Auspuffanlage eines PKW
Getty Images/Emanuel M. Schwermer
EU-Verbrennerkompromiss

Warnung vor „gefährlichem Präzedenzfall“

Im Verbrennerstreit ist zuletzt weißer Rauch aufgestiegen: Deutschland und die EU-Kommission konnten sich auf eine Kompromisslösung verständigen. Verabschiedet muss diese noch im Energieministerrat am Dienstag werden. Doch der Schaden, den Deutschland in Brüssel angerichtet hat, ist groß. Die EU-Expertin Sophie Pornschlegel sprach gegenüber ORF.at von „reiner Machtpolitik“ Berlins und einem „gefährlichen Präzedenzfall“.

Die Kritik der Expertin richtet sich konkret an die deutsche Regierung, die mit der Blockade des eigentlich beschlossenen Verbrenner-Aus in letzter Minute für Aufruhr in Brüssel sorgte. Eine Einigung gibt es nun: Gemäß dem Kompromiss, den Brüssel und Berlin am Samstag verkündet hatten, soll künftig eine eigene E-Fuels-Typenklasse für Autos geschaffen werden. Solche Fahrzeuge, die allein mit synthetischen Kraftstoffen – also E-Fuels – betrieben werden können, sollen dann auch nach 2035 zugelassen werden können.

Doch mit dem Kompromiss ist in Brüssel längst nicht Frieden eingekehrt. Die losgetretene Debatte über das eigentlich längst beschlossene Verbrenner-Aus sei „reine Machtpolitik“ Deutschlands, das seine „Machtposition in Europa“ ausnutze, um europäische Gesetzgebung aufgrund mangelnder Kompromisse innerhalb der Regierungskoalition „zu torpedieren“, kritisiert die Expertin des Brüsseler Thinktank European Policy Centre (EPC) gegenüber ORF.at.

Expertin beklagt „mangelnden Respekt für EU“

Sie spricht von „mangelndem Respekt für europäische Gesetzgebungsprozesse, für die EU an sich“. Die Causa zeige zudem „wie Deutschland seine nationalen Interessen durchsetzen kann wie kein anderes Land in Europa“. Und die Expertin verweist auf die Kernproblematik der deutschen Blockade: „Das ist ein ganz gefährlicher Präzedenzfall.“

Gemeint ist, dass Beschlüsse, auf die sich EU-Kommission, EU-Parlament und EU-Länder in mühsamen Verhandlungen geeinigt haben, wieder ausgebremst und neu aufgerollt werden können, wenn es innenpolitisch gerade nützlich erscheint. Schon in den vergangenen Tagen und Wochen wurde immer wieder davor gewarnt, dass die deutsche Blockade in Brüssel Schule machen könne – mit ungeahnten Folgen für künftige politische Prozesse.

Die Expertin ermahnte die deutsche Regierung dazu, interne Probleme nicht auf die „europäische Ebene“ auszulagern. „Das widerspricht außerdem dem Versprechen Deutschlands zur Klimaneutralität“, fügt Pornschlegel hinzu. Zum Missfallen von SPD und Grünen setzte die FDP, die infolge mehrerer Misserfolge bei Landtagswahlen unter Zugzwang stand, vehement auf das Thema E-Fuels und die Rettung des Verbrennungsmotors. Die Partei sieht in der Frage auch eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung hinter sich, das ging Mitte März etwa aus dem Deutschland-Trend des ARD-„Morgenmagazin“ hervor.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP)
IMAGO/Chris Emil Janßen
Deutschlands Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) blockierte das Verbrennerverbot auf den letzten Metern

Sorge um Deutschlands Vorbildfunktion

Länder wie Deutschland und Frankreich – die beiden bevölkerungsreichsten Staaten der EU – hätten eine Vorbildfunktion zu erfüllen. Als solche müssten die Regierungen in Berlin und Paris „auch sicherstellen, dass die Regeln beachtet werden. Aber wenn nicht einmal Deutschland mehr die Regeln beachtet, wo kommen wir dann hin?“, sagt Pornschlegel. Die Sorge ist etwa, dass so ein Vorgehen in Ländern wie dem von Viktor Orban regierten Ungarn Nachahmer finden könnte.

E-Fuels

werden mit Hilfe großer Mengen grünen Stroms, Wasserstoffs sowie mit CO2 aus der Atmosphäre produziert. Die Verbrenner sind so klimaneutral, obwohl sie am Auspuff CO2 ausstoßen. E-Fuels gelten als ineffizient und teuer. Bisher gibt es keine nennenswerte Produktion.

Zur Erinnerung: Das Verbrenner-Aus ab 2035 galt im Herbst bereits als beschlossene Sache. Konkret hatten sich Unterhändler der Kommission, des Europaparlaments und der EU-Staaten auf das Verbot von Neuzulassungen für Autos mit Verbrennungsmotoren ab 2035 verständigt.

Doch es gab einen Knackpunkt. Die Einigung sah nämlich vor, die weitere Verwendung von E-Fuels erneut zu prüfen. Obwohl der Passus nicht rechtsverbindlich war, berief sich der deutsche Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) darauf. Eine für Anfang März vorgesehene Bestätigung der Einigung – eigentlich eine Formalie – wurde daher von Deutschland zunächst verhindert.

Schaidreiter (ORF) über Einigung im Verbrennerstreit

ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter spricht unter anderem über die Einigung im Verbrennerstreit. Des Weiteren bespricht sie, was das nun für die Autobesitzerinnen und Autobesitzer bedeutet.

Nicht nur das, Deutschland schmiedete in der Folge auch eine Allianz mit anderen Staaten. Unterstützung kam etwa von Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), nicht aber von der zuständigen österreichischen Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne). Eine so späte Intervention ist in Brüssel ungewöhnlich und stieß heftige Debatten an.

„Desaster“

Pornschlegel ist mit ihrer Kritik daher nicht allein: Die französische Grünen-Abgeordnete Karima Delli kritisierte mit „großer Wut“, die Kommission sei vor Deutschland „eingeknickt“. Von einem „Desaster“ sprach der deutsche Sozialdemokrat Rene Repasi. „Inhaltlich werden wir sehr genau prüfen, was die Kommission auf den Tisch legt“, sagte der deutsche Grünen-Klimaexperte Michael Bloss.

Dafür, dass Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor nach 2035 tatsächlich noch zugelassen werden können, wurde ein Verfahren vereinbart, das aber noch ausgearbeitet werden muss. Dabei soll die EU-Kommission festlegen, wie E-Fuels-Autos zu den Klimazielen beitragen. Das soll über einen delegierten Rechtsakt beschlossen werden. Dieser kann zwar von Parlament oder Ministerrat blockiert werden, allerdings müsste das mit eigenen Mehrheiten geschehen. Die Hürden für eine Ablehnung sind sehr hoch.

Klage steht im Raum

Aus dem EU-Parlament gibt es indes Stimmen, die in dem Rechtsakt ein Überschreiten der Kompetenz der Kommission sehen und eine Klage ins Auge fassen. Ins Spiel wurde so eine Klage etwa von dem einflussreichen liberalen französischen EU-Parlamentarier Pascal Canfin gebracht.

Eine erste Hürde nahm der Kompromiss indes: Die Botschafterinnen und Botschafter der EU-Staaten billigten die Einigung am Montag. Damit gibt es grünes Licht für das formale Ja im Rat der Energieministerinnen und -minister am Dienstag. Auch ein gescheiterter Vorstoß Italiens, das das Votum verschieben sollte, ändert daran nichts mehr. Italien hatte Deutschland in seinem Widerstand gegen die bisherigen Pläne der Kommission unterstützt, zugleich aber auch Sonderregeln für den Betrieb von Verbrennerautos mit Biosprit gefordert.

Dass die EU-Kommission in den vergangenen Tagen und Wochen jedenfalls alles daran setzte, einen Kompromiss zu finden, liegt auch daran, dass das Gesetz ein wichtiger Teil des EU-Klimaschutzprogramms „Fit for 55“ ist. Druck macht inzwischen auch der deutsche Verkehrsminister Wissing. Er will das Prozedere rund um das Aus für die Verbrenner nämlich bis Herbst 2024 abschließen. Dann endet die Amtszeit der aktuellen EU-Kommission.