die finnische Premierministerin Sanna Marin
IMAGO/Belga
Wahl in Finnland

Rechte setzen Marin unter Druck

Die Parlamentswahl in Finnland am Sonntag bringt die sozialdemokratische Regierungschefin Sanna Marin und ihre linke Fünfparteienkoalition in Bedrängnis. Marin genießt in der Bevölkerung zwar nach wie vor hohe Zustimmungswerte. Umfragen zufolge liegen die Sozialdemokraten (SDP) aber hinter den Konservativen und gleichauf mit den rechtspopulistischen Nationalisten.

Der Vorsprung der konservativen Nationalen Sammlungspartei (Kokoomus) zur SDP schrumpfte zwar in den letzten Umfragen, die Mitte-rechts-Partei liegt mit knapp 20 Prozent aber vor den Sozialdemokraten. Diese erreichen wie die rechtspopulistische Finnen-Partei (PS, früher: Wahre Finnen) rund 19 Prozent.

Die früher mächtige Zentrumspartei, die Grünen und die Linkspartei pendeln sich zwischen acht und zehn Prozent ein, die liberale Schwedische Volkspartei und die Christlichen Demokraten liegen bei rund vier Prozent.

Riikka Purra , Chefin der finnischen Partei „Die Finnen“.
Reuters
Die rechtspopulistische Finnen-Partei von Riikka Purra liegt gleichauf mit Marins SDP

Marin nach wie vor populär

Mit 34 Jahren hatte die heute 37-jährige Marin als jüngste Regierungschefin Europas Ende 2019 nach dem Rücktritt ihres Vorgängers Antti Rinne ihr Amt angetreten. Sie galt als Shootingstar der europäischen Sozialdemokraten wie auch jener in Finnland. Ein im Sommer in sozialen Netzwerken veröffentlichtes Video, das sie privat mit Freunden beim Tanzen zeigte, während Europa und auch Finnland mit der Energiekrise kämpften, sorgte zwar für heftige Debatten, tat ihrer Beliebtheit aber keinen Abbruch.

ORF-Korrespondentin Wolschek zu den Finnland-Wahlen

Finnlands Ministerpräsidentin Sanna Marin ist bei den Finnen beliebt, sie hat den NATO-Beitritt geschafft – warum muss sie dann trotzdem um die Wiederwahl zittern? ZIB-Korrespondentin Barbara Wolschek berichtet.

Trotz Pandemie und der Folgen der russischen Invasion genießt Marin weiterhin eine hohe Popularität. Einer Umfrage von Ende des vergangenen Jahres zufolge beurteilten 64 Prozent der Befragten die Arbeit Marins als Ministerpräsidentin mit „sehr gut“ und „ziemlich gut“. „Es ist ungewöhnlich, dass die Unterstützung für die Ministerpräsidentin bis zum Ende der Legislaturperiode nicht abnimmt“, analysierte die Historikerin Jenni Karimaki gegenüber BBC. Das sei ein Novum in der finnischen Politik.

Hohe Staatsverschuldung

Marin setzte mit ihrer Partei im Wahlkampf auf soziale und Gesundheitsthemen und versprach, die öffentlichen Dienstleistungen zu verbessern. Der Anteil der Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist hoch. Im vergangenen Jahr lag dieser bei 29 Prozent.

Die Staatsverschuldung stieg im dritten Quartal des vergangenen Jahres auf 70,9 Prozent des BIP. Bei Marins Amtsantritt Ende 2019 lag dieser Anteil noch bei 65 Prozent. Kürzungen bei Sozialleistungen lehnte Marin allerdings ab. Ihre Partei setzt vielmehr auf Wirtschaftswachstum und auf ein Ende von Steuerschlupflöchern.

Opposition will sparen

Petteri Orpo (53), Vorsitzender der oppositionellen Kokoomus, wirft Marins Regierung Verschwendung vor und fordert eine Sanierung der Staatsfinanzen. Auch Riikka Purra (45), Chefin der PS, fordert einen strengeren Sparkurs. Zudem greift sie die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wegen der Teuerung auf. Bei der Einwanderungspolitik will die PS Dänemark und Schweden zum Vorbild nehmen und Migration von „außerhalb der EU“ reduzieren.

Petteri Orpo, Chef der finnischen nationalen Sammlungspartei.
Reuters
Petteri Orpo von der oppositionellen Mitte-rechts-Partei Kokoomus will sparen und den Staatshaushalt sanieren

Die Krisen gehen auch an der finnischen Bevölkerung nicht spurlos vorüber. Zwar gelten die Finninnen und Finnen laut dem kürzlich veröffentlichten Weltglücksbericht nach wie vor als glücklichste Menschen der Welt aufgrund von Bewertungskriterien wie soziale Unterstützung, Einkommen, Gesundheit und Großzügigkeit.

Doch ließen hohe Energiepreise, Inflation und die Unsicherheit durch den Krieg in der Ukraine – Finnland hat eine rund 1.340 Kilometer lange Grenze zu Russland – die Unterstützung für Konservative und Rechtspopulisten in der Bevölkerung steigen.

Einhelligkeit bei NATO-Beitritt

Keine großen Unterschiede zwischen den Parteien gibt es hingegen bei der Unterstützung der Ukraine. Marin stattete erst kürzlich dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj einen Solidaritätsbesuch in Kiew ab. Auch Purra nimmt die Ukrainer und Ukrainerinnen bei ihrer harten Asyllinie aus und sei dabei „extrem engagiert“, wie sie selbst sagt.

Die finnische Premierministerin Sanna Marin und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Kiew.
IMAGO/ZUMA Wire
Marin stattete Selenskyj einen Solidaritätsbesuch ab

Der Schwenk von der Neutralität hin zu einem NATO-Mitgliedsantrag wird von nahezu allen politischen Lagern in Finnland unterstützt. Als letztes NATO-Mitglied stimmte am Donnerstag die Türkei offiziell der Aufnahme Finnlands zu. Ein Beitritt könne nun innerhalb weniger Tage erfolgen, kündigte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg daraufhin an.

Rechtspopulisten punkten bei Jungen

Mit derzeit zehn im Parlament vertretenen Parteien sind nach der Wahl lange Koalitionsgespräche zu erwarten. Die stimmenstärkste Partei erhält in Finnland traditionell den Auftrag zur Regierungsbildung. Gelingt das Marin mit den Sozialdemokraten, ist eine Neuauflage der derzeit regierenden Fünfparteienkoalition – alle fünf werden von Frauen geführt – genauso wie eine Koalition mit den Konservativen möglich, wenn auch mit harten Verhandlungen über den Kurs der Wirtschaftspolitik.

Manche politische Beobachter sehen in Purra und ihrer Partei eine mögliche Überraschungssiegerin bei der Wahl. Sie punktet den Umfragen zufolge vor allem bei jungen Wählern und Wählerinnen, ihre Partei ist auch stark auf TikTok vertreten. „Für viele junge Leute sind sie (Vertreter der Finnen-Partei, Anm.) eine hippe Partei mit coolen Videos auf TikTok“, sagte die Politologin Emilia Palonen.

Die Partei behaupte von sich selbst, eine neue, alternative für die Jugend zu sein. Zugleich spricht sich die Partei gegen strenge Klimaschutzmaßnahmen aus und argumentiert das mit Schäden für die Wirtschaft. Palonen: „Sie zapfen die Sorgen der Menschen über Inflation und hohe Strompreise an.“ Schwierig dürfte es für Purra im Fall eines Wahlsiegs dann aber bei der Bildung einer Koalition sein. Bis auf Orpos haben die meisten Parteien eine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten ausgeschlossen.