AKW Penly in Frankreich
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Frankreich

Altersschwache AKWs sorgen für Probleme

Anders als etwa Deutschland will Frankreich für seine Energieversorgung auch künftig stark auf die Atomkraft setzen. Aktuell wird der Bau von bis zu 14 neuen AKWs geprüft. Die Laufzeit bestehender soll verlängert werden – und das, obwohl im Zuge von Kontrollen an mittlerweile drei der 56 in Betrieb befindlichen Reaktoren Risse bedenklichen Ausmaßes in Rohrleitungen entdeckt wurden.

Zuerst war im Reaktor eins in Penly ein Riss in der Nähe einer Schweißnaht in einer Rohrleitung im Sicherheitseinspritzsystem gefunden worden, über den die französische Atomsicherheitsbehörde (ASN) am Dienstag informiert hatte. Die Problematik habe nach Angaben des Stromkonzerns EDF Auswirkungen auch auf die Atomkraftwerke Cattenom, Civaux, Chooz B und weitere Reaktoren des Kraftwerks Penly, hieß es.

Es handelte sich demnach um einen 15,5 Zentimeter langen Riss, was einem Viertel des Durchmessers der Leitung entspricht. Er sei zudem 23 Millimeter tief, bei einer Rohrdicke von 27 Millimetern. „Das ist kein Haarriss (…), das ist ein Problem“, sagte Behördenchef Bernard Doroszczuk bei einer Anhörung im Senat am Mittwoch.

Als Störfall eingeordnet

„Wegen möglicher Folgen und der erhöhten Wahrscheinlichkeit eines Bruchs“ stufte die Behörde den Riss auf der INES-Skala für die Bewertung nuklearer Ereignisse auf Stufe zwei als Störfall ein. Menschen oder die Umwelt seien dadurch nicht gefährdet. Störfälle der Stufe zwei sind relativ selten, im vergangenen Jahr gab es einen einzigen.

Der Reaktor ist derzeit abgeschaltet. Er sollte im Mai wieder hochgefahren werden. „Der Riss ist an einer Stelle aufgetreten, wo man es nicht erwartet hatte“, sagte der Atomexperte Yves Marignac der Nachrichtenagentur AFP. Es handle sich um eine Leitung im Notkühlsystem, durch die im Notfall erhitztes Wasser geleitet werde.

„Schon fast undichte Stelle“

Bislang habe EDF in erster Linie die Leitungen des Notkühlsystems überprüft, durch die kaltes Wasser eingespeist werden würde, sagte Marignac. Das Ausmaß des Risses sei beunruhigend. „Das ist schon fast eine undichte Stelle“, sagte er.

Nach Einschätzung der Behörde für Atomsicherheit geht der Riss auf einen Fehler beim Bau des AKW zurück. „Man hat die Leitungen zurechtgebogen, um sie zu schweißen, dann gab es Fehler an den Schweißnähten, und sie wurden noch eimal repariert“, erläuterte Doroszczuk. Das sei eine „inakzeptable Vorgehensweise“.

Seit Ende 2021 waren in mehreren neueren Atomkraftwerken in Frankreich feine, bis zu sechs Millimeter tiefe Risse an Rohrleitungen aufgetreten. EDF hatte einen Teil der Reaktoren wegen der nötigen Reparaturarbeiten vom Netz genommen. Die Reparaturen verzögerten sich, weil in Frankreich die nötigen Fachkräfte fehlen. Alle 56 Reaktoren sollten auf mögliche Korrosionsschäden untersucht werden. EDF verkündete Ende vergangenen Jahres, die Krise wegen der Korrosionsschäden überwunden zu haben.

Weitere Risse in anderen Reaktoren

Am Freitag meldete EDF zwei weitere in die Problematik fallende Risse an die Behörde, die bei Kontrollen entdeckt worden waren. Betroffen seien das Kraftwerk Cattenom an der Mosel unweit der deutschen Grenze sowie ein Reaktorblock des AKW Penly am Ärmelkanal, sagte eine ASN-Sprecherin am Freitag. Die entsprechenden Rohrleitungen seien bereits ausgetauscht worden. Die Probleme hätten keine Auswirkungen auf Personal oder Umwelt gehabt.

AKW Cattenom in Frankreich
Reuters/Pascal Rossignol
Im AKW Cattenom nahe der deutschen Grenze wurden am Freitag ebenfalls Risse in Rohrleitungen entdeckt

Längere Abschaltungen für Kontrollen

Erwartet wird, dass wegen der Abnutzungserscheinung andere Kraftwerke für Kontrollen länger abgeschaltet werden müssen. Im vergangenen Jahr hatten Korrosionsprobleme zum Stillstand etlicher teils in die Jahre gekommener AKWs in Frankreich geführt und das Land mitten in der Energiekrise zum verstärkten Import von Strom unter anderem aus Deutschland gezwungen.

EDF unterzieht ab diesem Jahr sämtliche Kraftwerke einer Kontrolle. Die ASN forderte EDF nun auf, ihre Strategie zu überarbeiten, um die neu festgestellten Probleme zu berücksichtigen.

Neue Kraftwerke in Planung

Bis 2050 wird der Bau von 14 neuen Kraftwerken geprüft. Parallel sollen aber auch erneuerbare Energien, insbesondere Windparks auf See, ausgebaut werden. „Zunächst geht es um sechs Reaktoren, acht weitere werden in Betracht gezogen“, sagte die Energiewendeministerin Agnes Pannier-Runacher Anfang März der Wirtschaftszeitung „Les Echos“.

„Aber ich habe der Industrie ganz klar die Frage gestellt: Können Sie bis 2050 über 14 Reaktoren hinausgehen?“ Zur Begründung verwies sie auf den Klimaschutz. „Das Erreichen der CO2-Neutralität bis 2050 setzt voraus, dass wir massiv mehr Strom produzieren.“

Die Frage, wie viele Kraftwerke bis wann gebaut werden könnten, müsse jetzt zunächst die Industrie beantworten. „Unser Energiemix muss die Realität berücksichtigen, die Wissenschaft ebenso wie die industriellen Realitäten. Er darf nicht auf simplen Ideologien basieren“, sagte die Ministerin.

Laufzeit alter AKWs soll verlängert werden

Der vor der kompletten Wiederverstaatlichung stehende Stromkonzern EDF solle mehr Atomstrom produzieren, sagte die Ministerin. Sie habe EDF beauftragt zu prüfen, ob die Leistungsfähigkeit der bestehenden Atomkraftwerke erhöht werden kann. Die Kraftwerkskontrollen, die derzeit durchgeführt werden, hätten die Verlängerung der Laufzeit von 40 auf 50 Jahre zum Ziel. „Es muss aber bereits am nächsten Schritt, dem Übergang von 50 auf 60 Jahre, gearbeitet werden.“

Frankreich ist nach den USA der zweitgrößte Atomstromproduzent der Welt und verfügt aktuell über 56 Kraftwerke. Das Parlament berät im Moment über ein Gesetz, dass den Bau neuer AKWs beschleunigen soll. 2027 soll Baustart für erste neue Meiler sein.