46,8 Millionen Mal wurde in Wien gegurgelt. Das Wiener Testprogramm galt weltweit als Erfolgsmodell, in keiner anderen Stadt wurde so viel auf das Coronavirus getestet. Die Testkits dafür hat das Start-up Lead Horizon entwickelt und hergestellt, ausgewertet werden die Proben in den Laboren der Firma Lifebrain.
Ein gutes Geschäft: Ca. 170 Millionen Euro Umsatz machte Lead Horizon laut unternehmensinternen Unterlagen mit den Kartonschachteln, den Selbsttests und der Gurgelsoftware in den Jahren 2021 und 2022.
Ermittlungen gegen CoV-Testfirma Lead Horizon
Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt gegen den Mehrheitseigentümer der Firma Lead Horizon wegen des Verdachts auf Untreue und Dokumentenfälschung. Das Unternehmen hat die CoV-Selbsttests im Wiener „Alles gurgelt“-Programm hergestellt.
Teure Umbauarbeiten im Büro
Gegründet wurde Lead Horizon vom Virologen Christoph Steiniger und dem Unternehmer Putz. Doch der schnelle Erfolg brachte recht schnell den Bruch der beiden Gesellschafter. Steininger gehört etwas mehr als ein Viertel des Unternehmens, Putz der große Rest. Zwei Jahre nach der erfolgreichen Gründung des Unternehmens brachte Steininger eine Sachverhaltsdarstellung gegen seinen eigenen Geschäftspartner bei der Staatsanwaltschaft Wien ein. Sie bildet die Grundlage für die Ermittlungen.
Vorgeworfen wird Putz, dass er in mehreren Fällen Geld aus Lead Horizon geschafft habe und damit den anderen Eigentümer – Virologen Steiniger – und das Unternehmen geschädigt habe. Es geht etwa um Umbauarbeiten im Büro von Putz, bezahlt durch Lead Horizon. Die Kosten: fast eine Viertelmillion Euro.

Auch soll Putz seine andere Firma Lead Innovation um mehr als 80.000 Euro beauftragt haben, obwohl diese gar nicht über die notwendige Gewerbeberechtigung verfügt haben soll. Ermittelt wird wegen der Vorwürfe auch gegen zwei weitere Firmen von Putz, Numbers & Trees Gmbh und Lead Innovation Management GmbH, nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz.
Außerdem soll Putz ein Angebot der Beratungsfirma PwC verändert haben, um es im Zivilprozess gegen seinen früheren Geschäftspartner einzusetzen, weshalb nun auch wegen Urkunden- und Beweismittelfälschung gegen ihn ermittelt wird.
Putz: Vorwürfe „haltlos“
Putz bestreitet alle Vorwürfe und nennt sie „haltlos“. Er stellt die Ermittlungen als Resultat eines internen Streits zwischen den ehemaligen Gesellschaftern dar. Steininger wollte sich gegenüber dem ORF nicht äußern.
100 Millionen Euro Umsatz hat Lead Horizon 2021 mit der Herstellung der Testkits gemacht, geblieben sind davon 20 Millionen Euro Bilanzgewinn. Die hohen Kosten im Unternehmen sorgen auch zwischen den Eigentümern für Missstimmungen.
Der teure Fuhrpark etwa: Die Führungsriege des Unternehmens mit etwa 50 Beschäftigten fährt Audi E-Tron, Porsche Taycan 4S, Tesla Model 3 oder Mercedes GLE. Gesamtnettokaufpreis für sieben Fahrzeuge: 482.212,45 Euro.
Interne Zweifel an Umgang mit Testsicherheit
Dokumente, die dem ORF vorliegen, zeigen aber auch interne Zweifel am Umgang von Lead Horizon mit der Sicherheit der eigenen Tests. Als Mitte 2022 überlegt wurde, die Pufferflüssigkeit im Probenröhrchen mit dem roten Deckel einzusparen, äußerte Virologe Steininger bei der Generalversammlung heftige Zweifel.
„Die zu erwartende Virusstabilität ist deutlich unterschiedlich, wenn Gurgelat in PBS-Puffer, Kochsalzlösung oder ein leeres Röhrchen gespuckt wird.“ Es bestünde „die Gefahr, dass Testergebnisse falsch negativ ausfallen könnten (d. h. getestete Personen einen negativen Corona-Test erhalten, obwohl sie tatsächlich positiv sind). Hieraus können gravierende Infektionsrisiken resultieren.“
Dennoch kam es zur Umstellung. Seit 5. Jänner 2023 werden die Tests nicht mehr mit einem aufwendigen und teuren PBS-Puffer ausgeliefert, sondern mit einer herkömmlichen Kochsalzlösung. Zwei Millionen Testkits sind laut Unternehmensangaben seither ausgeliefert worden.
Lead Horizon: Keine Auswirkungen auf Qualität
Lead Horizon betont gegenüber dem ORF, dass diese Umstellung die Qualität der Tests und die Sensitivität nicht negativ beeinflussen würde. Vom ORF befragte Virologen und Mikrobiologen sehen in diesem Schritt keine substantielle Beeinträchtigung der Testergebnisse, genauso wie die Stadt Wien, die betonte: „Lifebrain hat sämtliche Änderungen beim Programm bzw. Bestandteilen des Programms – also auch: bei den Testkits – regelmäßig mit dem Auftraggeber Stadt Wien abgestimmt und sämtliche Qualitätsvorgaben übererfüllt.“
Sicherheitsbeauftragter: Ministerium schaltet BASG ein
Und noch ein Problem kommt auf Lead Horizon zu. Als Virologe Steininger das Unternehmen verließ, kam damit auch der „Sicherheitsbeauftragte“ des Unternehmens abhanden. Geschäftsführer Putz übernahm die Funktion selbst und blieb das mehrere Monate – an einem der Höhepunkte der Pandemie – bis März 2022.
Allerdings schreibt das Medizinproduktegesetz vor, dass diese Funktion nur eine Person „mit der zur Ausübung ihrer Tätigkeit erforderlichen Sachkenntnis und Zuverlässigkeit“ ausüben darf. Manager Putz ist weder Virologe noch Arzt und auch kein Pharmakologe. Während Putz und Lead Horizon darin kein Problem sehen, widerspricht das Gesundheitsministerium.
Vom ORF mit den Recherchen konfrontiert, wurde das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) eingeschaltet. „Zur Klärung des Sachverhaltes“ werde ein „entsprechendes Ermittlungsverfahren zur Prüfung, ob die Bestimmungen des § 78 österreichisches Medizinproduktegesetz (MPG) eingehalten wurden, eingeleitet“, hieß es.