Der Präsident des Fiskalrates, Christoph Badelt
ORF
Inflation und Mieten

Plädoyer für „intelligenteren“ Indikator

Kaum ein anderes Thema beschäftigt die öffentliche Debatte seit Monaten so wie die hohe Teuerungsrate, diverse „Deckel“ und „Bremsen“ für Preise und die Folgen für den Staatshaushalt. In der ORF-„Pressestunde“ erkärte am Sonntag der Chef des Fiskalrates, Christoph Badelt, warum der Inflation aktuell so schwer beizukommen ist und wie treffsicher unterschiedliche Maßnahmen und die „Gießkanne“ sind – oder eben nicht. Beim strittigen Thema Mietpreise plädierte Badelt überhaupt für einen neuen Indikator.

Die erste Frage in der „Pressestunde“, nämlich die, ob angesichts der hohen Teuerungsrate die Bundesregierung bei diesem Thema gescheitert sei, beantwortete Badelt mit Nein – und erklärte auch warum. Eine Regierung könne eher die Wirkungen der Inflation bekämpfen als diese selbst, und müsse das so tun, dass die Maßnahmen sozial treffsicher seien. In diesem Punkt sei „viel Gutes passiert“.

Aktuell hat Österreich in der 20 Länder umfassenden Euro-Zone mit zuletzt 11,2 Prozent im Jänner die fünfthöchste Teuerungsrate. Was machten andere besser? Er glaube, schickte Badelt voraus, dass die Inflation auch in Österreich bald zurückgehen werde. Ein „Teil der Effekte“ sei auf die Zusammensetzung des Warenkorbs zurückzuführen und darauf, wie gewisse Inhalte gewichtet sind.

Kampf gegen die Inflation

Christoph Badelt, Präsident des Fiskalrates, stellte sich den Fragen von Susanne Puller (APA) und Christoph Varga (ORF).

Nur ein Beispiel, das Badelt, bis 2015 Rektor der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) und bis 2021 Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), nannte: In Österreich werde viel teurer Dieselkraftstoff verbraucht, Treibstoffe sind im Warenkorb relativ stark gewichtet, das ergibt in Summe einen starken Effekt auf den Index.

Inflation nicht gleich Inflation

Auf die Frage, wie die Politik auf die Inflation reagieren soll, gebe es zwei unterschiedliche Antworten. Die eine sei, direkt in die Preise einzugreifen, „die Mieten zu deckeln“, die Frage sei lediglich, „ob das politisch gescheit“ ist. Die andere Methode sei die Bekämpfung der „Wirkung“, wirtschaftlich Schwache zu unterstützen. Die hohe Teuerung sei vor allem angebotsseitig getrieben, etwa von den hohen Treibstoffpreisen, dazu kommen externe Faktoren, eine „importierte“ Inflation, auf die sich national nicht einwirken lässt, etwa den Krieg in der Ukraine.

SUVs und kaputte alte Autos

Dass die Transferzahlungen zur Abfederung der hohen Inflation diese selbst noch einmal erhöhten, räumte Badelt auf entsprechende Nachfrage ein, „in geringem Ausmaß“. Die Frage sei aber auch hier, ob das prinzipiell ein Fehler sei. Andere Maßnahmen, etwa eine Senkung der Mehrwertsteuer, seien bedeutend teurer, und gleichzeitig würden durch sie auch jene profitieren, die keine wirklichen Schwierigkeiten mit der Inflation hätten. Ein Benzinpreisdeckel etwa sei außerdem umweltpolitisch kontraproduktiv, so Badelt, und würde „den reichen SUV-Fahrer“ genauso fördern wie „den mit dem kaputten alten Auto“ für den Weg zur Arbeit.

Wohlstandsverlust in Österreich

Christoph Badelt, Präsident des Fiskalrates, stellte sich den Fragen von Susanne Puller (APA) und Christoph Varga (ORF).

Trittbrettfahrer der Teuerung

Auch zu einem heiklen Thema hat der als Chef des Fiskalrats oberste Wächter über die Staatsfinanzen Vorschläge: zu unbegründeten bzw. vage begründeten und stets bestrittenen Preiserhöhungen, sozusagen im Windschatten der allgemein hohen Teuerungsrate und des Ukraine-Kriegs. Das sei tatsächlich ein Problem, so Badelt, manche Unternehmen hätten die Gunst der Stunde genutzt und ihre Preise erhöht, aber nicht einfach greifbar, lediglich über individuelle Preiskontrollen.

Die Politik könne aber etwa bei Gebühren genauer hinsehen. „Man erkläre mir“, so Badelt, warum etwa die Parkgebühren um die Teuerungsrate erhöht würden. Die hätten schließlich wenig mit Treibstoffpreisen und dergleichen zu tun. Wenn auch umweltpolitisch klug – das „Grundprinzip“, die Situation auszunützen und Gebühren zu erhöhen, erschließt sich dem Wirtschaftsforscher nicht.

Eine Preiskommission einzuführen, wäre nach aktueller Rechtslage eher schwierig. Worum es bei unbegründeten Preiserhöhungen gehe, wäre eine „Nachkalkulation“ bei einzelnen Unternehmen, also nachzurechnen, wie Preise tatsächlich zustande kommen. „Ein bisschen Druck ausüben hätte nicht geschadet“, sagte Badelt.

Ein „Hammer“

Beim Thema Mietpreis, konkret der mit April kommenden Anhebung der Richtwertmieten um die Jahresinflation 2022 (8,6 Prozent) – vorbehaltlich, die Regierung beschließt nicht noch etwas anderes – plädierte der frühere WIFO-Chef für einen „sehr pragmatischen Kompromiss“. Den sieht er in einer Aufteilung auf drei Jahre, wie er politisch bereits einmal im Gespräch war.

Wenn jemand in einer wirtschaftlich schwierigen Situation ist, seien 8,6 Prozent schon ein „Hammer“. Auf der anderen Seite müsse aber auch die Kostensituation der Eigentümerinnen und Eigentümer, etwa durch Instandhaltung und Reparaturen, berücksichtigt werden.

Für Kompromiss und „intelligenteren Indikator“ bei Mieten

Badelt plädierte überhaupt für eine andere Messlatte zur Wertsicherung der Mieten als sie der Verbraucherpreisindex ist. Die Orientierung daran sieht er als nicht optimal und erklärte das auch an einem Beispiel. Orientiert sich der Anstieg der Mietpreise an der Inflationsrate, zahle der Mieter bzw. die Mieterin faktisch doppelt: wegen der hohen Treibstoffpreise erst an der Tankstelle, und dann, weil dieselben Treibstoffpreise auch die generelle Teuerungsrate nach oben treiben, noch einmal beim Wohnen.

Diskussion über Mietpreisdeckel

Christoph Badelt, Präsident des Fiskalrates, stellte sich den Fragen von Susanne Puller (APA) und Christoph Varga (ORF).

Man sollte sich überlegen, ob man die Mietpreise „nicht an einen neu zu konstruierenden, intelligenten Indikator“ koppeln wolle. Einen Mitpreisdeckel von zwei Prozent, wie er gefordert wird, halte er für sachlich nicht gerechtfertigt, so Badelt.

„Gießkanne“ und Treffsicherheit

Nicht zum ersten Mal übte Badelt auch Kritik am Prinzip „Gießkanne“ bzw. mangelnde Treffsicherheit der Maßnahmen gegen die hohe Inflation. „Ja, die Regierung ist mir ein bisschen zu viel mit der Gießkanne herumgelaufen“, sagte er auf entsprechende Nachfrage, schränkte aber ein, dass Wirtschaftsforscherinnen und -forscher es leicht hätten, zu kritisieren. Der Energiekostenzuschuss II (EKZ II) für Unternehmen sei „sicher nicht fokussiert“ oder fokussiert genug gewesen, sagte Badelt.

Der Fiskalrat hatte sich erst vor Kurzem kritisch zu dem Zuschuss geäußert. Insbesondere in der ersten Förderstufe mangle es an Treffsicherheit, und das Risiko einer Überförderung sei gegeben. Weiters rechnet er mit deutlich höheren Belastungen für das Budget, als vom Finanzministerium veranschlagt wurde.

Staatsschulden: „Wir müssen da wirklich aufpassen“

Bei den Themen Staatsschulden und Budgetdefizit verwies Badelt auf einen starken Anstieg Ende 2022. In der ursprünglichen Prognose 2023 sei das Budgetdefizit mit zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) veranschlagt gewesen. Dann habe die Bundesregierung „so viel teure Maßnahmen beschlossen“, dass die Prognose auf 3,5 Prozent revidiert werden hätte müssen.

Steigende Staatsschulden

Christoph Badelt, Präsident des Fiskalrates, stellte sich den Fragen von Susanne Puller (APA) und Christoph Varga (ORF).

„Wir müssen da wirklich aufpassen“, so der frühere WIFO-Chef. Man werde „mit dem Defizit zurückfahren müssen“, aktuell höre man aber ständig mehr über Maßnahmen, die den Staatshaus be- statt entlasteten. Man müsse „mit der Politik des leichten Geldes“ auch wieder einmal aufhören.

Für Vermögenszuwachssteuer, gegen Vermögenssteuer

Badelt plädierte in der „Pressestunde“ auch für Vermögenszuwachssteuern, nicht aber für Steuern auf Bestandsvermögen. Wenn man den Faktor Arbeit entlasten will, dann stelle sich die Frage, woher anderes Geld kommen könnte. „Eine Vermögenszuwachssteuer halte ich für gesellschaftspolitisch für sehr vernünftig“, so Badelt. Das könnte man „noch ein Stück verstärken“ – unter Berücksichtigung von Unternehmensübergaben.

Förderung von Eigentum

Christoph Badelt, Präsident des Fiskalrates, stellte sich den Fragen von Susanne Puller (APA) und Christoph Varga (ORF).

Er denke aber auch an eine Änderung der Grundsteuer, sagte Badelt. Diese orientiert sich ja am – niedrigen – Einheitswert, hier könnte man „nachbessern“. Für einen „Fehler“ hält er die beschlossene Reduzierung der Körperschaftssteuer (KÖSt), die 2023 von 25 auf 24 Prozent und 2024 dann auf 23 Prozent gesenkt wird. „Wenn man die Unternehmen entlasten will, dann bitte doch bei den Lohnnebenkosten“, sagte Badelt, der von einem „unseligen“ europäischem Wettbewerb in Sachen KÖSt-Senkung sprach.

Mahnung zu Vorsicht bei Debatte über Sozialleistungen

Zum Thema Pensionen merkte der Fiskalratschef an, am Ende des Tages müsse die steigende Lebenserwartung zu einem steigenden Pensionsantrittalter führen, dabei gehe es auch um das gesetzliche Antrittsalter, nicht nur um das faktische. Man müsste aber sozial ausgleichen, verwies er auf unterschiedliche Berufssparten, die etwa körperlich stärker belastet sind.

Zum Vorschlag von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), nur für jene die volle Berechtigung auf Sozialleistungen zu gewähren, die durchgehend fünf Jahre in Österreich leben, zeigte sich Badelt skeptisch. Man müsse „sehr, sehr aufpassen, dass man nicht in eine Stimmung komme, wo sich alles gegen Ausländer richtet“. Er sei sich nicht ganz sicher, an welche Sozialleistungen Nehammer gedacht hat. „Wo das allenfalls abzielen könnte, wäre eventuell die Familienbeihilfe, oder der ganze Bereich der Sozialhilfe. Und da bin ich schon sehr, sehr skeptisch.“ Denn de facto würde das bei der Familienbeihilfe zu einer schwerwiegenden Armutszunahme von Kindern führen, betonte er.

Und zur Sozialhilfe sagte Badelt, diese sei „das unterste Sicherheitsnetz, das wir haben“. Diese sei dazu da, Menschen ökonomisch lebensfähig zu halten, die kein anderes Einkommen haben. „Und wenn Sie denen jetzt, weil sie Ausländer sind, die Hälfte wegnehmen für die ersten fünf Jahre, dann möchte ich gern wissen, wovon die dann leben werden.“

„Dass sich Leute das Leben nicht mehr leisten können“

Zu der von Nehammer neuerlich aufgestellten Forderung nach der regierungsintern gescheiterten Arbeitslosengeldreform, nach der man in der ersten Phase mehr Geld bekommen soll, dieses dann aber „deutlich“ abgesenkt werden soll, sagte Badelt, das halte er schon für vernünftig – insbesonders, wenn man mit höherem Arbeitslosengeld anfängt. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass man beim „Runterfahren“ des Arbeitslosengeldes dann in Höhen kommen würde, „dass sich Leute das Leben nicht mehr leisten können“.

Alle sehen sich bestätigt

Die SPÖ sah sich durch die Aussagen von Badelt bestätigt. „Badelt vernichtet die Budgetpolitik der Regierung, die zu mehr Ungleichheit führt und mit der der Großteil der Menschen in unserem Land nicht oder zu wenig entlastet wird“, sagte SPÖ-Budgetsprecher Jan Krainer. Und er ergänzte: „Statt Geld weiter wirkungslos beim Fenster rauszuschmeißen, sollte die Regierung endlich wirklich die Teuerung bekämpfen und insgesamt für mehr Verteilungsgerechtigkeit sorgen.“

Ähnlich äußerte sich NEOS: „ÖVP und Grüne müssen rasch die Gießkanne einpacken und nur noch gezielt dort helfen, wo es wirklich nötig ist“, sagte NEOS-Wirtschaftssprecher Gerald Loacker. Er bekräftigte: „ÖVP und Grüne müssen die Geldgeschenke einstellen und stattdessen die Weichen für eine Politik stellen, die auch die nächsten Generationen mitdenkt und den Faktor Arbeit nachhaltig entlastet.“

Allerdings sah man sich auch bei der ÖVP durch Badelt bestärkt. Badelt habe die Ziele von Bundeskanzler Nehammer gutgeheißen – „wie zum Beispiel beim Thema Wohnen: Es braucht Unterstützung für die Menschen in der Krise, das erreichen wir allerdings nicht über populistische Forderungen nach einem allgemeinen Mietpreisdeckel“, sagte Generalsekretär Christian Stocker.