Loreen beim Melodifestivalen in Solna
Christine Olsson / TT News Agency / picturedesk.com
Song Contest

Loreen lässt Schweden vom Titel träumen

Kann man einen Song-Contest-Titel programmieren? Wenn man nach den zwölf Nummern des schwedischen Vorentscheidungsfinales geht, darf man diesen Eindruck haben. Das Finale des Melodiefestivalen, das für Schweden mindestens gleich wichtig wie der Song Contest selbst ist, präsentierte am Samstag eine Songfolge, die sich nur noch minimal unterschied. Mit einer Gewinnerin: Loreen. Ihre Songschreiber und Stilisten wollen den Erfolg von Baku 2012 mit allen Mitteln wiederholen. Und die Buchmacher geben ihnen bisher recht.

Wie viel Überzeugungskraft lässt sich in einen Dreiminutensong packen? Diese Frage ist wohl die zentrale beim Eurovision Song Contest, der ja heuer durch den Krieg in der Ukraine nicht im Siegerland, sondern im Land des Zweitplatzierten, also England, konkret Liverpool, ausgetragen wird. In keinem Land ist diese Frage so wichtig wie in Schweden, wo man seit über 60 Jahren mit dem Melodiefestivalen und einer Serie von Vorrunden entscheidet, wer das Land beim ESC vertreten darf. Das Finale findet stets in Stockholm statt – davor zieht das Festival in fünf Vorrunden durch die Arenen des ganzen Landes, wo zumindest immer die Städte Göteborg und Malmö fix gesetzt sind.

Solna-Stadion beim Melodiefestivalen
SVT
„Melfest“-Finale am Samstag im Stadion in Solna – so etwas wie die Mutter aller Song-Contest-Vorentscheidungen

Dass es das große überdachte Stadion in Solna im Norden Stockholms gibt, hat weniger mit dem Fußball als dem Bedürfnis zu tun, diese Musikshow auszurichten, zu der auch heuer wieder beim Finale mehr als 20.000 Zuseherinnen und Zuseher alleine an Ort und Stelle teilnahmen. Die Regeln des Melodiefestivalen sind so etwas wie eine Staatsangelegenheit, denn beim Televoting des Halbfinales werden die Punkte nach Altersgruppen vergeben. Das Finale wiederum funktioniert wie der Song Contest selbst: Zu 50 Prozent entscheidet eine internationale Jury und zu 50 Prozent wird es via Televoting entschieden. Auch Österreich war im Juryvoting unter der Führung von Marvin Dietmann mit einem fünfköpfigen Team vertreten. Und die zwölf Punkte aus Österreich gab es auch für Loreen.

Loreen ließ alle hinter sich

Nicht unwesentlich beim finalen Entscheid der Schwedinnen und Schweden ist nicht nur, wer den Titel holt, sondern wie überlegen der Sieg einer Kandidatin oder eines Kandidaten ist. Heuer war nicht die Frage, ob, sondern wie klar Loreen, die ja bereits 2012 mit „Euphoria“ Melodiefestivalen und ESC gewinnen konnte, den Wettbewerb für sich entscheidet. Und ihr Sieg war so eindeutig wie angekündigt. Loreen ließ die norwegischen Zwillingsstars Marcus & Martinus ebenso hinter sich wie die ukrainische Sängerin Maria Sur. Loreen gewann sowohl das internationale Juryvoting mit 92 Punkten als auch das Televoting mit 85 Punkten klar.

Seit Veröffentlichung ihrer Nummer „Tattoo“ stand der Song an der Spitze der schwedischen Charts. Und wie im Fall von „Heroes“ von Mans Zelmerlöw, der das Melodiefestivalen 2015 ebenfalls haushoch gewonnen hatte, ist die Nummer auf zwei Standbeine programmiert: Der Song muss für sich als Dance-Nummer funktionieren und in drei Teilen eine ständige Steigerung, nicht zuletzt in der „Kosmetik“ der Nummer bringen. Und der Song muss vor allem als Performance funktionieren, weil das die meisten Televoting-Punkte beim europäischen Publikum bringt. Bei „Euphoria“ ist die Rechnung aufgegangen – warum also nicht, so dachten sich Loreens Songschreiber, die im Core dieselben von damals sind, alle Zutaten neu remixen.

Loreen unter dem schweren LED-Paneel
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1,8 Tonnen wiegt das LED-Panel über Loreen. Ob die EBU dieses beim ESC in Liverpool zulassen wird, ist noch offen.

Effektdramaturgie zwischen LED-Platten

So ist Loreen diesmal zwar im Lederoutfit unterwegs und wird zwischen zwei LED-Platten eingeklemmt, die sich im Lauf des Songs langsam öffnen. Sonst geht es jedoch um Wiedererkennung bis zum Selbstplagiat. Bis auf eine Note wird „Euphoria“ nicht nur wiederholt, sondern im Intro gleich anzitiert. Ach, es ist die Sängerin von damals, die schon 2012 auch barfuß auf der Bühne stand – und immer noch dieselbe Frisur, dasselbe Make-up trägt. Die kleine Koloratur im Refrain mag in Österreich an Conchitas „Unstoppable“ erinnern. Ab dem Refrain präsentiert sich „Tattoo“ als neue Nummer, doch den Schatten von Euphoria will man bewusst nicht ganz loslassen. So braucht es knapp vor der finalen Minute auch noch eine Unterbrechung, bis alles in die letzte große Emotion münden kann.

Einer der Autoren hinter dem Song ist der schwedische Songwriter und Ex-Heavy-Metal Musiker Thomas Gustavsson, der unter dem Namen Thomas G:son veröffentlicht. Bisher hat Gustavson 13 Song-Contest-Nummern für die unterschiedlichsten Länder geschrieben – keine Nummer kam aber annähernd an den Erfolg von „Euphoria“ je heran.

In Fußstapfen von Johnny Logan

„Euphoria“ hat die Schwedin mit marokkanischen Wurzeln weltberühmt gemacht und wurde zu einer der erfolgreichsten Song-Contest-Siegernummern weltweit. Sollte Loreen Talhaoui mit „Tattoo“ erneut siegen, wäre sie neben dem Iren Johnny Logan, der 1980 und 1987 gewann, die einzige Künstlerin, die den Wettbewerb mehrfach für sich entscheiden konnte – und sie wäre die erste Frau, der das gelingen würde.

Geht man nach den Buchmachern, stehen ihre Chancen nicht schlecht. Ob sie die Performance aber genauso wie beim Melfest durchziehen kann, ist laut „Aftonbladet“ fraglich, da der EBU der Sonderwunsch nach einem schwebenden 1,8-Tonnen-LED-Panel möglicherweise doch zu extravagant erscheinen könnte. In Solna jubelte sich Schweden jedenfalls Samstagnacht schon zum möglichen Song-Contest-Sieg zu, so groß war die Begeisterung im Stadion während des Songs.