Nie zuvor hat ein deutscher Film bei den Oscars in Los Angeles so viel gewonnen wie die Netflix-Produktion „Im Westen nichts Neues“. Das zweieinhalbstündige Antikriegsepos von Edward Berger gewann bei neun Nominierungen die Trophäen für Musik, Kamera, Szenenbild und als bester internationaler Film.
„Was ich wahnsinnig schön finde: dass es vier Oscars sind. Das ist natürlich mehr, als wir uns je erhofft haben. Wir haben auf einen gehofft“, sagte Regisseur Berger nach der Oscar-Gala, die diesmal ohne Eklat auf offener Bühne vonstattenging. Grünen-Kunst- und -Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer gratulierte Kammerer per Aussendung: „Felix Kammerer trägt mit seiner eindringlichen Darstellung der Figur Paul Bäume diese Erzählung über die Sinnlosigkeit und Brutalität des Krieges. Er bringt österreichische Schauspielkunst in die Welt – dafür möchte ich ihm meinen Dank und meine Anerkennung aussprechen.“
Berger hob in seiner Ansprache vor allem die Leistung Kammerers hervor: "Es war dein erster Film – und du hast uns auf deinen Schultern getragen. Ohne dich wäre der Film nichts gewesen. Danke für deine wundervolle Arbeit.“ Kammerer war die Freude darüber deutlich anzusehen. Ein Oscar blieb Österreich jedoch verwehrt: Die verdiente Nominierung von Monika Willi für ihren Schnitt von „Tar“ führte nicht zum Preis.
„Everything Everywhere All at Once“ räumte ab
Der große Sieger des Abends hieß freilich „Everything Everywhere All at Once“: Die Regisseure Daniel Kwan und Daniel Scheinert wurden sowohl für ihre Regie als auch für das Drehbuch ausgezeichnet, Michelle Yeoh als beste Hauptdarstellerin, Paul Rogers für den Schnitt, Jamie Lee Curtis als beste Nebendarstellerin, Ke Huy Quan als bester Nebendarsteller.
Scheinert brach in seiner Ansprache eine Lanze für Diversität, indem er seinen Eltern dafür dankte, dass sie ihn als Kind in „Frauenzeug“ herumrennen ließen: „Ich war für niemanden eine Gefahr.“ Kwan wiederum ließ seiner Freude freien Lauf: „Das ist nichts Normales. Das ist völlig abgefahren. Das ist völlig verrückt.“
Yeohs „Superheldinnen“
Yeoh, die erste asiatischstämmige Schauspielerin, die je den Hauptrollen-Oscar gewonnen hat, widmete den Preis „all den kleinen Buben und Mädchen, die so wie ich aussehen: Das ist der Beweis, dass es sich auszahlt, Träume zu haben.“ Und sie widmete den Preis auch den Frauen: „Ladys, lasst euch von niemandem sagen, dass eure Blütezeit vorbei ist. Ich widme diesen Oscar meiner Mutter. Denn alle Mütter sind Superheldinnen und ohne sie wären wir nicht hier. Meine Mama schaut zu, und ich bringe ihr den Oscar mit.“
Ke Huy Quan hielt die wohl schönste Oscar-Rede des Abends. Als Bootsflüchtling sei er in Amerika angekommen, jetzt stehe er auf der Bühne – wo er in das Mikrofon brüllte: „Mama, ich habe gerade den Oscar gewonnen, kannst du das glauben?“
Auch Curtis zeigte große Gefühle. Sie bedankte sich bei den Tausenden Menschen, die ihr im Laufe ihrer Karriere geholfen haben. Überraschend: Es war Curtis‘ erste Nominierung.
Brendan Fraser bester Hauptdarsteller
Der Oscar für den besten Hauptdarsteller ging an Brendan Fraser, der in „The Whale“ einen schwer übergewichtigen Mann spielte. Er war tief bewegt. Den Film zu drehen sei wie Tauchen gewesen: „Man kam zur Oberfläche und sah das Licht.“ Adrien Morot, Judy Chin und Annemarie Bradley wurden dafür ausgezeichnet, Fraser für „The Whale“ geschminkt zu haben.
Kimmels Witzkiste
Als erster Star des Abends war zuvor Regisseur Guillermo del Toro für „Pinocchio“ mit dem Preis für den besten Animationsfilm geehrt worden. Was die Moderation betrifft, setzte man, nachdem Chris Rock letztes Jahr polarisiert und eine Ohrfeige von Will Smith kassiert hatte, heuer mit Jimmy Kimmel wieder auf eine sichere Bank.
Seine Witze waren böse, aber nur ein wenig. Warum drehte Steven Spielberg mit „The Fabelmans“ einen Film über sich selbst? „Weil ihm sonst nichts mehr einfällt.“ Das ist keine Watsche wert. Und, so Kimmel in Anspielung auf Smith: Wer auch immer diesmal Gewalt anwende, werde mit einem Oscar belohnt.
Programmhinweis
Montagabend bringt „kulturMontag“ einen Nachbericht zur Preisverleihung – mehr dazu in tv.ORF.at.
Der Preis für den besten Dokumentarfilm ging wenig überraschend an das Team von „Navalny“. Mit auf der Bühne war die Ehefrau des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny, Julija Nawalnaja. Sie sorgte mit ihrer Ansprache für den emotionalsten Moment des Abends: „Alexej ist eingesperrt, er ist in Haft, nur weil er die Wahrheit sagt, nur weil er die Demokratie verteidigt. Ich träume von dem Tag, an dem du frei sein wirst, an dem das Land frei sein wird. Bleib stark, meine Liebe!“
Aufregung über den Teppich
Schon kurz vor der Zeremonie gab es im Dolby Theatre in Los Angeles große Aufregung: Zum ersten Mal seit 1960 wurde die Farbe des Teppichs im Eingangsbereich geändert. Heuer war er nicht klassisch rot – sondern champagnerfarben.
Das sorgte für Ärger bei den Managementteams der Stars. Schließlich wurden die Roben extra so ausgesucht, dass sie sich gut vom üblichen Rot abheben. Laut Veranstaltern soll der Teppich an einen Strand im Sonnenuntergang erinnern, an dem man ein Glas Champagner trinkt – und er soll beruhigend wirken. Das funktionierte weniger gut.
Zuvor hatte auf dem champagnerfarbenen Teppich die meisten Blicke von den Stars Fan Bingbing auf sich gezogen, die in „The 355“ neben Penelope Cruz, Lupita Nyong’o und Jessica Chastain spielt. Sie trug ein silberfarbenes Kleid, das von einer körpergroßen grünen Masche umgeben war, und erinnerte damit an einen Schmetterling.
Hugh Grant: „Ein Anzug halt“
Curtis wiederum trug ein schlichtes Glitzerkleid, das, genauso wie der Anzug von Samuel L. Jackson, in der Teppichfarbe Champagner gehalten war. Die beiden waren fast unsichtbar. Dem ganzen Jahrmarkt der Eitelkeiten entzog sich Hugh Grant. Auf die Frage, was er da trage, sagte er lapidar: „Einen Anzug halt. Den Namen des Schneiders habe ich vergessen.“ Den seinen hat Dwayne Johnson sicher nicht vergessen: Sein zartrosafarbener Satinanzug wird in Erinnerung bleiben, nicht nur ihm.
Angela Bassett, die in „Black Panther: Wakanda Forever“ die Königsmutter Ramonda spielt, sah jedenfalls in ihrem violetten Kleid spektakulärer aus, vor allem wegen ihrer silbernen Schlangenhalskette. Der Halsschmuck bleibt auch von „Elvis“-Regisseur Baz Luhrmann in Erinnerung: ein riesiger grüner Stein auf einer silberfarbenen Platte. Yeoh hingegen setzte auf Schlichtheit, sie trat in einem weißen Rüschenkleid auf. Ebenfalls schlicht und ebenfalls würdig war Michael B. Jordans glänzend-samtiges Outfit von Louis Vuitton.
Viel Schmachten bei den Showeinlagen
Die Showeinlagen des Abends werden nicht in die Geschichte eingehen. Rihanna sang einen schönen „Wakanda“-Kitschsong mit viel „I need love“, eine ungeschminkte Lady Gaga griff mit ihrer Ballade „Hold My Hand“ aus „Top Gun: Maverick“ tief in die Gefühlskiste.
Viel tat sich auf der Bühne bei „Naatu Naatu“, dem ersten indischen Filmsong, der jemals für einen Oscar nominiert wurde. Mehr Energie geht nicht – und die Hollywood-Stars im Publikum johlten. Ein Publikumsliebling war auch David Byrnes Hotdog-Finger im Song „This Is A Life“ aus "Everything Everywhere All at Once“. Lenny Kravitz langweilte mit einem mäßig gefühlvollen Song, der die alljährliche Nachruf-Sektion verstorbener Stars begleitete.