Pendler steigen aus einem Pendlerzug in Toronto aus
Reuters/Chris Helgren
Eine Million mehr

Kanada wächst im Rekordtempo

In Kanada ist die Bevölkerung im Vorjahr durch Zuwanderung um mehr als eine Million Menschen gewachsen – so viel wie nie zuvor in der Geschichte des nordamerikanischen Landes. Kanada, dessen Wirtschaft dringend Arbeitskräfte braucht, legt seit Jahren eigene Zuwanderungsprogramme für von Krisen betroffene Länder auf. Mit den USA gibt es aber Probleme bei der Migration – diese sind aktuell Topthema bei einem Besuch von US-Präsident Joe Biden in Kanada.

Die Bevölkerungszunahme sei fast ausschließlich auf Migrantinnen, Migranten und Menschen mit befristetem Bleiberecht zurückzuführen, teilte die Statistikbehörde mit. Damit hat Kanada – flächenmäßig der zweitgrößte Staat der Erde – fast die 40-Millionen-Schwelle erreicht. Konkret stieg die Zahl binnen Jahresfrist von 38.156.138 auf 39.566.248 Menschen. Kanada bleibt damit das am schnellsten wachsende Land der G-7, der Gruppe der sieben wichtigsten Industrieländer.

96 Prozent des Anstiegs wurden durch Einwanderung erzielt. Die Bevölkerung sei in Jahresfrist um 2,7 Prozent gewachsen und könnte bei diesem Tempo die Anzahl der im Land lebenden Menschen innerhalb von 26 Jahren verdoppeln. Knapp mehr als 600.000 davon haben eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Der starke Anstieg bedeutet auch „ein Rekordjahr“ bezüglich der Bearbeitung von Anträgen durch die Einwanderungsbehörde.

Kanadas Wirtschaft und alternde Bevölkerung sind auf Zuwanderung angewiesen. Ministerpräsident Justin Trudeau hat deshalb seit seinem Amtsantritt 2015 die Einwanderung nach oben getrieben. Im Vorjahr gab die Regierung eine halbe Million Bevölkerungszuwachs pro Jahr als Ziel bis 2025 aus. Laut Statistikbehörde wird Kanadas Bevölkerung weiter wachsen – laut Prognose könnte sie bis 2043 auf mehr als 52 Millionen ansteigen.

Asylsuchende am Grenzübergang Roxham Road
AP/The Canadian Press/Ryan Remiorz
Migration an der Roxham Road sorgt für Spannungen mit USA

Offenerer Umgang mit Thema Migration

Kanada wird weltweit immer wieder als Beispiel für den Umgang mit schrumpfender Bevölkerung und dem in westlichen Ländern steigenden Migrationsdruck genannt. Anders als viele andere Staaten bekennt es sich klar dazu, dass die Überalterung nur mit Migration gelöst werden kann, und betreibt diesbezüglich eine aktive Politik, während Migration in vielen anderen Ländern – von den USA bis hin zu europäischen Staaten – von führenden Parteien dazu verwendet wird, um Sorgen und Ängste zu schüren. Alternativen zur Migration für die Lösung eigener Probleme – von Arbeitskräftemangel bis zur Finanzierung der Sozialsysteme – fehlen dabei oft.

Was nicht heißt, dass Migration nicht auch in Kanada teilweise ein Konflikt- und Streitthema wäre. Kanada ist allerdings – aufgrund seiner Randlage – bisher kaum von illegaler Migration betroffen. Und im Alltag gibt es auch in Kanada ähnliche Probleme wie in anderen Ländern. Trotz eines bereits viel stärkeren Auswahlprozesses von Arbeitsmigranten etwa gibt es beispielsweise auch in Kanada das Problem, dass die Leerstellen und die Ausbildung von Zuwanderern oft nicht zusammenpassen. Dazu kommt, dass die Planung der Infrastruktur in Städten – von Wohnraum über Schulen bis Verkehr – oft nicht an das Bevölkerungswachstum angepasst ist.

„Herausforderungen“ für Infrastruktur

Die Statistikbehörde verwies bei der Präsentation der Zahlen am Mittwoch auch darauf, dass der rasche Bevölkerungsanstieg zu „zusätzlichen Herausforderungen in einigen Regionen des Landes in puncto Wohnen, Infrastruktur, Verkehr und Dienstleistungen“ führen könnte.

Justin Trudeau begrüßt Joe Biden
AP/Andrew Harnik
Kanadas Premier Trudeau will mit Biden ein Grenzabkommen ändern

Spezielle Programme für Krisenländer

Das Land legte und legt besondere Programme für von Krisen betroffene Ländern auf, etwa Afghanistan und die Ukraine sowie die Türkei und Syrien nach dem verheerenden Erdbeben vom Februar. Erst diese Woche verlängerte die Regierung ein solches Aufnahmeprogramm für Menschen aus der Ukraine bis Juli. Mehr als 600.000 der bisher fast einen Million Bewerbungen allein aus der Ukraine wurden bisher genehmigt. Mehr als 130.000 Ukrainerinnen und Ukrainer kamen bisher auch nach Kanada.

Davor war in Kanada die Bevölkerung im Jahr 1957 am stärksten gestiegen. Damals waren der Babyboom nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und Flüchtlinge aus Ungarn im Zuge des dort niedergeschlagenen Aufstands für das sprunghafte Wachstum verantwortlich.

Zentrales Thema bei Biden-Besuch

Migration ist aktuell auch das zentrale Thema beim Besuch von US-Präsident Biden beim nördlichen Nachbarn. Seitdem die USA auch unter Biden die Einwanderung immer stärker zurückzuschrauben versuchen, hat die Migration von den USA nach Kanada schlagartig zugenommen. Ottawa will ein Abkommen neu aufsetzen, das es derzeit verpflichtet, aus den USA kommende Asylwerber aufzunehmen, wenn sie über inoffizielle Grenzübergänge ins Land kommen.

Der starke Anstieg dieser Grenzübertritte – seit Monaten ist vor allem eine kleine Straße, Roxham Road, die vom Staat New York nach Quebec führt, in den Medien – gefährdet laut „New York Times“ auch in Kanada zusehends die „Gastfreundlichkeit“ gegenüber Zuwanderern. Kanada – durch seine geografische Lage begünstigt – konnte Zuwanderung in der Regel immer gut kontrollieren – anders als die USA etwa an der Grenze zu Mexiko und die EU-Staaten mit ihren Außengrenzen zu südlichen und südöstlichen Regionen. Medienberichten zufolge sollen Biden und Trudeau bereits eine Einigung erzielt haben, die am Freitag präsentiert werden soll.