen. „Ich habe in der Geschichte noch nie erlebt, dass ein Rückschritt jemals ein Fortschritt war“, sagte Nehammer und ortete „seltsame Formen“ in der Diskussion. So habe er manchmal den Eindruck, man müsse „sich dafür entschuldigen, dass man auf der Welt ist“.

Er wolle die Herausforderung der Klimakrise nicht kleinreden, doch der „Untergangsapokalypse", die oft gezeichnet werde, wolle er klar entgegentreten. „Auch ich werde mich dagegen aussprechen, den Verbrennungsmotor zu verbannen“, meinte er etwa über Österreich als „Autoland schlechthin“. Hierzulande würden nämlich rund 80.000 Menschen in diesem Bereich arbeiten.

An Österreichs Neutralität wolle er nicht rütteln, wie er betonte. Angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine habe man „gelernt, wie wertvoll Sicherheit und Frieden sind und wie selbstverständlich beides für uns war“. Bis 2030 will er mit Fachleuten eine Sicherheitsstrategie entwickeln, in der „die Neutralität ein fixer Bestandteil ist“. In der Energieversorgung hätte Nehammer gern eine Pflicht zur Gaseinspeicherung für Energiekonzerne, denn es könne nicht sein, „Risiken zu verstaatlichen und Gewinne zu privatisieren“.