Wahlplakat in Moldawien 2019
AP/Vadim Ghirda
Moskaus langer Arm

Moldawien ringt mit Oligarchen

Proteste gegen die proeuropäische Regierung, Warnungen vor einem russischen Staatsstreich und ein von Russland gesteuertes Netzwerk in Moldawien: Russland ringt um Einfluss in dem 2,6-Mio.-Einwohner-Land, das seit vergangenem Jahr wie auch die Ukraine offiziell EU-Beitrittskandidat ist und dessen Regierung stark Richtung EU strebt. Sprachrohr des Kreml und Ausführender von dessen Interessen ist der 35-jährige Oligarch Ilan Shor.

Die moldawische Präsidentin Maia Sandu, seit 2020 im Amt, versucht mit der langen Tradition des Einflusses durch Oligarchen zu brechen und das Land auf einen EU-Beitritt vorzubereiten. Dieser proeuropäische Weg missfällt Russland. „Moskau versucht seit mehreren Jahren, ein Regime zu errichten, das ihm wohlgesonnen ist“, sagte Ryhr Nizhnikau, Experte für die Länder der ehemaligen Sowjetunion am finnischen Institut für internationale Angelegenheiten, im Interview mit dem französischen TV-Sender France24.

Die Meldungen mutmaßlicher russischer Destabilisierungsversuche häufen sich. Erst am Sonntag wurde bekannt, dass die moldawische Polizei ein von Russland gesteuertes Netzwerk aufdeckte, das den Ermittlungen zufolge die Stabilität Moldawiens schwächen wollte. Von der EU gab es dazu bisher keine Stellungnahme. Im Februar warnte Sandu vor einem geplanten Staatsstreich durch Russland. Moskau dementierte.

Die moldawische Präsidentin Maia Sandu
Reuters/Vladislav Culiomza
Die moldawische Präsidentin Maia Sandu will das Land in die EU führen

USA: Verbindungen zu russischem Geheimdienst

Vergangene Woche gab der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats des Weißen Hauses, John Kirby, unter Berufung auf Geheimdienstinformationen bekannt, dass Akteure versuchten, Proteste in Moldawien zu inszenieren und als Grundlage für einen Aufstand gegen die prowestliche Regierung des Landes zu nutzen. Einige dieser Akteure hätten Verbindungen zum russischen Geheimdienst.

Falsch sei auch die von Russland verbreitete Information, dass die Ukraine eine Invasion der abtrünnigen Region Transnistriens plane. Das sei falsch, betonte Kirby und würde „unbegründeten Alarm auslösen“. Die moldawische Regierung sieht keine „unmittelbare militärische Gefahr“ von Russland, sieht aber andere Risiken für die Sicherheit des Landes etwa durch „hybride Kriegsführung“. Russland erzeuge „Desinformation, Spannungen innerhalb unserer Gesellschaft“, sagte der moldawische Verteidigungsminister Anatolie Nosatii am Montag.

Hohe Abhängigkeit von Russland

Seit Wochen gehen Tausende Menschen vor allem in der moldawischen Hauptstadt Chisinau auf die Straße. Sie fordern die Absetzung der proeuropäischen Regierung und Unterstützung bei den immens gestiegenen Energiekosten. Das schon vor dem Ukraine-Krieg als Armenhaus Europas bezeichnete Land kämpft mit den Auswirkungen der russischen Invasion im Nachbarland. Denn Moldawien ist wirtschaftlich, etwa beim Gas, und geopolitisch, bei der ungelösten Transnistrien-Frage, abhängig von Russland.

Demonstration der Opposition in Moldawien
IMAGO/TASS/Veniamin Demidetsky
Einige Teilnehmende der prorussischen Proteste sollen dafür entlohnt worden sein

Die Energiepreise explodierten im Zuge des Kriegs, da die Lieferungen aus Russland zu einem Großteil gekappt wurden. Stromausfälle gehören inzwischen zum Alltag, denn auch die Ukraine musste Energielieferungen ins Ausland einstellen, die Unterstützung aus Rumänien reichte nicht immer aus.

Honorar für Protestteilnahme

Der Oligarch Shor spielt mit der Unzufriedenheit der Menschen durch die wirtschaftliche Krise und nimmt eine wesentliche Rolle bei den Protesten ein. Er gilt als Finanzier der Demonstrationen. Erst vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass Shor mit mehreren Anzeigen auf Facebook zu Protesten aufrief, obwohl er wegen Vertretung russischer Interessen auf der US-Sanktionsliste steht. Zwar wurden die Postings von Meta nach einiger Zeit entfernt, allerdings wurden die Einträge zuvor millionenfach gesehen.

Demonstrierende gaben gegenüber Journalisten und Journalistinnen immer wieder freimütig zu, für die Teilnahme an den Protesten bezahlt zu werden. Vergangene Woche fand die Antikorruptionsbehörde bei „Kurieren“ der oppositionellen Shor-Partei zudem umgerechnet rund 150.000 Euro. Dieses sollte „für den Transport und die Entlohnung von Personen, die zu den von der Partei organisierten Protesten kommen, verwendet werden“, hieß es von der Behörde, wie die Nachrichtenagentur AP berichtete.

„Auslöser für Krise“

„Die Russen hoffen, dass er zumindest als Auslöser für eine Krise dienen kann“, so Nizhnikau. Tatsächlich könnte die schlechte wirtschaftliche Lage und die hohe Armut Moldawiens Russland in die Hände spielen, wenn die Protestbewegung dadurch an Fahrt gewinnt. Russland könne dann auf „ein Netzwerk von Beamten und Richtern“ setzen, „die im Lauf der Jahre korrumpiert wurden, und die die Macht von innen heraus stürzen können, wenn Moskau sie dazu auffordert“, analysiert der Experte.

Entscheidend sei, wie sehr die Unzufriedenen von Shor mobilisiert werden könnten. Beobachter sehen auch die EU gefragt, die proeuropäische Regierung gegen die Destabilisierungsversuche zu unterstützen.

Wahlplakat in Moldawien 2019
IMAGO/Le Pictorium/Sadak Souici
Ilan Shor steuert die Antiregierungskampagnen von Israel aus

Oligarch im Exil in Israel

Schätzungen zufolge zählt Shors Vermögen mehrere Millionen Euro. Er besitzt mehrere Unternehmen in Moldawien und war ab 2015 vier Jahre Bürgermeister von Orhei nördlich von Chisinau. Allerdings steuert er die Antiregierungskampagnen inzwischen von Israel aus, um einer Haftstrafe zu entgehen. Er wurde verurteilt, fast eine Milliarde Euro von mehreren Banken veruntreut zu haben.

Shor verfolge keine Ideologie, ist Nizhnikau überzeugt. Er sei ein Populist, der sich „vor allem als Anti-Establishment präsentiert, um die Unzufriedenheit zu bündeln“. Moskau half ihm einem „Washington Post“-Bericht zufolge, die Kontrolle über zwei Fernsehsender zu übernehmen, und unterstützte mit Politikberatern seine Shor-Partei.

Vor Shor setzte Russland auf den 2020 von Sandu abgelösten moldawischen Ex-Präsidenten Igor Dodon. Als Dodon aufgrund von Enthüllungen über Korruptionsfälle diskreditiert wurde, wechselte Moskau zu dem wesentlich jüngeren Shor. Das zeigten vertrauliche Dokumente des russischen Geheimdienstes FSB, die die „Washington Post“ vergangenen Herbst auswertete.

Unruhe rund um Transnistrien

Prorussische Strömungen gibt es in Moldawien schon länger – besonders in der selbsternannten Republik Transnistrien. Völkerrechtlich gehört sie zu Moldawien, wird aber von prorussischen Separatisten kontrolliert. Dort leben Schätzungen zufolge 10.000 bis 15.000 moskautreue Paramilitärs, Russland stationierte bis zu 1.500 Soldaten seiner Streitkräfte. Kürzlich warf Russland Moldawien vor, in der Region eine Invasion zu planen. Chisinau wies den Vorwurf als „Falschinformation“, die Panik und Verwirrung erzeuge, zurück.

Als der Mitte Februar angetretene Premierminister Dorin Recean eine Demilitarisierung Transnistriens und den Abzug der russischen Streitkräfte forderte, annullierte der russische Präsident Wladimir Putin Ende Februar ein Dekret aus dem Jahr 2012 und sorgte damit für Unruhe. Denn dieses hatte zugesichert, die Transnistrien-Frage friedlich unter Wahrung der „Souveränität und territorialen Integrität“ Moldawiens zu lösen.