Wasserfeste Kleidung
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Kanada meldet

Zauberformel gegen „ewige Chemikalien“

Ob in Kosmetik, Kleidung oder Haushaltsgegenständen: PFAS-Chemikalien finden sich fast überall. Für die Gesundheit können sie jedoch gefährlich sein. Einmal im Umweltkreislauf gelandet, verbleiben sie dort für Jahrzehnte. Deswegen werden sie auch „ewige Chemikalien“ genannt. Kanadische Fachleute wollen nun eine neue Methode zum Abbau dieser Substanzen gefunden haben.

Schätzungen zufolge gehören mehr als 10.000 einzelne Substanzen zur Gruppe der per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS). Diese Chemikalien kommen nicht natürlich in der Umwelt vor. Sie sind in Alltagsprodukten wie Anoraks, beschichteten Pfannen, Shampoos und Feuerlöschschaum verarbeitet. Aber auch in zahlreichen Industrieprozessen finden sie Anwendung.

Je nach Stoff überdauern PFAS mehrere Jahrzehnte bis Jahrhunderte in der Umwelt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der University of British Columbia im kanadischen Vancouver meldeten einen Durchbruch, die Lebensdauer dieser „ewigen Chemikalien“ dramatisch zu verkürzen. Sie hätten ein neues Material auf Kieselsäurebasis entwickelt, das in der Lage ist, ein breiteres Spektrum der PFAS im Abwasser zu absorbieren.

Spigelei in Pfanne
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Damit nichts anbrennt, sind Pfannen oft mit einer PFAS-basierten Antihaftoberfläche beschichtet

Extrem langlebig

„Das ist sehr aufregend, weil wir diese schwer zu brechenden chemischen Bindungen anvisieren und für immer auseinanderbrechen können“, sagte der Forscher Madjid Mohseni der Tageszeitung „Guardian“ zufolge. Denn die Stoffe seien chemisch stabil, auch große Hitze mache ihnen nichts aus. Zudem haben sie eine sehr niedrige Oberflächenspannung und sind dadurch sowohl öl- als auch wasserabweisend. Ferner gelten sie als sehr belastbar.

Einige PFAS finden unter anderem über Kläranlagen ihren Weg in Flüsse, Seen und Meere. Im vergangenen Jahr ergab eine Studie, dass PFAS selbst in den entlegensten Weltregionen im Regenwasser nachweisbar sind. Mit der Aufnahme von PFAS aus verunreinigten Böden und Wasser in Pflanzen und der Anreicherung in Fischen können diese Stoffe auch in die menschliche Nahrungskette aufgenommen werden.

Risiko für Umwelt und Mensch

Von den allermeisten PFAS ist nicht bekannt, wie sie sich auf Mensch und Umwelt auswirken. Studien lassen aber auf einen Zusammenhang mit erhöhtem Cholesterinspiegel, hormonellen Störungen, Unfruchtbarkeit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs schließen. „Von den relativ wenigen gut untersuchten PFAS gelten die meisten als mittel- bis hochtoxisch, vor allem für die Entwicklung von Kindern“, schrieb die Europäische Umweltagentur (EEA).

„Sie reichern sich ​​in unserem Blut an und können sich insbesondere in der Leber und den Nieren dauerhaft festsetzen. Und je älter Sie sind, desto mehr PFAS haben Sie in Ihrem Körper“, sagte Amira Aker von der Universite Laval. „Selbst an einen wachsenden Fötus im Mutterleib können sie weitergegeben werden, und so haben sogar Neugeborene PFAS vom Moment ihrer Geburt an in ihrem Körper.“ Nachgewiesen sei das an einem Schwertwalweibchen mit seinem Jungen worden.

Lippenstifte
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Auch viele Lippenstifte enthalten Chemikalien der Gruppe der PFAS

Über Toilettenpapier ins Wasser

Wale stünden an der Spitze der Nahrungskette und gehören daher zu den am stärksten kontaminierten Tieren. Vor zwei Monaten wiesen Forscherinnen und Forscher der University of British Columbia bei Orcas eine PFAS-Chemikalie nach, wie sie häufig in Toilettenpapier verwendet wird. Auch über Seife und Waschmittel kann sie ins Meerwasser gelangen.

In Abwasserfiltern werde oft Aktivkohle verwendet werden, die jedoch nur bestimmte Chemikalien abfangen und daher „nicht effektiv“ sein könne, sagte Mohseni. Eine Vielzahl möglicherweise schädlicher Chemikalien würde hier durchschlüpfen. Zugleich würden die herausgefilterten Chemikalien bloß konzentriert werden und so neuen „hochgiftigen“ Abfall erzeugen.

Die neue Methode kann laut Mohseni sowohl in der Trinkwasseraufbereitung als auch in Filteranlagen von Industriebetrieben eingesetzt werden. In einem Pilotprojekt werde die Wirksamkeit der Technologie derzeit in der Praxis getestet. Aker warnte jedoch vor der Umsetzbarkeit und den Kosten der neuen Technologie. Schätzungen gehen davon aus, dass in den nächsten 30 Jahren rund 4,4 Millionen Tonnen PFAS in die Umwelt gelangen, wenn nichts dagegen unternommen wird.

EU berät über Verbot

Deutschland, die Niederlande, Dänemark, Norwegen und Schweden streben daher ein weitgehend vollständiges Verbot der Stoffgruppe in der EU an. Dabei handle es sich um eine Art Vorsichtsmaßnahme. Der Gedanke dabei: Wenn einige der Substanzen nachweislich schädlich sind, könnten es viele andere Vertreter der Stoffgruppe auch sein. Der EU-Chemikalienagentur (ECHA) zufolge wäre das eines der umfangreichsten Verbote chemischer Stoffe in Europa überhaupt.

Unternehmen wären gezwungen, Alternativen zu finden. Sie sollen dem Vorschlag zufolge bis zu dreizehneinhalb Jahre Zeit bekommen. Für einige wenige Bereiche gäbe es unbegrenzte Ausnahmen. Am Mittwoch begannen dazu sechsmonatige Konsultationen. Nach Ablauf der Frist am 25. September will die ECHA ein mögliches Verbot beurteilen. Die Entscheidung trifft jedoch dann die Europäische Kommission gemeinsam mit den EU-Mitgliedsstaaten.

Industrie: Unverhältnismäßig

Die Industrie sträubt sich unterdessen gegen ein pauschales Verbot der Stoffe, weil nur für wenige von ihnen direkt nachgewiesen sei, dass sie gefährlich sind. Es wären dann auch viele Anwendungen untersagt, von denen gar keine Gefahr ausgeht. Ein Verbot hätte außerdem erhebliche Auswirkungen auf die gesamte Industrie und deren Innovationsfähigkeit.

Viele Branchen hätten in den vergangenen Jahren PFAS durch andere Substanzen ersetzt. Das sei aber nicht in allen Bereichen möglich. Insbesondere in Industrieanlagen und bei Technologien wie der Herstellung von Brennstoffzellen, Halbleitern und Lithium-Ionen-Batterien sei man auch in Zukunft auf PFAS angewiesen. Für eine Bewertung müssten neben den Auswirkungen auf Mensch und Umwelt auch die positiven Wirkungen und die Wirtschaftlichkeit betrachtet werden.