Bundeskanzler Karl Nehammer
APA/Roland Schlager
Nehammer-Rede

ÖVP erfreut, Umweltschützer entsetzt

Die Zukunftsrede von ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer hat für viele Reaktionen gesorgt. Während Parteikollegen und -kolleginnen die Ankündigungen ihres Chefs lobten, reagierten SPÖ, FPÖ und NEOS mit Kritik. Im Gegensatz zu den Grünen, die sich bisher zurückhielten, warfen Umweltschutzorganisationen Nehammer billige Worthülsen und totales Versagen beim Klimaschutz vor. Politologen sahen in der Rede eher eine Wahlkampfrede.

„Die Zukunftsrede des Kanzlers hat ihren Namen schlicht nicht verdient. Die ÖVP ist unfähig, die Klimakrise – die größte Krise unserer Zeit – ernst zu nehmen, geschweige denn wirksame Lösungen anzuerkennen und umzusetzen. Das hat sie heute einmal mehr gezeigt“, meinte etwa Greenpeace-Sprecherin Lisa Panhuber in einer Aussendung und forderte – wie auch die anderen Organisationen – den Beschluss des lange ausständigen Klimaschutzgesetzes ein.

„Fridays for Future“ reagierte nach eigenen Angaben mit einer Sitzblockade auf die „klimaignorante Rede“ des Kanzlers. Nehammer ignoriere die Forderungen der Gesellschaft und die Erkenntnisse der Wissenschaft, hieß es. Eine „Ansammlung von rückwärtsgewandten, längst widerlegten Argumenten gegen echten Klimaschutz“ ortete auch der WWF.

Nehammer hält Rede zur Zukunft der Nation

In seiner Rede unter dem Titel „Zur Zukunft der Nation“ hat ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer am Freitag seine Vorstellungen für einen politischen Fahrplan bis 2030 vorgestellt.

Für Global 2000 war die Kanzlerrede eine „völlige Bankrotterklärung“. Statt konkreter Maßnahmen zum Vorantreiben des Klimaschutzes habe Nehammer fälschlicherweise Benzin- und Dieselautos als klimafreundliche Technologien dargestellt und die Risiken einer schweren Klimakrise verharmlost.

Kickl spricht von „Wald- und Wiesenrede“

Seitens der Opposition ortete SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch ein Versagen der „türkisen Truppe“ beim Bewältigen etwa der Teuerung, was auch Sozialsprecher Josef Muchitsch betonte. Ähnlich Vizeklubchef Jörg Leichtfried: Es sei unglaublich, dass Nehammer die größte soziale Krise in Österreich seit Jahrzehnten nicht einmal erwähnt habe. SPÖ-Frauensprecherin Eva-Maria Holzleitner wiederum sah Frauenthemen ignoriert.

Eine „planlose, visionsbefreite vorösterliche Wald- und Wiesenrede vor versammelter Parteielite“ ortete FPÖ-Chef Herbert Kickl. „Die einzige Erklärung, die er heute für eine gute Zukunft unserer Heimat auf dieser ‚Inzuchtveranstaltung der ÖVP-Familie‘ abgeben hätte müssen, wäre sein sofortiger Rücktritt mit der Ankündigung möglichst baldiger Neuwahlen gewesen“, meinte er. Ernüchtert zeigte sich auch NEOS, das Inhaltsleere und Ambitionslosigkeit ortete.

Stocker sieht Weichen für Zukunft gestellt

Durchgehend lobend äußerten sich ÖVP-Repräsentanten. Generalsekretär Christian Stocker sah „die Weichen für ein zukunftsfittes Österreich“ gestellt. Bauernbund-Präsident Georg Strasser fand die Landwirtinnen und Landwirte ausreichend gewürdigt, Klubchef August Wöginger die sich bei Nehammer lohnende Leistung. Oberösterreichs ÖVP-Landeshauptmann Thomas Stelzer begrüßte besonders „den klaren Fokus auf Gerechtigkeit gegenüber Leistungsträgern und arbeitenden Menschen“.

Reaktionen auf die Kanzlerrede

Die Kanzlerrede sorgte am Freitag für teils heftige Reaktionen. Umweltschützer zeigten sich entsetzt und sprachen von einer klimapolitischen Bankrotterklärung. Lob gab es dagegen von der Industriellenvereinigung.

Wirtschaftsbund-Chef Harald Mahrer ortete richtige Antworten auf die Fragen der Zeit. Auch der ÖVP-Seniorenbund lobte die Rede durchwegs. „Mit seiner Rede zur Zukunft der Nation hat Bundeskanzler Karl Nehammer einmal mehr bewiesen, dass er das Ohr bei den Seniorinnen und Senioren und die Sorgen der älteren Generation im Blick hat“, wird die Präsidentin Ingrid Korosec zitiert.

Widerspruch zu Klimaschutz von den Grünen

Eher dürr fielen die Reaktionen der Grünen als kleinem Koalitionspartner der ÖVP aus. In einer kurzen schriftlichen Stellungnahme hieß es, Nehammer habe eine Rede als Parteiobmann der ÖVP gehalten „und viele bereits bekannte Positionen der Volkspartei wiedergegeben“. „Die Rede hatte einen bewusst gewählten Horizont bis zum Jahr 2030 – bezieht sich also auf ÖVP-Vorhaben weit über die bestehende Gesetzgebungsperiode hinaus.“

Als Grüne nehme man „ein paar der Vorschläge aber durchaus als positiv wahr, weil es Ansätze sind, die wir teilen“. Das betreffe etwa die Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr, den Ausbau des Versorgungsauftrages für Energieversorger und die Zweckwidmung der Wohnbauförderung. Lehrlingssprecher Süleyman Zorba hob die geplante Abschaffung der Meisterprüfungsgebühr hervor.

Der Klimaschutzsprecher der Grünen, Lukas Hammer, widersprach Nehammer auf Twitter. Nehammer hatte gemeint, dass dem Narrativ einer „Untergangsapokalypse“ durch die Klimakrise entgegentreten werde müssen. Dafür gebe es keine wissenschaftlichen Beweise.

Hammer hielt fest, dass es „unsere Aufgabe“ sei, „die Klimakrise nicht zu verharmlosen und ihr noch entschlossener entgegenzutreten“. Man müsse dafür sorgen, dass die Szenarien nie Wirklichkeit werden, „die uns die Wissenschaft für eine drei bis fünf Grad heißere Welt prognostiziert, und auf die wir gerade zusteuern“.

Die Ärztekammer erklärte, die grundsätzlichen Überlegungen von Nehammer seien „an sich gut, einige Vorschläge müssten aber noch überdacht werden“. Begrüßenswert sei etwa, dass Nehammer einen Ausbau des Kassensystems um 800 Kassenstellen österreichweit anstrebe. Der bloße Ausbau werde den Kassenärztemangel aber nicht lösen, es brauche auch eine zeitgemäße Honorierung und neue Arbeitszeitmodelle.

„Zukunftsplan“ soll erarbeitet werden

In den fast eineinhalb Stunden gab Nehammer am Freitag viele ÖVP-Klassiker zum Besten. In einer groß inszenierten Rede unter dem Titel „Zur Zukunft der Nation“ sollten Pflöcke eingeschlagen werden, die in den kommenden Monaten unter Mitarbeit von Fachleuten in einem „Zukunftsplan“ namens „Österreich 2030“ münden sollen. Bei der Veranstaltung waren viele ÖVP-Organisationen sowie Politiker und Politikerinnen der Volkspartei vertreten.

Grafik zum Vertrauen in Karl Nehammer
Grafik: APA/ORF; Quelle: OGM

Nehammers ausführliche Erklärung, in der von der Energieversorgung, Bildung, Gesundheit, Wohnen und der EU-Politik über die Putenproduktion bis zur Blasmusikkapelle vielfältige Themen Platz fanden, erinnerte an ein Wahlkampfprogramm. Abseits der ÖVP-Grundsatzthemen gab es auch konkrete Ankündigungen: So soll „Programmieren“ zum Pflichtfach werden, und die Kosten für die Meisterprüfung sollen fallen. Zudem soll es bis 2030 zusätzliche 800 Kassenärzte und -ärztinnen geben. So jedenfalls der Plan.

Politologen: Wahlkampfrede

Für den Politologen Thomas Hofer war Nehammers Rede eher eine Wahlkampfrede eines ÖVP-Chef als eine eines Kanzlers. Er habe versucht, bekannte konservative Werte seines Vorgängers Sebastian Kurz wiederzubeleben. Es sei der Versuch, Abflüsse zur FPÖ-Wählerschaft zu stoppen, so Hofer im ZIB2-Interview. Das Koalitionsklima mit den Grünen mache das schwieriger.

Politikberater Hofer zur Kanzler-Rede

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat in einer Rede seine Vision von Österreich im Jahr 2030 präsentiert und setzt dabei auf bekannte, konservative Ideen. Politikberater Thomas Hofer analysiert die Rede Nehammers.

Nehammer versuche eine schroffe Abgrenzung dazu – zum Beispiel bei den Themen Klima und Mietpreisthema. Hier geht der Kanzler laut Hofer bewusst auf Konfrontation. „Die Koalition platzt jetzt aber nicht“, sagte Hofer, aber die ÖVP stelle sich auf die nächste Nationalratswahl ein. „Das Visionäre fehlte aber in weiten Bereichen“, so Hofer.

Ähnlich äußerte sich die Politologin Katrin Stainer Hämmerle, die Botschaften an den grünen Koalitionspartner ortete und die Ablehnung des Genderns und die Befreiung der Grunderwerbssteuer für Eigenheimbesitzer, an der ja die Mietpreisbremse gescheitert sei, nannte. Auch beim degressiven Arbeitslosenmodell habe sich Nehammer gegen die Grünen geäußert und die Fronten verhärtet. Nehammer habe die Mitte ansprechen wollen – insbesondere Autofahrer, Eigenheimbesitzer und Bauern, so Stainer-Hämmerle.

Analyse von Stainer-Hämmerle

Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle analysiert die Rede von Bundeskanzler Nehammer.

ORF-Innenpolitikexperte Hans Bürger sah in der Rede den Versuch, etwas anders zu machen. Der Grundgedanke sei, den Freiheitlichen jene Wählerschaft zu lassen, die ohnehin alles ablehne, wie CoV-Maßnahmen und Russland-Sanktionen. Nehammer habe Menschen ansprechen wollen, die „für“ etwas sind. Geworden sei es aber eine Attacke „gegen“ etwas wie das Aus für Verbrennermotoren, Gendern und „Klimakleber“, so Bürger.

Bürger (ORF) zur Kanzlerrede

Hans Bürger, ZIB-Innenpolitikexperte, beschreibt die Kanzlerrede als „Versuch, etwas anders zu machen“. Geworden sei es allerdings eine Attacke gegen das Gendern, „Klimakleber“, etc.

Der „Kurier“ sah in der Rede „viel Ernsthaftigkeit, wenig Emotion, kein Glamour. Dafür eine Standortbestimmung für die Partei.“ Die „Kleine Zeitung“ ortete einen Abschied von der Koalition mit den Grünen, dafür einen Kurswechsel nach rechts. Für den „Standard“ hatte Kanzler Nehammer dem Publikum keine Visionen geboten, sondern eine Rede gehalten, um seine Position innerhalb der Partei zu stärken.

„Es gab viele Ankündigungen, bei der Konkretisierung der Ziele wird es aber schwieriger werden“, sagte „Profil“-Journalistin Eva Linsinger. „Trend“-Journalist Josef Votzi sah eine Rede, „die das konservative Profil der ÖVP gegen rechts hin schärft und sich auch stärker abgrenzt gegen den grünen Koalitionspartner“.