Sonnenblumen vor dem Kernkraftwerk Bugey in Frankreich
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Nach Verbrennerstreit

Atomkraft nächster Spaltpilz in EU

Nach längerem Tauziehen haben die EU-Staaten am Dienstag endgültig das Aus für Benzin- und Dieselneuwagen ab 2035 beschlossen. Das Thema Atomkraft bleibt dagegen Spaltpilz: Vor allem Frankreich verlangt, Kernenergie dieselben Vorteile wie Erneuerbaren einzuräumen. Andere Länder – allen voran Österreich – lehnen das strikt ab.

Am Dienstag tagten die Energieministerinnen und Energieminister in Brüssel. In Sachen Verbrenner-Aus wurde der Ende der Vorwoche zwischen Berlin und Brüssel erzielte Kompromiss abgesegnet. Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren dürfen in der EU nach 2035 nur noch zugelassen werden, sofern sie ausschließlich mit synthetischen Kraftstoffen (E-Fuels) betankt werden.

Ganz anders sieht es bei der Atomkraft aus. Es geht um die Frage, welche Rolle Kernenergie beim Ausstieg aus fossilen Energieträgern spielen soll. Frankreich und einige andere Staaten fordern, Nuklearenergie als „grün“ einzustufen und ihr damit dieselben Vorteile wie Sonnen- und Windenergie zu gewähren.

Blöcke für und gegen Atomkraft

Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) sprach sich am Dienstag vehement gegen das Ansinnen aus: „Es ist völlig klar: Eine Gleichsetzung von Nuklearenergie und erneuerbaren Energien kann es nicht geben“, sagte sie. Gemeinsam mit zehn anderen EU-Ländern hat Österreich die „Freunde der erneuerbaren Energie“ ins Leben gerufen, wie Gewessler in Brüssel sagte. Mit dabei sind Deutschland, Spanien, die Niederlande, Belgien, Dänemark, Portugal, Irland, Lettland, Estland und Luxemburg.

Auf der anderen Seite steht der Block um Frankreich und den „Low Carbonis“, zu denen unter anderem Tschechien, die Slowakei, Rumänien, Finnland und Bulgarien gezählt werden. Atomkraft „ermöglicht es uns, unsere Treibhausgasemissionen zu senken, sie verursacht weniger CO2 als Photovoltaik und Windkraft. Und sie ist ein Trumpf für Europa, ein wirtschaftlicher Trumpf, ein Trumpf auch in Bezug auf Arbeitsplätze und ein Trumpf in Bezug auf das Klima“, sagte Frankreichs Agnes Pannier-Runacher am Dienstag.

„Strategische“ Technologien

Frankreichs Vorstoß pro Atomkraft berührt gleich mehrere EU-Vorhaben. Im Vorjahr wurde das „Fit for 55"Paket auf den Weg gebracht. Darin ist das Ziel formuliert, dass die EU-Staaten bis 2030 mindestens 40 Prozent ihrer Energie mithilfe von Erneuerbaren produzieren sollen. Geht es nach Paris, soll auch Atomenergie darunter fallen. Frankreich deckt 70 Prozent seines Energiebedarfs mit Atomkraft. Bis 2050 will man mindestens sechs neue Atomkraftwerke bauen.

Windräder vor einem Kohlekraftwerk in Deutschland
Reuters/Wolfgang Rattay
Windkraft und Atomkraft auf derselben Stufe beim Klimaschutz? Über diese Frage ist unter den EU-Staaten ein Streit entbrannt

Vor zwei Wochen legte die EU-Kommission einen Entwurf für das Netto-Null-Industrie-Gesetz vor. Ziel ist die Förderung klimafreundlicher Technologien, der Weg dorthin soll unter anderem über leichteren Zugang zu Förderungen und schnellere Zulassungsprozesse führen. Atomkraft kommt im Text vor, was bei Umweltschutzorganisationen für Kritik sorgte. Als "strategische“ Technologie wird sie, anders als etwa Photovoltaik, Windräder und Batterien, aber nicht geführt.

Kein Geld für marode Atomkraftwerke

Förderungswürdig ist die Kernenergie damit nur unter speziellen Voraussetzungen, wie auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vergangene Woche beim EU-Gipfel in Brüssel sagte: „Die Kernenergie kann bei unseren Bemühungen um die Dekarbonisierung eine Rolle spielen.“

Sehr fortgeschrittene Atomenergietechnik könne deshalb zwar als emissionsfrei betrachtet werden und „Zugang zu einigen vereinfachten Regeln und Anreizen“ erhalten, wenn sie für strategische Technologien wie die Produktion von Solarzellen, Batterien oder die Wasserstoffherstellung eingesetzt werde. „Die hochmoderne Kernenergie ist also für bestimmte Bereiche geeignet, aber nicht für alle“, betonte von der Leyen.

Bleibt es dabei, würde das bedeuten, dass Frankreich keine Förderung für seine bestehenden Atomkraftwerke erhielte. Das Geld wird allerdings dringend benötigt. Frankreichs Atommeiler gelten als marode, die Hälfte der 56 Anlagen im Land musste im Vorjahr kurzzeitig wegen Reparatur- und Wartungsarbeiten vom Netz genommen werden. Hinzu kam extreme Trockenheit, die vergangenen Sommer für einen Mangel an Kühlwasser und einen eingeschränkten Betrieb vieler AKWs sorgte. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass sich die Situation heuer nicht bessern wird.

Farbenstreit bei Wasserstofferzeugung

Beim Wasserstoff ist indes ein Streit über die „richtige“ Farbe entbrannt. Wird er durch die Spaltung von Wasser in Wasser- und Sauerstoff mittels Elektrolyse erzeugt und stammt der Strom dafür aus Atomkraft, spricht man von „pinkem“ (oder auch „rotem“) Wasserstoff.

ORF-Analyse: EU-Debatte um Atomstrom

Frankreich will Atomstrom als „grüne“ Energie deklarieren. Unter den EU-Staaten regt sich Widerstand. ORF-Korrespondent Benedict Feichtner berichtet aus Brüssel.

Paris fordert, dass Wasserstoff, der mithilfe von Atomstrom hergestellt wird, in der geplanten Erneuerbare-Energien-Richtlinie als nachhaltig eingestuft wird. Das würde „pinken“ und aus Ökostrom produzierten „grünen“ Wasserstoff auf dieselbe Ebene heben. Auch dieser französische Vorstoß wird von Österreich und mehreren anderen Staaten abgelehnt.

Restzweifel bei Verbrennerverbot

Die Einigung über das weitgehende Verbot von Neuzulassungen von Autos mit Verbrennungsmotoren wurde indes von vielen Seiten begrüßt. Klimaministerin Gewessler zeigte sich erfreut, dass die Blockade gelöst wurde. „Dass es jetzt ein Schlupfloch gebraucht hat, um noch Zauderer mit auf den Weg zu nehmen, das finde ich schade“, sagte sie.

Eigentlich hatten sich Unterhändler der EU-Staaten und des Europaparlaments bereits Ende Oktober auf das Vorhaben geeinigt. Deutschland stellte Nachforderungen und setzte nach wochenlangem Hin und Her Ausnahmen für Fahrzeuge durch, die rein mit synthetischen Kraftstoffen betrieben werden.

Ob die Ausnahmen für E-Fuels wie von EU-Kommission und Deutschland vereinbart umgesetzt werden können, ist aber zweifelhaft. So sollen die E-Fuel-Autos auch durch einen delegierten Rechtsakt in das EU-Regelwerk aufgenommen werden. Dieser wird von der EU-Kommission erlassen, aber das EU-Parlament und die EU-Staaten können zwei Monate lang Einwände erheben.

Autohersteller nehmen Abschied von Verbrenner

Ebenso zweifelhaft ist, ob nach 2035 noch Verbrenner in relevanter Zahl zugelassen werden. Viele Autokonzerne haben den Ausstieg aus dieser Technologie in den nächsten Jahren angekündigt. Der deutsche Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer nannte als Argument gegen solche Antriebe auch die hohen Kosten für die Herstellung der Kraftstoffe und die „gruselige Energiebilanz“.

E-Fuels werden mit Hilfe großer Mengen grünen Stroms, Wasserstoffs sowie mit CO2 aus der Atmosphäre produziert. Die Verbrenner sind so klimaneutral, obwohl sie über den Auspuff CO2 ausstoßen. E-Fuels gelten derzeit als ineffizient und teuer. Bisher gibt es keine nennenswerte Produktion.