Pflegekraft misst Puls von Person
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Pflegelehre

Sorge vor Überforderung von Jugendlichen

Nach wie vor breite Kritik gibt es an der geplanten Einführung der Pflegelehre. Unter anderem warnen Berufsvertretungen in Stellungnahmen zum Begutachtungsentwurf für eine entsprechende Novelle des Berufsausbildungs- bzw. des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes vor einer Überforderung von Jugendlichen und der weiteren Überlastung des aktuellen Personals. Die für Jugend zuständige ÖVP-Staatssekretärin Claudia Plakolm hingegen spricht von einem „Meilenstein“.

Die Pflegelehre ist Teil der im vergangenen Jahr vorgestellten Pflegereform. Die Begutachtungsfrist für die Novelle endet am Dienstag. Sie soll ab Herbst als Ausbildungsversuch möglich sein und sechs Jahre nach der Einführung evaluiert werden. Interessierte können sich für die Lehre zur Pflegefachassistenz (Dauer: vier Jahre) oder für die Lehre zur Pflegeassistenz (drei Jahre) entscheiden.

Für Tätigkeiten mit Patientinnen und Patienten ist ein Mindestalter von 17 Jahren vorgesehen. Erst danach sollen Jugendliche Schritt für Schritt an pflegerische Tätigkeiten herangeführt werden.

Warnung vor vielen Abbrüchen

„Die für den Pflegeberuf, der eines sensiblen Umgangs mit und in der Intimsphäre von vulnerablen Menschen bedarf, erforderliche sexuelle und geistige Reife von Kindern und Jugendlichen im Alter von 15 Jahren kann nicht vorausgesetzt werden“, schreibt der Österreichische Gesundheits- und Krankenpflegeverband (ÖGKV) in seiner Stellungnahme. Deshalb sei auch die praktische Ausbildung rechtlich erst nach Vollendung des 17. Lebensjahres erlaubt.

Lehrlinge könnten also in den ersten Lehrjahren bestenfalls als patientenferne Hilfskräfte eingesetzt werden. „Das widerspricht dem Sinn einer dualen Ausbildung und fördert keineswegs die Attraktivität des Pflegeberufs. Eine hohe Drop-out-Rate als Folge ist prognostizierbar“, so der ÖGKV.

Gewerkschaft sieht zusätzlichen Stressfaktor

Ähnlich auch die Gesundheitsgewerkschaft in der GÖD: Dazu komme, dass die praktische Anleitung und Begleitung Auszubildender die Beschäftigten in der Pflege aufgrund des eklatanten Personalmangels schon jetzt vor große Herausforderungen stelle. Das duale System der Lehre mit rund 80 Prozent betrieblicher Ausbildung werde das diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonal „aufgrund der hohen Präsenz der Lehrlinge im Lehrbetrieb noch weiter an seine Grenzen führen“.

Die Gewerkschaft verweist auch darauf, dass mit der Pflegelehre die Ausbildungszeiten verdoppelt werden: „Die Ausbildung in der Pflegefachassistenz (PFA) dauert im Rahmen einer Lehre statt zwei vier Jahre und die in der Pflegeassistenz (PA) statt einem drei Jahre.“

Gewerkschaft: Alterslücke bereits geschlossen

Gewerkschaft und Krankenpflegeverband verweisen auch auf die erst kürzlich beschlossene Überführung der Schulversuche zu Fachschulen für Sozialberufe mit Pflegevorbereitung bzw. zu Höheren Lehranstalten für Pflege und Sozialbetreuung in das Regelschulwesen. Die „Alterslücke“ zwischen dem Ende der Pflichtschulzeit und dem Einstieg in die Pflegeausbildung sei damit ohnehin geschlossen worden.

Die Diakonie fordert deutlich attraktivere Bedingungen, die Lehre müsse jedenfalls einen Wechsel zu anderen Pflegeberufen ermöglichen. Die Volkshilfe sieht ebenfalls offene Fragen, unter anderem, wer als Lehrbetrieb gilt.

Pflegferne Tätigkeit bei Ausbildung?

SOS Kinderdorf fragt sich als Kinderrechts- und Kinderschutzorganisation, was die Lehrlinge bis zum Alter von 17 Jahren machen sollen. Da der theoretische Ausbildungsanteil einer Lehre mit 20 Prozent definiert sei, würden 80 Prozent für praktische Tätigkeiten bleiben. „Wenn diese nicht am Patienten stattfinden dürfen, bedeutet das in der Praxis z. B. zwei Jahre putzen, Wäsche waschen und Essen bereitstellen.“

Mit ähnlichen Argumenten ebenfalls kritisch sieht die Pflegelehre der Dachverband der Sozialversicherungen – hervorgehoben wird auch die „Fragmentierung des Ausbildungsangebots“.

AK und NEOS sehen „falschen Weg“

Kritik kam auch von der Arbeiterkammer (AK), die Einführung einer Pflegelehre sei „der falsche Weg“. „Den Arbeitskräftemangel und die steigenden Kosten durch den Einsatz von Jugendlichen im Rahmen einer Lehrausbildung abzufedern, passt weder ins Lehrausbildungssystem noch eröffnet das jungen Menschen weitere Perspektiven. Es besteht vielmehr die Gefahr, dass Jugendliche überfordert und als billige Hilfskräfte eingesetzt werden“, hielt AK-Präsidentin Renate Anderl fest. Lehrberufe in der Pflege würden keine neuen Möglichkeiten bieten. Denn schon jetzt könne man nach der Pflichtschule eine BMS oder BHS mit Pflegeausbildung machen.

Das Rote Kreuz begrüßt den Versuch, den Personalmangel in der Pflege zu verringern, sieht aber viele offene Fragen, vor allem in der konkreten Umsetzung. So fehlten Kriterien, mit denen ein Betrieb Lehrlinge aufnehmen kann, insbesondere im Bereich der mobilen Pflege, in dem das Rote Kreuz selbst aktiv ist. Auch das Rote Kreuz fragt sich, wie die praktische Ausbildung angesichts der Altersgrenze für Arbeit mit Pflegebedürftigen erfolgen soll.

Seine Ablehnung erneuerte auch NEOS. „ÖVP und Grüne müssen die harsche Kritik der Fachleute ernst nehmen und einen Rückzieher machen“, sagte NEOS-Gesundheitssprecherin Fiona Fiedler. „Eine Pflegelehre ist der völlig falsche Weg – da sind sich alle, die sich auskennen, einig. Sie verlängert nur die Ausbildungszeit und schafft damit mehr Billigarbeitskräfte, für die es nicht einmal genügend Ausbildnerinnen und Ausbildner gibt.“ Anstatt eine Pflegelehre einzuführen, müsse der Pflegebereich allgemein aufgewertet werden.

Unterstützung für die Pflegelehre kommt dagegen grundsätzlich von Wirtschaftskammer und Seniorenrat – Letzterer macht aber ebenfalls darauf aufmerksam, dass es keinesfalls zu einer Überforderung der Jugendlichen kommen dürfe.

Plakolm weist Bedenken zurück

Staatssekretärin Plakolm bezeichnete die Pflegelehre am Dienstag als „Meilenstein“ im Bereich der Berufsausbildung. Bisher verliere man sehr viele Jugendliche im Sozialbereich, „weil sie mit 17 Jahren bereits mitten in einer Berufs- oder Schulausbildung sind und dann aus ganz pragmatischen Gründen nicht mehr in die Pflege wechseln“, so Plakolm in einer Aussendung.

Die Angst der Überforderung der Jugendlichen teilt sie nicht: „Es ist klar, dass wir einen 15-Jährigen nicht in der Palliativpflege einsetzen werden können. Ich sehe aber nichts, was gegen eine altersentsprechende Pflegelehre spricht, wo wir junge Menschen Schritt für Schritt heranführen.“

Die zuständigen Minister, Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) und ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher, verwiesen bei Präsentation des Entwurfs insbesondere auf den Fachkräftemangel. Dieser sei „vor allem in der Pflege eine große Herausforderung“ und könnte sich aufgrund der demografischen Entwicklung in den nächsten Jahren „noch verschärfen, wenn wir jetzt nicht mit gezielten Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen gegensteuern“.