Arbeiten im Magna-Werk in Graz
ORF.at/Sonja Ryzienski
Abschied vom Verbrenner

Unruhige Zeiten für heimische Kfz-Industrie

So gut wie alle Autokonzerne steigen in den nächsten Jahren aus der Entwicklung von Verbrennungsmotoren aus und investieren Milliarden in E-Mobilität. Der Umbruch bei den Antriebssystemen bringt neue Player aufs Spielfeld und könnte die Kräfteverhältnisse in der Branche auf den Kopf stellen. Auf Österreichs stark exportorientierte Kfz-Industrie kommen unruhige Zeiten zu.

„Ich finde Technologieoffenheit gut. Aber Mercedes hat eine Strategie, die klar auf den Elektroantrieb setzt“, sagte der Vorstandschef des deutschen Autokonzerns, Ola Källenius, kürzlich der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“). Daran ändert nach Worten des schwedischen Managers auch die Einigung der EU-Staaten nichts, laut der rein mit E-Fuels betriebene Fahrzeuge nach 2035 neu zugelassen werden dürfen.

Der Wirkungsgrad des Elektroantriebs sei „sensationell“, sagte der Mercedes-Chef, und im Gegensatz zu mit E-Fuels betriebenen Fahrzeugen stießen E-Autos keine Emissionen aus. Außerdem sei der E-Antrieb eine junge Technologie mit „Fortschrittspotenzial“, so Källenius: „Der Elektroantrieb wird den Verbrennungsmotor in puncto Leistungsfähigkeit noch in diesem Jahrzehnt überholen.“ Bis zum Jahr 2026 will Mercedes seine Investitionen in den Verbrennungsmotor um 80 Prozent zurückfahren. Die Konkurrenz hat ebenfalls konkrete Zeitpläne für den kompletten oder zumindest weitgehenden Ausstieg aus der Verbrennertechnologie.

Eingeschränkter Spielraum für Entscheidungen

Pkws mit Verbrennermotoren werden nach 2035 nicht von den Straßen verschwunden sein. Für diese Fahrzeuge brauche es im Sinne des Klimaschutzes Lösungen, ein Ansatz seien synthetische Kraftstoffe, sagte Volkswagen-Chef Oliver Blume dem NDR. Für den Massenmarkt seien E-Fuels allerdings keine Option, so Blume weiter. In den nächsten drei Jahren will der Autokonzern 120 Mrd. in E-Mobilität und Digitalisierung stecken. „Wir sind fest davon überzeugt, dass die Elektromobilität dem Verbrennermotor in Kürze überlegen sein wird“, so der VW-Chef.

Für Österreichs Kraftfahrzeugindustrie ist die Positionierung in der sich verändernden Branche schwierig. Der Großteil der Betriebe sind Zulieferer. Sie stellen Teile für die internationalen Konzerne her, was sie abhängig macht von Entscheidungen, die in den Unternehmenszentralen im Ausland getroffen werden.

Mercedes-Produktion in Sindelfingen (Deutschland)
APA/AFP/Thomas Kienzle
Mercedes-Werk in Sindelfingen: Der deutsche Hersteller verabschiedet sich vom Verbrennungsmotor

Laut einem Factsheet des Fahrzeugfachverbandes der Wirtschaftskammer waren 2021 etwa 42.500 Menschen in Österreich direkt in der Kfz-Industrie beschäftigt. Rechnet man die metallverarbeitenden und chemischen Betriebe ein, die für die Autoindustrie produzieren, kommt man auf 60.000 bis 80.000 Arbeitnehmende. Die heimische Fahrzeugbranche ist stark international ausgerichtet: 90 Prozent der hergestellten Güter gehen in den Export, ein beträchtlicher Teil davon nach Deutschland.

Starke Ausrichtung auf Verbrennungsmotor

Hauptbetroffene des Strukturwandels sind Betriebe, die stark an der Entwicklung von Verbrennungsmotoren und Antriebssystemen für Benzin- und Dieselfahrzeuge hängen. Motor und Antriebsstrang eines E-Autos brauchen inklusive Batterie etwa 200 Komponenten; bei aktuellen Verbrennungsmotoren sind es circa 1.400.

„Ein großer Teil der bestehenden Produktionsanlagen und Lieferketten ist auf Verbrennungsmotoren ausgerichtet, was bedeutet, dass eine Umstellung auf Fahrzeuge mit alternativem Antrieb erhebliche Investitionen und Anpassungen erfordert“, heißt es aus dem Fahrzeugfachverband der Wirtschaftskammer (WKO) gegenüber ORF.at.

Grafik zur Komplexität von Fahrzeugen nach Antriebsarten
Grafik: ORF; Quellen: WIFO; Getty Images

Im Jahr 2035 werden durch den Umbruch bei den Antriebssystemen bis zu 10.000 Stellen in Österreich wegfallen, errechnete das Forschungsinstitut Fraunhofer Austria. Auch eine Studie der TU Graz zur Zukunft der steirischen Automobilindustrie liefert einen wenig optimistischen Ausblick: „Der Bedarf an Fachkräften zur Herstellung mechanischer Komponenten in Antriebssystemen, wie Schmiede-, Press- und Ziehteile, wird merkbar zurückgehen und sich im Jahr 2035 bei ca. 60 Prozent des heutigen Niveaus einpendeln“, heißt es darin.

Größere Firmen mit Vorteilen

Wie sich der Anteil der besonders betroffenen Firmen auf die österreichische Branche verteilt, wisse man nicht im Detail, sagte WIFO-Forscher Klaus Friesenbichler gegenüber ORF.at. Licht ins Dunkel bringen soll das neue Lieferkettenforschungsinstitut ASCII, bei dem Friesenbichler als Vizedirektor an Bord ist. In den nächsten Monaten werde gemeinsam mit einigen Betrieben versucht, die „Wertschöpfungsketten sowohl für Verbrenner als auch für E-Auto-Antriebsstränge und Wasserstoffbetriebene“ darzustellen.

Die Zuliefererbranche hat Friesenbichler zufolge erkannt, dass der Strukturwandel zügig voranschreitet. Vor allem die größeren Betriebe seien „so gut vorbereitet, wie man vorbereitet sein kann“, so der WIFO-Ökonom. Diese Firmen haben eher die Möglichkeit, neben ihrer Kerntätigkeit finanzielle Mittel und Know-how für die Erschließung weiterer Geschäftsfelder aufzubringen. Kleineren Marktteilnehmenden falle das naturgemäß wesentlich schwerer.

Die Politik könne mit Förderungen für die Aus- und Weiterbildung Abhilfe schaffen und den regulatorischen Rahmen so gestalten, dass die Betriebe größtmögliche Planungssicherheit hätten, so Friesenbichler. Der Fahrzeugverband der WKO betonte gegenüber ORF.at die Wichtigkeit von „Förderungen für Investitionen in neue Produktionsanlagen zur Fertigung von grünen Produkten, die in der Anwendung ressourcenschonend sind (Elektro, Wasserstoff).“ Handlungsbedarf sieht auch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). Er beruft am Mittwoch einen „Autogipfel“ ein um mit Expertinnen und Experten die Zukunft von E-Fuels zu erörtern. „Grüne Verbrenner“ seien eine gute Möglichkeit zur Absicherung des Standorts, sagte der Kanzler.

Überlegungen für stark betroffene Regionen

Die Automobilindustrie soll einer der Sektoren werden, die im Rahmen der von der Regierung vorgestellten „Klima- und Transformationsoffensive“ profitieren soll. Bis 2026 werden für Schlüsselindustrien insgesamt 600 Mio. Euro an Förderungen bereitgestellt. Seit Ende Februar können Projekte eingereicht werden.

Unabhängig davon müsse sich die Politik überlegen, wie Regionen mit besonders stark betroffenen Betrieben geholfen werden könne, so Friesenbichler. In der Steiermark etwa besteht seit 1995 der ACstyria Mobilitätscluster, ein Netzwerk aus mehr als 300 Unternehmen, die in der Auto-, Bahn- und Flugindustrie tätig sind und 70.000 Menschen beschäftigen.

Der große Vorteil eines Clusters: Sollte eine Firma verschwinden oder zum Personalabbau gezwungen sein, kann ein anderes Unternehmen aus der Region die Arbeitnehmenden auffangen. Dabei gelte die Losung: „Je bunter der Branchenmix, desto resilienter die Region“, so Friesenbichler. Ins Straucheln komme ein Cluster dann, wenn die Nachfrage nach ganzen Produktgruppen und Technologien wegbricht, so der WIFO-Forscher, „und das ist derzeit eine der Gefahren“.

China als unsicherer Zukunftsmarkt

Europas Autoriesen müssen freilich selbst darauf achten, in den kommenden Jahren nicht ins Hintertreffen zu geraten. China ist bereits zum drittgrößten Autoexporteur der Welt aufgestiegen. In Sachen E-Mobilität sind Konzerne aus der Volksrepublik in vielen Bereichen – etwa der Batterieentwicklung – führend.

BYD-Autohändler in Schanghai (China)
Reuters/Aly Song
Chinesisches E-Auto: Die Volksrepublik ist bereits drittgrößter Pkw-Exporteur der Welt

Angesichts geopolitischer Spannungen, allen voran mit den USA, sind in China deutliche Tendenzen erkennbar, bei der Produktion von E-Autos verstärkt auf eigenes Know-how zu setzen. Von der Batterie über Fahrsysteme bis hin zur Unterhaltungselektronik im Innenraum – „China will E-Autos rein chinesisch machen“, so Friesenbichler. Dass die Volksrepublik Zukunftsmarkt für europäische Autokonzerne bleibe, sei dadurch äußerst fraglich.

Unklare Positionierung in Zukunftsfeldern

Eine stärkere Positionierung wird Europas Autobranche laut dem Ökonomen auch in anderen mit E-Mobilität verbundenen Zukunftsfeldern brauchen, etwa Batterien oder Softwareentwicklung für autonome Fahrsysteme und Unterhaltungselektronik. Diese Bereiche seien derzeit nicht unbedingt die Stärken der österreichischen und deutschen Industrie, so Friesenbichler.

Bestrebungen, das zu ändern, gibt es: VW will 2026 eine riesige Batteriefabrik in Spanien eröffnen und plant Beteiligungen an Minen, in den Rohstoffe zur Akkuproduktion abgebaut werden. In puncto Software setzen viele Hersteller auf Kooperationen mit US-Riesen wie Microsoft und Amazon. Wo die Wertschöpfung dabei letztlich hängen bleibe, sei allerdings unklar, so der WIFO-Experte.

Alles in allem werde es die Autohersteller und die damit verbundenen Strukturen weiter brauchen, so Friesenbichler. „Vieles deutet aber darauf hin, dass sie nicht mehr so stark sein werden wie in der Vergangenheit.“