der russische HipHop Künstler Oxxxymiron
APA/AFP/Maxim Zmeyev
Oxxxymiron in Wien

Rapszene macht gegen den Kreml mobil

Oxxxymiron ist einer von Russlands populärsten Rappern – und einer der prominentesten Kriegskritiker der Kulturszene. Seine Welttournee führt ihn am Freitag in den Wiener Gasometer. Nicht nur Oxxxymiron, auch seine rappenden Landsleute sind zur Zielschiebe von Putins Regime geworden. Derzeit gibt es kaum andere Optionen als Gehen oder Schweigen.

Weltberühmt wurde Oxxxymiron in den 2010er Jahren als wortgewaltiger Battle-Rapper: In seine millionenfach auf YouTube aufgerufenen Schimpftiraden baute er schon einmal George Orwell und „akademische Arbeiten zur vergleichenden Mythologie“ („Times“) ein. Daran mag auch seine ungewöhnliche Biografie schuld sein: Miron Janowitsch Fjodorow, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, hat tatsächlich einen Abschluss in englischer Literatur an der Oxford University – so ein gern zitiertes Detail in internationalen Zeitungsberichten.

Früher drehten sich die Songs des Rappers, der mit neun Jahren mit den Eltern vom russischen St. Petersburg ins deutsche Essen übersiedelte, meist um die (autobiografisch grundierten) Themen Großstadt, Identität und Wurzellosigkeit. Jetzt ist aber vieles anders: Seine Battle-Rap-Kompetenzen nutzt der heute 38-Jährige mittlerweile zur Schöpfung zahlreicher kremlkritischer Songs, die er am Freitag auch in Wien aufwarten wird.

der russische HipHop Künstler Oxxxymiron
IMAGO/Artyom Geodakyan
Oxxxymiron bezieht Position: Den Krieg gegen die Ukraine bezeichnete er als „Katastrophe und Verbrechen“

Russland als menschliche „Fleischfabrik“

Interviews gibt Oxxxymiron keine, was auch an seiner Angst liegt, „weiter ins Visier der Behörden zu geraten“, so der Veranstalter des Wien-Konzerts, Livesounds Agency, gegenüber ORF.at. Musikalisch nimmt sich der Künstler, der schon vor der Invasion als medienscheu galt, aber kein Blatt vor den Mund, etwa in seinem aktuellen Hit, dem Protestsong „Oyda“: Für nicht Russischsprachige passt das denkbar gut nach Wien. „Oyda“ heißt aber eigentlich „Oh ja!“.

„Oh ja, lebe darin, ersticke darin“, rappt Oxxxymiron da über Russland, ein „alter Gnom mit Schluckauf“ mache „uns mit einem Atompilz Angst“. Mit den Zeilen „unsere Fahne hat weißen Schnee und einen blauen Fluss“ kommt auch die Fahne der antirussischen Proteste vor. Drastische Worte gegen russische Einberufungspropaganda gibt es im Song „Hergestellt in der SSSR“: Russland sei eine „Fleischfabrik, die Menschen zur Schlacht(ung) produziert“, übersetzt das Portal zeitgeschichte.online.

Als „ausländischer Agent“ eingestuft

Seit Oktober 2022 wird Oxxxymiron von Russland als „ausländischer Agent“ geführt, eine Bezeichnung, die sich bekanntlich gegen Oppositionelle, Künstlerinnen und Menschenrechtsaktivisten richtet und nach außen die Botschaft tragen soll, „wer gegen Russland ist, muss vom feindlichen Ausland gekauft worden sein“. Zuletzt traf es im Februar die populäre Sängerin Zemfira, im Vorjahr landete auch Oxxxymirons Rapkollege Morgenshtern auf der Liste.

die russische Sängerin Zemfira
IMAGO/TASS
Auch Zemfira, eine der populärsten Sängerinnen des postsowjetischen Russlands, wurde zur „ausländischen Agentin“ erklärt

Oxxxymiron war schon früh klar, was auf ihn zukommt: Mit Kriegsbeginn übersiedelte er, der vorher zwischen Petersburg und London pendelte, ganz nach England und sagte seine Russland-Konzerte ab („Ich kann euch nicht unterhalten, während in der Ukraine russische Raketen fallen“). Kurz darauf lancierte er seine vielbeachtete „Russians against War“-Tour, bei der er mit Konzerten in Berlin, Istanbul und Berlin fast 200.000 Euro für ukrainische Flüchtlinge sammelte.

Populäres Genre im Visier der Politik

Als Pionier einer neuen nationalen Rapgeneration ist Oxxxymiron auch Symbol einer postsowjetischen Generation globalisierter Russinnen und Russen. Musikalisch steht er für brachiale Beats und Double Rhymes, angereichert mit einem nationalen Melodienrepertoire. Damit inspirierte er eine Szene, die in den letzten zehn Jahren weniger von den US-Stars abkupferte, sondern zusehends ihr eigenes Ding machte. Was vorher russischer Rock war, wurde dann Rap: Der Ruf als populärstes Genre der Jugend führte aber auch dazu, dass die Musiker verstärkt in den Blick der russischen Sittenwächter gerieten.

der russische Rapper „Rapper Face“
IMAGO/Sergei Savostyanov
Der Rapper Face sang schon 2018 von Zensur und russischer Ungerechtigkeit – seit Kriegsbeginn auch er im Ausland

Die erste Offensive gegen die Szene startete bereits im Herbst 2018. Für mehrere Rapper hagelte es Konzertverbote, der Rapper Husky, bekannt für seine sozialkritischen Töne, wurde kurzfristig verhaftet. Die Kreml-Partei Geeintes Russland debattierte über die Gefahren des Rap sogar auf ihrem Parteitag, es ging um die „moralische Gefährdung“ der Jugend. Bis Putin schließlich die Diskussion beendete, indem er sich für die Integration von Rap in die „patriotische Erziehung“ aussprach.

Einige kooperieren

Mit Kriegsbeginn ist die Diskussion über die Nationalmoral in der Populärkultur neu entbrannt, der Druck deutlich gewachsen. Einige Rapper kooperieren, wie der Politologe Ewgeniy Kasakow in der deutschen Zeitung „nd“ schreibt: Der Rapper Husky habe sich freiwillig zum Einsatz im Donbas gemeldet, Egor Kreed soll, so Kasakow, bei der schulischen Pflichtveranstaltung „Gespräche über wichtige Themen“ im Auftrag des Bildungsministeriums „patriotische Haltung“ vermitteln.

Für die anderen habe sich als einzig praktikable Option das Schweigen erwiesen, weiß die britische „Times“ und zitiert einen Musiker, der nicht genannt werden möchte: „Was jetzt passiert, ist beängstigend. Menschen, die nicht in Russland gelebt haben, werden das nicht verstehen. Sie mögen uns für unser Schweigen verurteilen, aber sie haben nicht unter Putin gelebt."

Bekannte Rapper im Exil

Wer sich nicht den Mund verbieten lassen will, wird de facto zur Flucht gezwungen. Rapper Morgenshtern lebt mittlerweile in den Emiraten. Auch sein bekannter Kollege Noize MC, alias Ivan Alexejew, verließ das Land und nahm seinen Song „Voodoo“ auf Ukrainisch auf.

Und die Hoffnung? „Stellen wir uns mal vor, dass sich 1941 jemand hätte vorstellen können, dass auf dieser Bühne mal ein Mensch aus Russland stehen würde, mit jüdischen Wurzeln“, wandte sich Oxxxymiron bei seinem Berlin-Konzert seinem Publikum zu. Nachsatz: „Ich sage das deshalb, weil ich es mir selbst gerade nur schwer vorstellen kann.“