Lachender Mann umarmt einen Mann
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Im Alltag

Übersehene Faktoren des Glücks

Was ist Glück? Wie lässt es sich finden? Und was bedeutet es, ein glückliches Leben zu führen? Fragen, die die Menschheit schon seit der Antike beschäftigen – und bis heute omnipräsent sind. Im Interview mit ORF.at spricht Glücksforscher Michael Mitterwallner darüber, was Menschen im Alltag zufrieden und glücklich macht, welche Faktoren häufig übersehen werden und was es mit dem Streben nach Glück auf sich hat.

„In der Postmoderne sind Narrative von Politik, Gerechtigkeit, Freiheit, Religion, aber auch Wahrheit keine geteilten Narrative mehr. Hier schickt sich das Glück an, der neue große Player zu sein – eben auch deshalb, weil es etwas Subjektives ist“, so Mitterwallner, der vom Glück als „heilsversprechende Ersatzreligion der Gegenwart“ spricht. Die Zahlen scheinen ihm recht zu geben: Laut Statista wird die Wellness- und Wohlbefindensindustrie bis 2025 rund sieben Billionen US-Dollar, also 7.000 Milliarden Dollar, wert sein.

Vor diesem Hintergrund sei auch eine starke Zunahme der Publikationen zum Thema Glück zu beobachten. Doch die meisten davon seien einseitig, selten gebe es qualitative Erhebungen, etwa in Form mehrstündiger Interviews, meint der Forscher, der es sich zum Ziel machte, das zu ändern. Im Mittelpunkt stand die Frage: Was machen Menschen für ihr Wohlbefinden im Alltag?

Polster mit dem Spruch „enjoy the little things“
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Kleine Sprüche wie diese geloben das große Glück – und übersehen dabei aber das wirklich Wichtige, meint der Glücksforscher

Freunde statt Freundlichkeitstag

„Schreibe jeden Tag drei Dinge auf, für die du dankbar bist“, „meditiere“, „lächle“, „lege einen Freundlichkeitstag fest“. Es sind kleine Übungen wie diese, die das große Glück geloben und eine Anleitung zum Glücklichsein geben wollen – dabei aber das Wesentliche außer Acht lassen, wie Mitterwallner kritisiert. Denn der wichtigste Faktor, die Grundbedingung für Glück, seien zwischenmenschliche Beziehungen.

Michael Mitterwallner
Michael Mitterwallner
Michael Mitterwallner studierte Psychologie, Psychotherapie und Philosophie und ist Glücksforscher

Doch: „Es gibt keine Interventionen, die dezidiert auf soziale Bindungen abzielen, was schwer zu glauben ist“, so Mitterwallner. Die wichtigste Glücksstrategie müsste sein: „Mache mehr für deine sozialen Beziehungen!“ Egal ob romantische, familiäre, freundschaftliche oder zwischenmenschliche Beziehungen.

Kurzfristiges vs. langfristiges Glück

Natürlich, es sei anstrengend und schwierig, gute Beziehungen zu haben und diese aufrechtzuerhalten. Um eine erfolgreiche Beziehung zu haben, müsse man sich auch vulnerabel machen können – allein hier würden viele schon zurückschrecken. Dazu komme, dass Menschen oftmals auch gar nicht wissen würden, was sie glücklich mache.

„Das ist das Perfide am Glück. Dass Personen Sachen tun, die sie langfristig unglücklich machen, um sich kurzfristig zu schützen.“ Klar sei für Mitterwallner aber auch, und das werde in der „überzuckerten Glücksforschung“ oftmals übersehen, dass es Beziehungen gebe, die so schlecht seien, dass man „einfach raus“ müsse.

Unglücklicher als gedacht?

Prinzipiell sei der Mensch „ausgesprochen gut im Adaptieren“, also darin, sich an neue Situationen anzupassen. Nicht zuletzt um gewissermaßen auch zu rechtfertigen, wo man gerade im Leben stehe. Das erschwere auch die Glücksforschung, weil „Menschen sich dadurch selbst einreden können, dass sie etwas glücklich macht, auch, wenn es objektiv vielleicht gar nicht der Fall ist.“

So würden sich zwar die meisten auf einer „Glücklichkeitsskala“ von eins bis zehn auf sieben bis acht einschätzen, tatsächlich sei das aber nur bei 20 bis 25 Prozent der Fall.

So würden Eltern etwa das Ausmaß ihres Wohlbefindens vor der Geburt der Kinder erst wieder nach deren Auszug erreichen. Denn angesichts all der Herausforderungen im Alltag würden Kinder mitunter zu negativen Emotionen führen, gleichzeitig aber positiv bewertet werden, erklärt Mitterwallner die paradoxen Glücksgefühle.

Frau lacht in einer Hängematte
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Junge sind glücklicher, Reiche auch

Gene bis Geld

Ohnehin sei das Glückspotenzial bereits bei der Geburt mitbestimmt: „Der genetische Einfluss auf das Glück ist sehr stark, man spricht von 30 bis 40 Prozent“, so Mitterwallner. Während sich junge Erwachsene und ältere Personen psychisch am wohlsten fühlen, ist das Glückslevel bei Personen in ihren 40ern am geringsten – ebenso wie bei Menschen im hohen Alter. Durch ausreichend Bewegung und Sport lasse sich hier aber bewiesenermaßen erfolgreich gegensteuern.

Glück vs. Wohlbefinden

„Unter Glück, das länger als eine Sekunde, vielleicht zwei, drei Sekunden dauert, kann ich mir nichts vorstellen“, schrieb einst Heinrich Böll. Während man in der Positiven Psychologie Glück als „kurze Ausreißer“ in der Gefühlslage definiert, handelt es sich bei Wohlbefinden um einen kontinuierlichen Zustand – als Teil dessen auch Lebenszufriedenheit gesehen wird.

Was man in der Glücksforschung seit einem Jahrzehnt zudem weiß: Glück lässt sich kaufen. „Geld ist einer der wichtigsten Faktoren für Glück, besonders wenn wenig vorhanden ist. Je mehr Geld man hat, desto mehr positive und weniger negative Emotionen erlebt man“, sagt Mitterwallner. Es sei aber auch der „am wenigsten berücksichtigte“ Faktor des Glücks, denn würde die Politik etwas Positives für die Gesellschaft tun wollen, gelte es genau hier anzusetzen.

Auch, wenn der Glücksforscher nationalen und internationalen Glücksindizes und Messindikatoren wie dem Bruttonationalglück skeptisch gegenüberstehe, plädiert er, stärker das Wohlergehen der Menschen in der Wirtschaftspolitik zu beachten. Schließlich habe beispielsweise auch der Wohlfahrtsstaat einen positiven Einfluss auf das menschliche Glück.

Lässt sich glücklich unglücklich sein?

Doch muss man überhaupt glücklich sein? Lässt sich nicht auch glücklich unglücklich sein? Studien würden belegen, dass glückliche Menschen kreativer, aktiver, erfolgreicher, gesünder und vor allem auch länger leben würden.

Bei Letzterem verweist der Glücksforscher etwa auf eine „lustige Studie mit Nonnen“ mit einer Analyse ihrer Tagebucheinträge. Aufgrund ihres stark standardisierten Umfelds habe festgestellt werden können, dass jene Nonnen, die in ihrer Jugend am meisten positive Adjektive verwendet hatten, tatsächlich auch am längsten lebten.

Menschen in einer Fußgängerzone
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Glückliche Menschen haben ein besseres und längeres Leben

„Werden Glück entzaubern“

Allerdings gibt Mitterwallner auch das vorherrschende Kausalitäts- und Korrelationsproblem zu bedenken: „Ist es so, dass man glücklich ist und deshalb Dinge macht oder Dinge macht und deshalb glücklich ist?“ Das sei ein „Grundproblem“ in der Glücksforschung.

Auf die Frage, ob sich die „Glücksformel“ überhaupt entschlüsseln lasse und nicht immer etwas Geheimnisvolles bleibe, antwortet Mitterwallner: Nicht jetzt, aber mit der richtigen Technologie, spätestens, wenn das menschliche Gehirn entschlüsselt ist, werde man auch das Glück „vollständig entzaubern“.