Luftansicht des entgleisten Güterzugs mit brennenden Waggons in East Palestine, Ohio, USA
AP/Gene J. Puskar
Chemiezug entgleist

Ohio klagt Bahngesellschaft in 58 Punkten

Vor mittlerweile mehr als einem Monat ist im US-Bundesstaat Ohio ein Güterzug, beladen unter anderem mit Chemikalien, entgleist. Gefahrenstoffe flossen aus bzw. verbrannten, die Langzeitfolgen des Unglücks sind schwer einzuschätzen. Das Krisenmanagement sorgt immer noch für Debatten, nun verklagte der Bundesstaat Ohio die verantwortliche Eisenbahngesellschaft Norfolk Southern in 58 Punkten.

Der Generalstaatsanwalt des Bundesstaats machte die Klage am Dienstag (Ortszeit) öffentlich. Er wolle Schadenersatz, Strafen und vor allem eine klare Feststellung, dass Norfolk Southern für die Katastrophe verantwortlich ist, zitierte am Mittwoch etwa der US-Sender CNBC Staatsanwalt Dave Yost.

Die Klage nach dem Zugsunglück in der Gemeinde East Palestine im Nordosten Ohios, nicht weit von der Grenze zu Pennsylvania, Anfang Februar umfasst laut dem Sender bzw. „Washington Post“ ganze 58 Punkte betreffend Verstöße gegen staatliches und föderales Recht für den Umgang mit gefährlichen Stoffen und konkrete Umweltfolgen des Unfalls.

Umstrittene Entscheidung

Der Zug mit insgesamt 150 Waggons war am 3. Februar auf dem Weg von Madison im Bundesstaat Illinois nach Conway in Pennsylvania gegen 9.00 Uhr verunglückt. 38 Waggons entgleisten, elf davon hatten Chemikalien geladen, einige gerieten in Brand und brannten für rund 48 Stunden. Der Inhalt einiger Waggons wurden auf Anordnung der Behörden „kontrolliert“ abgebrannt. Die Frage, wie „kontrolliert“ das tatsächlich war und wie vernünftig die Entscheidung dazu, ist noch immer strittig.

Riesige Rauchsäule über East Palestine, Ohio, USA
AP/Gene J. Puskar
Eine schwarze Rauchwolke hing tagelang über dem Unfallort

Gefährliche Chemikalien in die Luft geblasen

Dabei sollen nach Berichten von US-Medien Chlorwasserstoff und Kohlenoxiddichlorid (unter dem Namen Phosgen als chemischer Kampfstoff aus dem Ersten Weltkrieg bekannt) freigesetzt worden sein. Anrainer und Anrainerinnen in einem Umkreis von 1,6 Kilometern um den Unfallort wurden in Sicherheit gebracht, Rettungsmannschaften aus Ohio, dem benachbarten Pennsylvania und West Virginia waren im Einsatz.

Für Generalstaatsanwalt Yost war das Zugsunglück „absolut vermeidbar“. Er sieht Norfolk Southern in der Pflicht und verwies in einem Statement laut CNBC auf einen Anstieg von 80 Prozent bei Unfällen bei der Bahngesellschaft in den letzten zehn Jahren. Die Bürger von Ohio müssten „für viele Jahre“ mit den Folgen des Unfalls leben.

Yost will Kompensation für die Ausgaben des Bundesstaats, Schäden an der Umwelt, Einsatzkosten und wirtschaftlichen Schaden, den die Bewohner von East Palestine erlitten haben. Geschäfte beklagten Umsatzeinbrüche, weil Menschen die Gegend mieden. Laut der Klage, eingereicht beim U.S. District Court for the Northern District of Ohio (OHND), war der Unfall einer in einer Reihe von zumindest 20 seit 2015 – darunter auch Unfälle mit gefährlichen Gütern.

„Viele Dinge, die wir noch nicht wissen“

Nach dem Unglück und dem „kontrollierten“ Verbrennen der Chemikalien aus dem Zug klagten Anrainer über Beschwerden. Beschäftigte der Bahngesellschaft sagten, hieß es bei CNBC, sie fühlten sich während der Aufräumarbeiten an der Unfallstelle krank.

Künstlicher Damm zur Wasserfilterung in einem Fluss in East Palestine, USA
IMAGO/MediaPunch/mpi34
Angst vor langfristigen Umweltfolgen

Laut der Klage vor dem Gericht in Ohio gerieten nach dem Entgleisen des Güterzugs Chemikalien im Boden, darunter das als krebserregend geltende Vinylchlorid, über Oberflächenwasser könnten sie in den Fluss Ohio gelangen. Es gebe „viele Dinge, die wir noch nicht wissen“, sagte Yost, etwa ob es Langzeitfolgen für die Landwirtschaft gebe.

Angst vor Wertverlust bei Immobilien

Besitzer von Häusern und Wohnungen befürchteten, dass sie ihre Immobilien nie mehr verkaufen würden können, weil niemand in die Gegend ziehen wolle und sie damit praktisch wertlos sind. Von Norfolk Southern hieß es, man werde Lösungen zur Kompensation möglicher Langzeitfolgen suchen, inklusive des Wertverlusts bei Immobilien.

Staatsanwalt Yost verlangt ein langfristiges Monitoring von Boden- und Grundwasserproben. Besonders das Verbrennen der Chemikalien aus einigen Tankwaggons, um laut „Washington Post“ akute Explosionsgefahr zu vermeiden, drei Tage nach dem Unglück, hatte für Proteste gesorgt.

Untersuchung bei Norfolk Southern wegen Unfällen

Der Vorstandsvorsitzende von Norfolk Southern, Alan Shaw, versprach zuletzt vor einem Ausschuss des US-Senats in Washington, dass die Bahngesellschaft den Unfallort vollständig aufräumen werde, und entschuldigte sich für die Folgen des Unglücks. Das Unglück sei „ein episches Disaster“ gewesen, sagte Yost, und „das Aufräumen wird teuer werden“.

Brennende Wagons
AP/Gene J. Puskar
Bilder wie aus einem Krieg am Unfallort

Die US-Behörden kündigte gleichfalls letzte Woche eine Sonderuntersuchung zur Sicherheitsbilanz von Norfolk Southern an. Sie werde „angesichts der Anzahl und der Bedeutung jüngster Unfälle“ die Sicherheitskultur der Bahngesellschaft untersuchen, erklärte die Verkehrssicherheitsbehörde National Transportation Safety Board (NTSB).

Die Ankündigung erfolgte unmittelbar, nachdem ein Bahnmitarbeiter bei einem Arbeitsunfall ums Leben gekommen war – dem dritten Vorfall dieser Art bei Norfolk Southern seit 2021. „Das NTSB ist besorgt, dass mehrere organisatorische Faktoren an den Unfällen beteiligt sein könnten, einschließlich der Sicherheitskultur“, hieß es in der Erklärung. Die Behörde verwies dabei auf fünf schwere Unfälle: drei arbeitsbedingte Todesfälle seit Dezember 2021 und zweimal entgleiste Züge in diesem Jahr, darunter der mit giftigen Chemikalien beladene Güterzug.