Innenminister Gerhard Karner und Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler
APA/Roland Schlager
Rückzahlung von CoV-Strafen

ÖVP-Zweifel an Plänen in Niederösterreich

Im niederösterreichischen Arbeitsübereinkommen zwischen ÖVP und FPÖ sind Rückzahlungen von Strafen für Verstöße gegen die Lockdown-Regeln in den CoV-Jahren vorgesehen. Rechtsexpertinnen und -experten zweifeln allerdings an der Umsetzbarkeit dieser Maßnahme, für die das Land 30 Millionen Euro in die Hand nehmen will. Skeptisch zeigten sich auch Verfassungsministerin Karoline Edtstadler und Innenminister Gerhard Karner (beide ÖVP).

Laut dem Arbeitsübereinkommen sollen jene Strafen, die auf Grundlage von Bestimmungen, die später vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurden, vom Land zurückerstattet werden. „Für mich geht sich das weder als Juristin noch als Verfassungsministerin aus“, sagte Edtstadler gegenüber der „Krone“ (Onlineausgabe) am Sonntag.

Auch Karner hatte in der ORF-„Pressestunde“ am Sonntag eingeräumt, dass die Rückzahlung rechtlich schwierig werden könnte. Es gehe aber darum, in der Pandemie entstandene Gräben zuzuschütten. Darüber hinaus hatte Karner das auf große Kritik stoßende schwarz-blaue Bündnis in Niederösterreich verteidigt. Man solle die Zusammenarbeit „an ihren Taten messen“, sagte er.

Bund: Keine Rückzahlung von CoV-Strafen

Die Bundesregierung betont, dass keine bundesweite Regelung zur Rückzahlung von CoV-Strafen kommen wird. Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grünen) und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) haben rechtliche Bedenken.

Seitens des grünen Koalitionspartners im Bund äußerte auch Gesundheitsminister Johannes Rauch am Sonntag in der ORF-Diskussionssendung „Im Zentrum“ Bedenken. „Ich halte das für schwierig, sage ich ganz offen dazu“, so Rauch. „Auch die Art und Weise, wie das aufgesetzt ist: Da gibt es verfassungsrechtliche Bedenken und vieles mehr.“

FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz verwies in einer Aussendung darauf, dass die Rückzahlung von CoV-Strafen gemeinsam mit Fachexperten bei den Verhandlungen geprüft worden sei. „Die Rückzahlung geht, wird passieren und ist nur gerecht“, so Schnedlitz – mehr dazu in noe.ORF.at.

Verfassungsjuristen: Fehlende Rechtsgrundlage

Verwaltungsrechtsexperte Peter Bußjäger ortete im Ö1-Mittagsjournal in Bezug auf die geplante Rückerstattung der Strafen Probleme bei der praktischen Umsetzung. Es seien viele Fragen offen.

Der Verfassungsjurist Karl Stöger äußerte in der ZIB1 Samstagabend ebenfalls Zweifel an der Umsetzbarkeit eines der zentralen Punkte in diesem Kapitel und sieht rechtlich eine „ziemliche Herausforderung“. Die Strafen seien vom Land allerdings im Namen des Bundes verhängt worden, so Stöger. Letztlich müsse daher der Bund entscheiden, ob zurückgezahlt werde. Außerdem sei nicht klar, ob es dafür eine ausreichende Rechtsgrundlage gebe, so Stöger.

Auch laut Verfassungsjurist Heinz Mayer fehlt die Rechtsgrundlage für eine solche Rückzahlung. Denn dass nur Strafen jener Bescheide, deren Grundlage vom VfGH als rechtswidrig aufgehoben wurde, rückerstattet werden sollen, ändere daran nichts, so Mayer gegenüber der „Presse“. Solche Aufhebungen hätten nur Wirkung für die Zukunft, nicht aber rückwirkend.

30 Millionen und viele Anwendungen

Offen ist, wie bewusst ÖVP und FPÖ die möglichen Probleme bei der Umsetzung waren oder sind. Wie Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) am Wochenende im Interview mit der „Krone“ sagte, sehe sie im CoV-Fonds „eine Chance, die Gräben zu schließen“. Die Rückzahlung der Strafen gelte nur für jene Gesetze, die der Verfassungsgerichtshof aufgehoben hat. „Das halte ich auch wirklich für gerecht. Der Fonds soll Schäden der Pandemie abdecken – von Long Covid bis zu anderen psychologischen Schäden.“

Offen bleibt in der Arbeitsübereinkunft allerdings, wie Zahlungen aus dem geplanten Fonds, der für die nächsten beiden Jahre mit immerhin 30 Mio. Euro gefüllt wird, erfolgen werden. Neben einer Überprüfung der Maßnahmen soll dieses Geld auch für Beratung und medizinische und Psychotherapie bei individuellen Schäden und Mehraufwendungen durch Heimunterricht oder Nachhilfe verwendet werden. Wie die Förderrichtlinien formuliert und die Vergabe von Förderungen in der Praxis aussehen wird, dürfte noch für einige Debatten sorgen.

Egal, was von dem im Kapitel „Corona“ vereinbarten Teil wie umgesetzt wird – das politische Signal dürfte jedenfalls seine Wirkung entfalten. Immerhin ist die ÖVP Niederösterreich auch nach den deutlichen Verlusten weiterhin die stärkste Landespartei. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), er kommt aus Niederösterreich, wird das bei seinem auf Bundesebene beabsichtigten „Gräben zuschütten“-Projekt wohl berücksichtigen. Auch im Kontext dessen, dass aus den vergangenen drei Jahren Lehren für den Umgang mit möglichen künftigen Pandemien gezogen werden sollen, ist der niederösterreichische ÖVP-FPÖ-Pakt relevant.

ÖVP-FPÖ-Pakt bringt Rückzahlung von CoV-Strafen

Im Arbeitsübereinkommen von ÖVP und FPÖ in Niederösterreich nimmt das Thema CoV eine wichtige Stellung ein. Unter anderem ist vorgesehen, dass verfassungswidrige CoV-Strafen zurückgezahlt werden.

ÖVP und FPÖ werden in den nächsten Jahren zusammenarbeiten, obwohl die Freiheitlichen ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner formal gesehen nicht wiederwählen werden. Mit Nichtabgabe ihrer Stimmen werden die Freiheitlichen freilich die Wiederwahl allein mit ÖVP-Stimmen im Landtag ermöglichen. Vor der Wahl hatte FPÖ-Chef Udo Landbauer dezidiert ausgeschlossen, Mikl-Leitner zu wählen. Die künftige Zusammenarbeit wird wesentlich auch auf der Umsetzung des Kapitels eins des Paktes fußen. Es ist der „Aufarbeitung“ der „Schäden“, die durch „Pandemie und eine Reihe von Maßnahmen“ entstanden seien, gewidmet.

Kritik an ÖVP wegen Pakts mit FPÖ

Die Kritik an der Zusammenarbeit der ÖVP mit den Freiheitlichen riss unterdessen nicht ab. Das Internationale Auschwitz Komitee sieht in der ÖVP-FPÖ-Zusammenarbeit in Niederösterreich ein „bitteres Signal“. Für Überlebende des Holocaust und deren Angehörige sei das „empörend und grauenerregend“, so Vizepräsident Christoph Heubner – mehr dazu in noe.ORF.at.

Besonders in der Kulturbranche regt sich breiter Unmut. Das wurde auch bei der Festivaleröffnung von Imago Dei in Krems deutlich. Schriftsteller Robert Menasse meinte, er könne nicht verstehen, wie die ÖVP, die sich christlichen Grundwerten verpflichtet fühle, mit einer solchen FPÖ zusammenarbeite. Aber vielleicht verstehe er zu wenig vom Christentum, so Menasse ironisch. Sein Kollege Doron Rabinovici verwies darauf, dass die niederösterreichische noch rechtsextremer sei als die Bundespartei – mehr dazu in noe.ORF.at.

Rupert Dworak, Präsident des Sozialdemokratischen GemeindevertreterInnenverbandes NÖ (GVV NÖ), bezeichnete den angekündigten CoV-Fonds als „Schlag ins Gesicht“ von Bürgermeistern und Ehrenamtlichen. Menschen, die sich bemüht haben, in dieser schweren Zeit regelkonform zu leben, müssten nun erfahren, „dass sie angeblich falsch gelegen sind und nunmehr die Schwurbler offenbar die Oberhand erlangen sollen“.

Es sei deshalb nicht zuletzt auch ein „Schlag ins Gesicht der Wissenschaft“. Gleichzeitig sei nicht klar, wie der Fonds in der Praxis funktionieren soll. „Vielleicht ist dieser 30-Millionen-Euro-Topf aber auch nur ein Mikl-Leitner-Spielgeld-Zugeständnis für Udo Landbauer.“

Offener Brief der Wissenschaft

„Gegen den Rechtsruck in Niederösterreich“ sprachen sich in einem offenen Brief auch zahlreiche Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus, unterzeichnet wurde das Schreiben von mehr als 250 Personen. Als Initiatoren gelten Jörg Flecker von der Uni Wien, Ruth Simsa (Wirtschaftsuniversität Wien) und Ruth Wodak (Lancaster University/Universität Wien).

„Die Koalition mit diesem besonders radikalen Teil der FPÖ ist ein Tabubruch. Sie schadet dem internationalen Ansehen und damit dem Wissenschaftsstandort Österreich und Niederösterreich, sie befördert eine Politik der Ausgrenzung, des Rassismus und der Wissenschaftsfeindlichkeit“, wird in dem Brief betont.

Die Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie stieß sich daran, dass das Übereinkommen vorsieht, dass „die Verwendung der deutschen Sprache auch in Pausen und am Schulhof durch Aufnahme in die schulautonom zu beschließenden Hausordnungen“ vorangetrieben werden soll. Das stehe im Widerspruch zur Förderung von Mehrsprachigkeit im Bildungsbereich, einem Ziel der EU, so die ÖGKJP – mehr dazu in science.ORF.at.