Karl Nehammer
ORF
„Ziel ist Herbst 2024“

Nehammer zerstreut Neuwahlgerüchte

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat am Sonntag Gerüchte über vorgezogene Neuwahlen zurückgewiesen: „Unser klares Ziel ist Herbst 2024, wie das gesetzlich vorgesehen ist“, sagte er in der ORF-„Pressestunde“. Auf mögliche künftige Koalitionsvarianten legte er sich nicht fest. Das Arbeitsübereinkommen in Niederösterreich mit der FPÖ verteidigte der ÖVP-Chef.

Vermutungen, wonach die Volkspartei die Krise der SPÖ für einen vorgezogenen Urnengang nützen könnte, dementierte Nehammer: „Ich habe eine Legislaturperiode fertig zu machen.“ Die Regierung habe noch sehr viel vor, hätten er und Vizekanzler Werner Kogler erst jüngst gemeinsam festgestellt. Die Frage stelle sich daher nicht.

„Wir sind massiv unterschiedliche Parteien, haben aber viel erreicht“, sagte Nehammer und verwies darauf, dass die Volkspartei die einzige Mitte-rechts-Partei sei, die mit Grünen koaliere. Ob man in der kommenden Periode mit den Grünen weitermachen könnte, wollte der ÖVP-Chef nicht sagen. Dafür müsse man erst einmal das Ergebnis der Wahl abwarten.

Möglichkeit einer Bundeskoalition mit der FPÖ

Karl Nehammer stellte sich den Fragen von Johanna Hager („Kurier“) und Hans Bürger (ORF).

Gelassen gab sich Grünen-Chef Kogler in der „Kronen Zeitung“: „Man kann ja rechts blinken und dann geradeaus weiterfahren.“ Der Vizekanzler selbst plant offenbar, bei der nächsten Wahl wieder als Spitzenkandidat anzutreten: „Ich bin bis Mitte 2025 als Bundessprecher der Grünen gewählt. Das nehme ich schon als Antrieb, wieder zu kandidieren.“

Koalitionen mit FPÖ „gängige Praxis“

Das Arbeitsübereinkommen der niederösterreichischen ÖVP mit der FPÖ verteidigte Nehammer. Historisch gesehen seien Koalitionen mit der FPÖ „gängige Praxis“. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner habe sie zwar vermeiden wollen, jedoch habe die SPÖ sich den Verhandlungen entzogen. Der Forderungskatalog der SPÖ sei nicht bezahlbar, hätte er doch Milliarden gekostet.

„Dann muss man eben entsprechend handeln, auch aus Verantwortung für das Land“, sagte Nehammer. Dass der neue niederösterreichische SPÖ-Landesvorsitzende Sven Hergovich gesagt habe, er hacke sich die Hand ab, bevor er ein Übereinkommen unterzeichne, in dem nicht alle Forderungen enthalten sind, zeige, dass er wenig Verhandlungserfahrung habe.

Zum Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG), Oskar Deutsch, der sich klar gegen das Bündnis aussprach und die FPÖ-Mandatare als „Kellernazis“ bezeichnete, pflege er ein „freundschaftliches Verhältnis“, so Nehammer. Deutschs Aufgabe als IKG-Präsident sei es, mahnend zu sein, „unsere Aufgabe ist es, darauf hinzuweisen, dass sich was geändert hat und es nie wieder passiert“.

Aufregung um Koalition in Niederösterreich

Kogler zu NÖ: „Verantwortungslos“

Kogler übte in der „Krone“ scharfe Kritik an Mikl-Leitner. Ihr Handeln, „die Kellernazis in höhere Etagen zu heben“, sei „verantwortungslos“. Wie Mikl-Leitner die FPÖ-Funktionäre „demokratisch resozialisieren“ wolle, müsse sie erst beweisen: „Das Risiko ist zu groß.“ Für die Republik sei es ein riesiges Problem, dass ausgerechnet die niederösterreichische FPÖ durch ein Arbeitsübereinkommen in Amt und Würden komme. „Dort ist ein FPÖ-Parteiobmann, der Erdbebenopfer verhöhnt und ihnen nichts gönnt, nur weil das Erdbeben in Syrien und der Türkei ist.“ Das sei nicht hinnehmbar: „Da haut es mir die Kabeln raus.“

CoV-„Versöhnungsrede“ nach Ostern

Den umstrittenen CoV-Fonds in Niederösterreich sieht Nehammer indes nicht als Vorbild für den Bund: „Wir wählen nicht diesen Weg.“ Ihm gehe es um einen Dialogprozess, der sich an jene richte, denen die Maßnahmen zu viel oder zu wenig gewesen seien: „Wir wollen beide Gruppen abholen.“

Maßnahmen nach der CoV-Pandemie

Dabei werde es vor allem um Transparenz gehen, man wolle die Gründe für Maßnahmen und Entscheidungen offen darstellen. Man sei, da sei er falsch zitiert worden, nicht „zu wissenschaftshörig“, sondern „auch wissenschaftshörig“ gewesen. In einer großen „Versöhnungsrede“ des Kanzlers soll es nach Ostern Details geben. Die GECKO-Kommission musste aufgelöst werden, weil die Pandemie zu Ende ist.

Arbeitskräfte im Ausland „scouten“

Was den Arbeitskräftemangel angeht, verlässt sich Nehammer auf die Rot-Weiß-Rot-Karte. „Wir haben 200.000 offene Stellen und ein Wirtschaftswachstum“, es gehe auch darum, über die österreichischen Grenzen hinauszublicken: „Wir müssen auch Scouting betreiben, um Arbeitskräfte in den Markt zu holen.“ Neben der Vereinbarung mit Indien über Fachkräfte, an denen man hochinteressiert sei, werde man etwa bei der Pflege den „Horizont erweitern“ müssen. Als Beispiel sprach der Kanzler Marokko an.

Zuwanderung in den österreichischen Arbeitsmarkt

Grundsätzlich geht es Nehammer darum, dass man jene Arbeitskräfte ins Land holen müsse, die man auch hier brauche. Illegal nach Österreich gelangte Personen sollten hingegen abgeschoben werden. Verteidigt wurde vom Regierungschef auch sein Vorstoß, Sozialleistungen erst nach fünf Jahren zu gewähren. Zwar legte er sich nicht auf eine bestimmte Leistung fest, nannte aber wiederholt die Mindestsicherung.

Rechtlich wäre es aus seiner Sicht umsetzbar, weil man hier keine diskriminierende Regel plane. Die fünf Jahre sollten einfach für alle gelten, für EU-Bürger sei die Wartefrist ja jetzt schon der Fall. Daher ist für ihn nicht erklärbar, warum bei Asylberechtigten ein anderer Modus angewendet werde. Hier gelte es, Gleichheit zu schaffen. Vorbild könnte Dänemark sein – dort gebe es ein „erprobtes Modell, in dem Sozialleistungen an die Aufenthaltsdauer gebunden sind“.

Mietpreisbremse „nicht tauglich“

Dass es keine Mietpreisbremse gibt, verteidigte Nehammer. Diese „wäre kein taugliches Instrumentarium gewesen“. Denn davon hätten 800.000 Personen im freien Wohnbau gar nicht profitiert. Und privilegierte Mieter wären mit der Mietpreisbremse noch privilegierter geworden. Die nun beschlossenen Zuschüsse hielt Nehammer entsprechend für zielgerichteter. Auch eine Mehrwertsteuersenkung ist für ihn „eine Gießkannenmaßnahme“: „Daher tun wir das nicht.“ Es gehe vielmehr darum, die Kaufkraft zu stärken.

Aus für Mietpreisbremse

Auto-Gipfel zu E-Fuels

Zum Thema Verbrennungsmotor unterstrich Nehammer einmal mehr seine Position. „Wir sind bei Klimaschutz und Verbrenner aufs Gas gestiegen“, sagte er. Auf EU-Ebene sei zum grünen Verbrennungsmotor viel gelungen, lobte der Kanzler den Kompromiss beim EU-Gipfel in Brüssel. Es gehe um Fortschritte, nicht um Verbote. Er vertraue der Wissenschaft mit Blick auf E-Fuels.

Auf einem Autogipfel sollen in den kommenden Wochen mit den Herstellern Möglichkeiten der Finanzierung von Forschung zu E-Fuels besprochen werden, kündigte Nehammer an. Schließlich gehe es auch um den Wirtschaftsstandort Österreich. Mehr als 80.000 Arbeitsplätze hingen von der Automobilindustrie ab. Bei der E-Mobilität gebe es eine hohe Abhängigkeit vom asiatischen Raum. Es sei aber kein „Oder“, sondern ein „Und“, es brauche E-Mobilität und E-Fuels.

Konzepte zur Energiewende

Ziel müsse sein, „unsere Technologie“ in die Zukunftsmärkte zu exportieren, verwies Nehammer auf den Boom an klimaschädlichen Kohlekraftwerken in China. Die von Frankreich forcierte Atomkraft lehnt der Kanzler ebenso ab: „Wir sind klar dagegen.“ Allerdings verwies er auch darauf, dass man sich in einer Übergangszeit befinde. Auch in Österreich werde Atomstrom verwendet.

Zurückhaltung bei RBI in Russland

Zurückhaltend äußerte sich Nehammer zum von der EZB geforderten Rückzug der Raiffeisen Bank International (RBI) aus Russland. Er verwies darauf, dass die RBI nicht das einzige Finanzinstitut sei, das noch in Russland tätig sei. Gleichzeitig betonte er, dass die Bank auch in der Ukraine aktiv und dort eine systemrelevante Bank sei.

Aktivitäten der RBI in Russland

Bei einem Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten habe ihn dieser nicht auf das Thema RBI angesprochen. Grundsätzlich gelte für die RBI, dass sie sich wie alle Banken an die internationalen Gesetze und Vorgaben halten müsse. Nun müsse man abwarten, wie die Entscheidungen getroffen würden.

Opposition kritisiert Auftritt

Nicht überzeugt vom Auftritt des Kanzlers zeigte sich die Opposition. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch schrieb von einem Sinnbild für die schwache Performance der Regierung: „Nehammer redet zwar viel über Verbrennungsmotoren, er selbst ist jedoch völlig ohne Antrieb.“

NEOS-Generalsekretär Douglas Hoyos sagte, mit Nehammer sei kein „Österreich 2030“ zu machen. Vielmehr wolle er das Land „ins letzte Jahrhundert zurückkatapultieren“.

Sein freiheitlicher Amtskollege Michael Schnedlitz erkannte „eine Gemengelage aus Abgehobenheit, Unvernunft und Verantwortungslosigkeit gegenüber den eigenen Bürgern“. Jeder Auftritt Nehammers sei ein weiterer Grund für baldige Neuwahlen.