beschädigtes Gebäude in Sanaa, Jemen
AP/Hani Mohammed
Deal Teheran – Riad

Neue Perspektiven für Nahen Osten

Die beiden großen nahöstlichen Rivalen Saudi-Arabien und der Iran haben eine Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen vereinbart. Der Deal – vermittelt nicht von den USA, sondern von China – könnte geostrategisch völlig neue Perspektiven für den Nahen Osten eröffnen, mit Auswirkungen bis Europa. Doch zuerst muss die vereinbarte Annäherung funktionieren.

Die Nachricht über die Vereinbarung zwischen Riad und Teheran, die seit 2016 geschlossenen Botschaften binnen zwei Monaten wiederzueröffnen, die Beziehungen zu normalisieren und auf Eis liegende Abkommen über wirtschaftliche Kooperation und Sicherheitszusammenarbeit umzusetzen, kam Freitagmittag völlig überraschend. Chefvermittler war Peking, das damit seine Rolle als geopolitischer Player mit einem Schlag deutlich aufwertet. Die Golfregion ist für China wichtig, als Teil seiner Seidenstraßeninitiative und als Region, aus der China rund die Hälfte seines Erdöls bezieht.

Ob das Abkommen erfolgreich umgesetzt wird, muss sich erst zeigen. Die regionalen Interessen sind teils völlig konträr, und eine Vertrauensbasis muss nach der jahrelangen Eiszeit und den vielen Konfrontationen wohl erst aufgebaut werden.

Die Motive für eine Annäherung

In gleich mehreren regionalen Konfliktzonen stehen Teheran und Riad einander seit Jahren feindlich gegenüber, um einander jeweils möglichst zu neutralisieren. Teheran steht wegen seit Monaten anhaltender Proteste schwer unter Druck. Dazu kommt die katastrophale Wirtschaftslage aufgrund westlicher Sanktionen gegen das Land, das in naher Zukunft zur Atommacht werden könnte.

Saudi-Arabiens Beziehungen zum Westen, insbesondere zu den USA, sind spätestens seit der Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi, die laut USA von Kronprinz Mohammed bin Salman in Auftrag gegeben wurde, belastet. Riad sucht seither aktiv nach anderen Allianzen, um seine Abhängigkeit von den USA zu verringern. Mit Russland arbeitete Riad zuletzt ebenfalls gegen US-Interessen im Rahmen der OPEC+ zusammen.

Zudem plant Saudi-Arabien bereits für die Zeit, wenn Erdöl nicht mehr der wichtigste Treibstoff der Weltwirtschaft sein wird. Kronprinz Mohammed versucht die Gesellschaft vorsichtig zu modernisieren und die Wirtschaft zu diversifizieren. Dazu dienen unter anderem schlagzeilenträchtige Megaprojekte wie der Mukaab – eine Stadt in einem einzigen riesigen Würfel.

Entschärfung des Bürgerkrieges im Jemen

Kommt es zu einer tragbaren Annäherung, könnte das auf mehrere Konflikte Auswirkungen haben: Im Bürgerkrieg im Jemen sind beide Seiten tief involviert. Der Krieg zwischen Regierung und Huthi-Rebellen gilt als eine der aktuell größten humanitären Katastrophen. Koordinierte Vermittlung und Druck von beiden Seiten könnte den Konflikt zumindest entschärfen, im besten Fall beenden.

Im Libanon unterstützt Riad traditionell die sunnitischen Parteien, während der Iran die schiitische Hisbollah mit ihrer auch Israel bedrohenden Miliz finanziert und ausbildet. Eine Annäherung könnte in dem politisch tief zerstrittenen und in einer schweren Wirtschaftskrise steckenden Land helfen, einen Aussöhnungsprozess in die Wege zu leiten.

Vorteil für Assad?

In Syrien könnte Machthaber Baschar Assad profitieren: Er wird seit Ausbruch des Bürgerkrieges vom Iran unterstützt, Riad dagegen ist auf der Seite der Rebellen. Mit dem schweren Erdbeben gab es eine Annäherung, und der bilaterale Deal mit Teheran könnte Riad dazu bringen, wieder Kontakt mit Assad aufzunehmen.

Zumindest aus einer langfristigen Perspektive gesehen, könnte eine Entschärfung der regionalen Konflikte, insbesondere eine Stabilisierung der Lage im Libanon und in Syrien, die Fluchtbewegung Richtung Europa zumindest verringern.

Unklare Folgen für Israel

Völlig unklar ist noch, wie sich die geplante Annäherung auf Israel auswirken könnte oder wird. Israel und der Iran sind Todfeinde, Israel will mit allen Mitteln verhindern, dass Teheran zur Atommacht wird. Dazu wollte es gemeinsam mit den USA eine regionale Allianz aller Iran-Gegner schmieden. Eine zentrale Rolle war dabei Saudi-Arabien zugedacht – ganz nach der Devise: Meines Feindes Feind ist der beste Freund. Ob eine solche Allianz jetzt noch realistisch ist, ist unklar.

US-Medien berichteten erst am Donnerstag, unter US-Vermittlung gebe es relativ weit gediehene Gespräche zwischen Israel und Saudi-Arabien über eine Normalisierung der Beziehungen. Möglicherweise fährt Riad auch hier zweigleisig und versucht, sich durch Allianzen nicht nur mit den USA, sondern auch mit China und Russland den eigenen Spielraum zu erweitern.

Für Ägypten, das jahrzehntelang den Anspruch hatte, die Stimme der arabischen Welt zu sein, bedeutet die Annäherung wohl einen weiteren Bedeutungsverlust. Allerdings hat auch Kairo – so wie Saudi-Arabien ein jahrzehntelanger Alliierter der USA – bereits begonnen, die Beziehungen zu China zu intensivieren. Nicht zuletzt in dieser Rolle als Verbündeter Chinas und wichtiges Land in Nordafrika dürfte Ägypten auch regional weiter seine Bedeutung behalten.