Wann der Besuch in Mariupol stattgefunden hat, ist Medienberichten zufolge offen. Kreml-Angaben zufolge flog Putin mit einem Helikopter nach Mariupol. Nach seiner Ankunft habe er sich bei einer Rundfahrt über die Lage informiert und sich auch mit Bewohnern der Stadt unterhalten, berichtete die russische Staatsagentur TASS weiter. Russlands stellvertretender Regierungschef Marat Chusnullin habe Putin über den Stand der Wiederaufbauarbeiten informiert. Das Ausmaß der Zerstörung der Stadt war bei Putins nächtlichem Mariupol-Auftritt nicht zu sehen.
Das russische Staatsfernsehen zeigte den 70-Jährigen am Steuer eines Autos beim Fahren durch die nächtliche Stadt. In einer vom russischen Militär aufgebauten Neubausiedlung habe er eine Familie in ihrem Haus besucht. Auch bei einem Jachtclub und beim Theatergebäude habe sich Putin aufgehalten, berichtete die Agentur Interfax.

Mariupol am Asowschen Meer war seit Beginn des Krieges Ende Februar 2022 unablässig von Russland bombardiert und belagert worden. Am 21. April verkündete Moskau die Einnahme der Hafenstadt. Rund 2.000 ukrainische Kämpfer verschanzten sich danach fast einen Monat lang im weitläufigen Stahlwerk Asow-Stahl in Mariupol, bevor die Regierung sie im Mai aufforderte, sich den Russen zu ergeben, um ihr Leben zu retten. Nach Angaben Kiews wurden 90 Prozent der Stadt zerstört und mindestens 20.000 Menschen getötet.
Treffen mit Militärspitze
Mariupol gehört zu Donezk – einer von vier Regionen, die Russland im September zu russischem Staatsgebiet erklärt hat. Die Regierung in Kiew und ihre Verbündeten sprechen von einer illegalen Annexion und von einem Angriffskrieg Russlands. Die Führung in Moskau bezeichnet das Vorgehen als Spezialoperation mit dem Ziel, militärische Kapazitäten in der benachbarten Ex-Sowjetrepublik zu zerstören sowie gegen als gefährlich eingestufte Nationalisten vorzugehen.

Russische Medien berichteten am Sonntag zudem, dass sich Putin mit der Führungsspitze seiner Militäroperation, darunter auch Generalstabschef Waleri Gerassimow, getroffen habe. Die Begegnung fand im Kommandoposten Rostow am Don in Südrussland statt, wie TASS berichtete.
Putin in Mariupol
Russlands Präsident Wladimir Putin hat laut Angaben des Kreml Mariupol einen „Arbeitsbesuch“ abgestattet. Die von Russland besetzte ukrainische Hafenstadt wurde im russischen Angriffskrieg über Monate bombardiert und zum Großteil zerstört.
Neunter Jahrestag von Krim-Annexion
Anlass für Putins Besuch auf der Krim war zuvor der neunte Jahrestag der international nicht anerkannten russischen Annexion der Krim. Das Staatsfernsehen verbreitete unter anderem Bilder, auf denen der Kreml-Chef in Begleitung des örtlichen Gouverneurs Michail Raswoschajew bei der Eröffnung einer Kunstschule für Kinder in Sewastopol zu sehen war.

Es ist der erste Besuch des russischen Präsidenten auf der Krim zum Jahrestag der Annexion seit 2020. Seit Beginn des von ihm befohlenen Angriffskrieges gegen die Ukraine meidet der russische Präsident allgemein frontnahe Gebiete. Ende 2022 testete er immerhin die Befahrbarkeit der Krim-Brücke, die durch einen Anschlag im Herbst schwer beschädigt worden war.
Ukraine wirft Putin Zynismus vor
Die ukrainische Regierung verurteilte Putins Besuch in Mariupol schärfstens. „Verbrecher kehren immer an den Tatort zurück“, schrieb der Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Michailo Podoljak, am Sonntag auf Twitter. „Der Mörder von Tausenden von Familien in Mariupol kam, um die Ruinen der Stadt und ihre Gräber zu bewundern. Zynismus und mangelnde Reue“, fügte er hinzu.
Das ukrainische Verteidigungsministerium erklärte, Putin habe die durch russische Bombardements weitgehend zerstörte Stadt im Schutze der Nacht besucht, „so wie es sich für einen Dieb gehört“. Die Dunkelheit habe es ihm ermöglicht, die Stadt „und ihre wenigen überlebenden Einwohner vor neugierigen Blicken“ zu schützen.
Auch der Exil-Stadtrat von Mariupol erklärte, Putin habe die Stadt offenbar bei Nacht besucht, „um die durch seine ‚Befreiung‘ vernichtete Stadt nicht bei Tageslicht zu sehen“. Der Stadtrat bezeichnete den russischen Präsidenten als „internationalen Verbrecher“.
IStGH-Haftbefehl gegen Putin
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hatte am Freitag einen Haftbefehl gegen Putin erlassen. Reisen ins Ausland könnten für Putin deshalb künftig schwieriger und riskanter werden. Die Ausstellung des Haftbefehls wurde von führenden westlichen Politikern erwartungsgemäß begrüßt. US-Präsident Joe Biden bezeichnete die Entscheidung als „sehr starkes Signal“, der ukrainische Präsident Selenskyj sprach von einer „historischen Entscheidung“.
Der Haftbefehl des Gerichts war am Freitag wegen der Verschleppung Tausender ukrainischer Kinder nach Russland im Ukraine-Krieg ergangen. Putin sei mutmaßlich „persönlich verantwortlich“ für die „unrechtmäßige Deportation“ der ukrainischen Kinder auf russisches Territorium, erklärte der IStGH, und sprach von einem Kriegsverbrechen. Auch gegen die Kinderrechtsbeauftragte des russischen Präsidenten, Maria Alexejewna Lwowa-Belowa, wurde ein Haftbefehl erlassen.
Mehr Risiko bei Reisen in Vertragsstaaten
Moskau bezeichnete den Haftbefehl als „bedeutungslos“, da es die Zuständigkeit des Gerichts nicht anerkennt. Laut Chefankläger Karim Khan könnte Putin nun verhaftet werden, wenn er in einen der 123 Vertragsstaaten des IStGH reist. Allerdings ist das Gericht dabei auf deren Kooperation angewiesen, da es über keine eigenen Polizeikräfte zur Umsetzung des Haftbefehls verfügt.
Bereits in der Vergangenheit haben die Länder nicht immer kooperiert – vor allem, wenn es sich um einen amtierenden Staatschef handelte. Allerdings könnte ein Besuch Putins für solche Länder auch einen Imageschaden bedeuten, und es könnte die Beziehungen zu westlichen Ländern belasten. Ob der Haftbefehl tatsächlich eine Wirkung entfalten wird und wenn ja, welche, ist derzeit freilich noch offen.
Neue Sanktionen gegen Russland, Syrien und den Iran
Der ukrainische Präsident Selenskyj kündigte indes neue Sanktionen seines Landes gegen Russland und dessen Verbündete Iran und Syrien an. „Die ukrainischen Sanktionen sind Teil des globalen Drucks auf Russland“, sagte der 45-Jährige am Samstag in seiner täglichen Videoansprache. 400 Personen und Firmen seien von der Maßnahme betroffen, sagte Selenskyj.
Er machte in seiner Videobotschaft die Passivität der Weltgemeinschaft in Syrien vor einigen Jahren, als Putin dort Präsident Baschar al-Assad mit seinen Bomben an der Macht hielt, für den Beginn des Krieges in der Ukraine verantwortlich. „Die Menschen in Syrien haben keinen angemessenen internationalen Schutz erhalten, und das hat dem Kreml und seinen Komplizen das Gefühl gegeben, straffrei zu sein.“
„Es gibt nur einen Weg, das Leben zu schützen – es ist notwendig, die russische Armee von ukrainischem Boden zu vertreiben. Und wir werden es tun“, versprach Selenskyj. In seinem Wochenfazit wähnte er sein Land dazu auf einem guten Weg. So habe die Ukraine ein neues Rüstungspaket mit Munition, Artillerie und Kampfflugzeugen aus dem Westen bekommen. Zudem habe es in größerer Runde Verhandlungen mit den USA über weitere Rüstungshilfe gegeben, erklärte der ukrainische Staatschef.