Wer glaubt, die RAF, die in Deutschland und darüber hinaus in den 1970er Jahren Anschläge verübte, ist längst Geschichte, irrt: Noch immer wird nach manchem Mitglied der „dritten Generation“ gefahndet. Etwa nach Burkhard Garweg, der seit rund 30 Jahren auf der Flucht ist. Garweg und eine Gruppe an Sympathisanten finanzieren ihr Leben im Untergrund durch bewaffnete Raubüberfälle auf Geldtransporter und dergleichen.
Die Ära der RAF ist hingegen längst verblasst. Die Linksterroristen, die aus der Studentenbewegung der späten 60er Jahre hervorgegangen sind, sind keine Gefahr mehr für den Staat. Ihr Ziel, Schrecken durch Gewalt zu verbreiten, um die staatliche Autorität zu untergraben, das kapitalistische System zu stürzen und unterdrückte Völker der Welt zu befreien, ist verpufft. Was blieb, ist das steinerne Symbol des staatlichen Sieges über die Umstürzler: Stammheim.

Festung gegen Fluchtversuche
Ab Mai wird mit dem Rückbau des Mehrzweckgebäudes begonnen, zunächst werden schadstoffhaltige Baumaterialien entfernt. Danach wird der Bau abtragen. An seiner statt wird ein modernes Gefängniskrankenhaus entstehen.
Das Gebäude, Teil der Justizvollzugsanstalt, wurde eigens für den Riesenprozess gegen die Hauptproponenten Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe um das berühmt gewordene Mehrzweckgelände erweitert und großflächig mit Stahlnetzen überspannt. In der jungen Republik gab es sonst keinen geeigneten Ort. Die Angst, die Gefangenen könnten in die Freiheit entführt werden oder flüchten, war groß.

Zudem war das öffentliche Interesse enorm, die jungen Linken sympathisierten mehrheitlich mit den Terroristen, konservative Bürger – motiviert von der aufgeregten Presse des Springer-Verlags – ventilierten hingegen Wünsche nach der Todesstrafe. Die vier Terroristen hatten Deutschland durch Anschläge über Jahre in Angst versetzt, Attentate auf und Entführungen von prominenten Staatsvertretern wurden zu medialen Großereignissen, ebenso wie der Prozess selbst.
Verhandlungsraum als Bühne
Die Angeklagten und ihre Anwälte, darunter etliche spätere Politiker, nutzten die 192 Verhandlungstage in Stammheim für ihre Inszenierung. Über zwei Jahre zogen sich die Verhandlungen, wiederholt unterbrochen durch Sanktionierungen, weil Baader und Co. das Gericht nicht anerkannten und während des Prozesses auch danach handelten. Sie holten sich prominenten Besuch, etwa jenen medienwirksam inszenierten des französischen Philosophen Jean-Paul Sartre.
Wiederholt traten sie auch in Hungerstreik, um gegen ihre Haftbedingungen zu protestieren, die aber tatsächlich viele Erleichterungen beinhalteten. So konnten die Angeklagten einander über lange Zeit noch treffen und besprechen – heute undenkbar. Auch waren die Männer und die Frauen im selben Trakt untergebracht. Die nächste RAF-Generation überzog derweil das Land im „Deutschen Herbst“ mit Attentaten, um die Anführer aus Stammheim freizupressen.

Doch der Staat ließ sich nicht erpressen, um April 1977 fielen die Urteile: schuldig wegen Mordes und versuchten Mordes in mehreren Fällen. Der Vorsitzende Richter des Zweiten Strafsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart verlas die Urteile stundenlang vor leerer Anklagebank – die noch lebenden Angeklagten waren erneut im Hungerstreik. Ulrike Meinhof erlebte das Prozessende nicht mehr – sie hatte sich schon im Mai 1976 mit einem in Streifen gerissenen Handtuch in ihrer Zelle erhängt.
Baader, seine Freundin Ensslin und Raspe folgten ihr in der „Todesnacht von Stammheim“ im Oktober 1977. Die Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ war gerade spektakulär gescheitert, der letzte Versuch der RAF, ihre Komplizen freizupressen. Wenige Stunden danach erschossen sich Baader und Raspe, Ensslin erhängte sich mit einem Kabel.
Dass die Häftlinge Schusswaffen hatten, beförderte schnell Verschwörungstheorien über die Todesumstände. Die restliche RAF verbreitete die Mär vom „staatlich angeordneten Mord“. Doch die Waffen stammten von den Anwälten der RAF, sie hatten sie ins Gefängnis geschmuggelt.

Erst 2007 kam heraus, dass die Häftlinge schon lange vor und auch während dieser Nacht in Stammheim abgehört worden waren. Doch von den gemeinsamen Suizidplänen will niemand etwas gewusst haben, auch von den Waffen nicht.
Auch später wurden noch Prozesse gegen Mitglieder der RAF in Stammheim geführt, es standen auch Islamisten und PKK-Aktivisten dort vor Gericht. Vor drei Jahren ging der letzte Stammheim-Prozess zu Ende. Seither harrt das Gelände seines Abrisses.

Museumsreife erreicht
Für Rupert von Plottnitz, einen der Verteidiger im ersten Stammheim-Verfahren, ist Stammheim an sich immer noch ein Ärgernis. „Die Erfahrungen waren nicht so, dass ich bei dem Abriss in Trauer verfalle“, sagte er der dpa. Er kritisierte auch fast fünf Jahrzehnte später, dass das Gebäude extra für das erste Terrorverfahren gebaut wurde. „Verhandlungen in Sondergebäuden statt in normalen Gerichten stigmatisieren zwangsläufig Angeklagte als vermeintliche Gemeingefahr, was der Unschuldsvermutung nicht guttun kann.“
Die letzten Überreste kommen nun ins Haus der Geschichte Baden-Württemberg, das manche Sitzeinheiten, Möbel sowie die Richter- und Verteidigertische übernimmt. Damit landet das wohl letzte Kapitel der RAF im Museum.