Verkehr auf Westautobahn
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Tiefe Gräben

Verbrennerstreit überrollt EU-Gipfel

In Brüssel hat am Donnerstag ein zweitägiger EU-Gipfel der 27 Staats- und Regierungschefs begonnen. Für viel Gesprächsstoff sorgte dabei ein Thema, das offiziell gar nicht auf der Agenda steht: Deutschlands Blockade beim Verbrenner-Aus. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz sieht die Gespräche über eine Lösung auf einem „guten Weg“. Rückendeckung bekommt er von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). Andere Staaten reagierten verärgert.

Konkret bezog sich Scholz auf laufende Gespräche zwischen dem deutschen FDP-geführten Verkehrsministerium und der EU-Kommission. Es gebe „klare Verständigungen“, sagte der SPD-Politiker. „Dazu zählt die von allen unterschriebene Vorstellung, dass es eine Regelung geben soll, die die Europäische Kommission vorlegen solle, die sicherstellt, dass nach 2035 Autos, die ausschließlich mit E-Fuels betrieben werden, weiter zugelassen werden können“, sagte Scholz.

„Es geht nur pragmatisch darum, die von der Kommission längst gegebene Zusage umzusetzen“, wies er Kritik zurück, dass Deutschland eine endgültige Entscheidung in letzter Minute aufgehalten hatte. „Wenn ich die Gespräche zwischen Kommission und Regierung richtig verstehe (…), ist das alles auf gutem Weg“, sagte Scholz.

Die EU-Kommission widersprach der Darstellung: Man habe zu keinem Zeitpunkt einen Vorschlag vor der Abstimmung über das Gesetz versprochen. Den Angaben zufolge wurde im November bei einem EU-Botschaftertreffen eine Erklärung verlesen, in der es hieß: „Nachdem die Verordnung durch das Europäische Parlament und den Rat endgültig angenommen wurde, wird die Kommission den potenziellen Beitrag von CO2-neutralen Kraftstoffen zur Erreichung einer klimaneutralen Mobilität prüfen.“

Raphaela Schaidreiter (ORF) zum EU-Gipfel

Raphaela Schaidreiter (ORF) meldet sich aus Brüssel und spricht über den EU-Gipfel. Am Donnerstag hat der Gipfel der 27 Staats- und Regierungschefs begonnen. Deutschland sorgte dabei für Debatten über das geplante Ende für Verbrennungsmotoren.

Wissing erwartet keine schnelle Einigung

Der deutsche Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) erwartete unterdessen keine schnelle Einigung im Streit mit Brüssel. „Wir reden über eine Regulierung für das Jahr 2035. Ich verstehe nicht, warum man sich jetzt nicht noch einmal Zeit nehmen dürfen soll, um die Dinge genau anzuschauen“, sagte er der „Augsburger Allgemeinen“ (Donnerstag-Ausgabe).

Die FDP setzt sich dafür ein, Neuwagen auch nach 2035 europaweit zu erlauben, wenn sie synthetische Kraftstoffe tanken. Die E-Fuels werden auf der Basis von Ökostrom hergestellt, gelten bisher aber als überteuert und wenig effizient.

Eigentlich hatten sich Unterhändler der Kommission, des Europaparlaments und der EU-Staaten schon im Herbst darauf verständigt, dass in der EU ab 2035 nur noch emissionsfreie Neuwagen zugelassen werden dürfen. Eine für Anfang März vorgesehene Bestätigung des Deals durch die EU-Staaten – eigentlich eine Formalie – wurde wegen des Drucks aus Deutschland abgesagt.

Olaf Scholz
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Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz sieht Gespräche im Verbrennerstreit auf einem „guten Weg“

Großer Ärger über deutsche Blockade

Frankreich, Lettland und andere Länder werfen Deutschland deshalb Unzuverlässigkeit vor. „Das ist ein sehr, sehr schwieriges Zeichen für die Zukunft“, sagte etwa der lettische Ministerpräsident Krisjanis Karins. Es sei verwunderlich, dass eine Regierung sich plötzlich anders entscheide, nachdem eine Vereinbarung getroffen worden sei.

„Die gesamte Architektur der Entscheidungsfindung würde auseinanderfallen, wenn wir das alle tun würden“, sagte er weiter. Karins stellte die Frage, was andere Staaten nun aufhalten solle, das Gleiche wie Deutschland zu tun.

Bettel: „Kein Wunschkonzert“

Man könne über alles reden, aber das Thema stehe eigentlich nicht auf der Agenda, sagte der Luxemburger Ministerpräsident Xavier Bettel. „Es ist ja kein Wunschkonzert, wenn wir nach Brüssel kommen.“ Bettel betonte, dass jede Institution bei ihren Kompetenzen bleiben solle und der Europäische Rat nicht für alles zuständig sein sollte. „Wir geben Impulse.“ Zudem gebe es spezifische Ministerräte, in denen solche Themen besprochen werden könnten. Der Kritik schloss sich auch die Präsidentin des Europaparlaments, Roberta Metsola, an.

Auch wenn das Thema nicht auf der Tagesordnung des Gipfels stehe, könne informell darüber gesprochen und das Problem gelöst werden, sagte hingegen der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte, der auch eine baldige Lösung im Streit erwartet.

EU-Gipfel: Debatte über Verbrennungsmotoren

In Brüssel hat am Donnerstag ein zweitägiger EU-Gipfel der 27 Staats- und Regierungschefs begonnen. Für viel Gesprächsstoff sorgte dabei ein Thema, das offiziell gar nicht auf der Agenda steht: Deutschlands Blockade beim Aus für Verbrennungsmotoren.

Nehammer: „Grüner Verbrenner“ für Österreich wichtig

Schützenhilfe bekommt Deutschland in der Debatte unterdessen von Nationen wie Polen, Tschechien und Österreich: Bundeskanzler Nehammer bekräftigte bei seiner Ankunft in Brüssel, dass der „grüne Verbrenner“ für Österreich ein wichtiges Thema sei. Er werde sich weiter für den „grünen Verbrenner mit E-Fuels“ einsetzen und die Staaten unterstützen, die dieses Thema auf die Agenda setzen.

Es zeige sich, dass der „grüne Wasserstoff“ wie auch E-Fuels Möglichkeiten seien, dem Klimawandel zu begegnen. „Wir dürfen den Forschungs- und Innovationsstandort Europas nicht gefährden“, warnte der Kanzler. Tatsache ist aber auch, dass die zuständige Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) bei den Verhandlungen in der Vergangenheit für das Verbrenner-Aus stimmte. Italien will nun überhaupt auch für den Einsatz von Verbrennern mit Biosprit kämpfen, wie Reuters am Mittwoch berichtete.

EU will Druck auf Russland machen

Auf der offiziellen Tagesordnung standen mit dem Ukraine-Krieg, der Wettbewerbsfähigkeit und Migration völlig andere Themen. In einer am Donnerstagnachmittag verabschiedeten Erklärung versprachen die Regierungsspitzen etwa, den Druck auf Russland zu erhöhen. Das schließe auch mögliche weitere Sanktionen und Arbeiten an der existierenden Preisobergrenze für russische Erdölerzeugnisse ein.

Der Beschluss der EU-Außenminister, eine Million neue Artilleriegeschoße in den nächsten zwölf Monaten an die Ukraine zu liefern, wurde ferner bestätigt. Österreich hat sich aufgrund seiner Neutralität bei dem Beschluss enthalten, beteiligt sich zwar grundsätzlich finanziell an der EU-Friedensfazilität, aber nur für nicht tödliches Militärmaterial. Unter Verweis auf den Beschluss der EU-Außenminister hieß es in der Gipfelerklärung weiter, dass das auch die mögliche Lieferung von Raketen an die Ukraine beinhalte, „falls angefragt“.

General António Guterres und Charles Michel
APA/AFP/Kenzo Tribouillard
Guterres appellierte an die EU-Länder, beim Kampf gegen den Klimawandel eine Führungsrolle einzunehmen

Der in der Vorwoche ausgestellte internationale Haftbefehl gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin wird in der Erklärung lediglich „zur Kenntnis genommen“. Als Grund für die zurückhaltende Formulierung gilt Berichten zufolge insbesondere die Haltung Ungarns. Weiters gibt es in der Erklärung einen Hinweis auf mutmaßliche Kriegsverbrechen und die illegale Deportation von ukrainischen Kindern nach Russland.

Selenskyj per Video zugeschaltet

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der zum Gipfel per Video zugeschaltet worden war, forderte zuvor die schnelle Lieferung von Panzern, Waffen, Munition und Flugzeugen. Er habe zudem für die Zusage von einer Million Artilleriegranaten gedankt und neue EU-Sanktionen gegen Russland gefordert, hieß es aus Teilnehmerkreisen.

Begonnen hatte der Gipfel mit einer Arbeitssitzung mit UNO-Generalsekretär Antonio Guterres. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der innenpolitisch zuletzt unter Druck geraten war, verpasste das Arbeitsessen mit Guterres. Auf dem Gipfel traf er mit mehreren Stunden Verspätung ein. Guterres appellierte indes an die EU-Länder, beim Kampf gegen den Klimawandel eine Führungsrolle einzunehmen. Es brauche dramatische Maßnahmen. Guterres forderte die EU auch zum Handeln für die ärmeren Länder auf.

Debatte über Atomkraft erwartet

Streit wurde auch bei der Debatte über Atomkraft als erneuerbare Energie erwartet. Nehammer sagte dazu, die Atomkraft sei wegen ihrer Gefährlichkeit keine Zukunftstechnologie, und verwies auf den Atomausstieg Österreichs in den 70er Jahren. Bettel sprach sich ebenfalls klar gegen Atomkraft aus.

Jüngst hatte die EU-Kommission das Netto-null-Industrie-Gesetz („Net Zero Industry Act“) vorgestellt, mit dem auch Atomkraft gefördert werden kann. Vor allem Frankreich setzt sich für diese Technologie ein.

Bulgarisches Lob für Nehammer

Auch die Migration wird am Donnerstagabend Thema sein. Im Vorfeld wurde erwartet, dass EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen Bericht erstattet über die Umsetzung der im Februar vereinbarten Maßnahmen zum Außengrenzschutz. Nehammer forderte Taten. Die jüngst angekündigten EU-Pilotprojekte mit Bulgarien und Rumänien seien wichtig, sagte er.

Der bulgarische Staatschef Rumen Radew dankte Nehammer für die Unterstützung Bulgariens bei der Errichtung eins „harten Zauns“. Bis jetzt gebe es noch keine „feste Entscheidung“, aber einen „großen Fortschritt“, sagte er. Bisher habe Bulgarien 600 Mio. Euro an EU-Mitteln für technische Ausrüstung und Überwachungsanlagen erhalten – aber „nicht für Zäune“.