Wolodymir Selenskyj auf einem Screen im Parlament in Wien
ORF/Roland Winkler
Nationalrat

Selenskyj dankt in Rede Österreich

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich am Donnerstag im Parlament an Österreich und dessen Bevölkerung gewandt. Er dankte in seiner per Video übertragenen Rede für die Hilfe Österreichs. Selenskyj schilderte russische Gräueltaten, die Ukraine verliere jeden Tag Menschen: Soldaten im Einsatz und auch Zivilisten. Die FPÖ protestierte gegen Selenskyjs Auftritt.

Jede einzelne Stimme der Unterstützung des Völkerrechts für die Ukraine sei wichtig, so Selenskyj. Es sei wichtig, „moralisch nicht neutral gegenüber dem Bösen zu sein“, sagte Selenskyj weiter. Seinem Land gehe es nicht um Geopolitik oder um militärisch-politische Angelegenheiten. Ein Mensch müsse immer ein Mensch bleiben, das sei wichtig.

Der ukrainische Präsident sagte, dass es nun der 400. Tag im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sei. Es sei ein „totaler Krieg gegen Menschen“, an dem jeden Tag Menschen ihre Leben verlieren würden. Nicht nur in Kampfhandlungen würden Menschen getötet, sondern auch danach. 174.000 Quadratkilometer, etwa die doppelte Fläche Österreichs, seien durch Minen und nicht explodierte Geschoße kontaminiert. Hunderttausende Minen, Granaten und Sprengfallen seien von den Russen in Gebäuden und Gärten hinterlassen worden.

Rede von Wolodymyr Selenskyj

Der ukrainische Präsident sprach über die schwierige Lage in der Ukraine, in der seit 400 Tagen Krieg tobt. Er bedankte sich für die Unterstützung Österreichs für sein Land.

„Menschlichkeit, Zivilisiertheit gehören bewahrt“

„Wenn wir uns an Sie wenden, um um Unterstützung zu bitten, bitten wir darum, Menschenleben zu schützen.“ Die Ukraine wolle in Sicherheit, Ruhe und Freiheit leben. Er lud die Abgeordneten ein, in die Ukraine zu reisen und sich selbst ein Bild zu machen.

Er bedankte sich für die humanitäre Hilfe aus Österreich und insbesondere für „Nachbar in Not“. „Danke für die Unterstützung bei der Räumung von Minen und die ärztliche Behandlung in Österreich“, so Selenskyj weiter. Die Menschlichkeit, die Zivilisiertheit gehörten bewahrt. Selenskyj bedankte sich mehrfach. „Danke, Österreich“, sagte der ukrainische Präsident. Er sei sich gewiss, dass die Ukraine siegen werde. Für seine Rede erhielt Selenskyj langen Applaus.

In Österreich fanden nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 rund 90.000 Ukrainer und Ukrainerinnen Zuflucht. Knapp 54.000 befanden sich laut Innenministerium Anfang März in der Grundversorgung.

Wolodymir Selenskyj auf einem Screen im Parlament in Wien
ORF/Roland Winkler
Ein Blick ins Parlament während der Rede des ukrainischen Präsidenten

FPÖ verließ geschlossen den Saal

Als einzige Fraktion gegen die Rede des ukrainischen Präsidenten waren die Freiheitlichen. Wie angekündigt protestierte die FPÖ denn auch gegen den Videoauftritt Selenskyjs im Parlament. Nach der Begrüßung durch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) klatschten die FPÖ-Abgeordneten als einzige nicht. Stattdessen holten die Blauen zu Beginn vor Selenskyjs Ansprache Tafeln mit der Aufschrift „Platz für Frieden“ und „Platz für Neutralität“ hervor, die sie vor sich auf den Pulten platzierten.

Dann verließen sie geschlossen den Saal. Klubobmann Herbert Kickl hatte im Vorfeld den anderen Fraktionen vorgeworfen, sie seien „zu einer gefährlichen und undifferenzierten Endsiegrhetorik übergegangen“. Damit griff er zu einem einschlägig belasteten Propagandabegriff.

Leere Sesseln der FPÖ während der Übertragung einer Videoansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Nationalrat
ORF/Roland Winkler
Die leeren Sessel der FPÖ-Fraktion

„Es ist vollkommen klar, dass das Parlament keinem Vertreter einer kriegsführenden Partei eine Bühne sein darf“, begründete Kickl das Fernbleiben bei einer „Pressekonferenz der Neutralitätsversteher“ im Anschluss an die Rede. Der Protest der FPÖ würde in jedem Fall von „Neutralitätsverletzung“ so aussehen, auch wenn etwa der russische Präsident im Parlament sprechen würde.

Die Solidarität der FPÖ gelte der österreichischen Bevölkerung. „Wir sind weder auf der russischen noch auf der ukrainischen Seite.“ Klar sei aber, bei der „Fake-Nationalratssitzung“ habe ein Mann gesprochen, dem die UNO Kriegsverbrechen vorwerfe, so Kickl am Donnerstag.

Schallenberg unterstützt Haftbefel gegen Putin

Die FPÖ nutzte dann aber die anschließende Fragestunde an Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) für ausführliche Kritik. Die Abgeordnete Petra Steger erregte sich darüber, dass die Freiheitlichen die einzige Fraktion seien, die Österreichs Neutralität verteidigten. Schallenberg replizierte, dass es nur eine einzige Partei im Plenum gebe, die nicht wisse, was Neutralität bedeutet.

Es handle sich um eine militärische und nicht um eine Gesinnungsneutralität. Ausdrücklich unterstützte Schallenberg den internationalen Haftbefehl gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Es handle sich um ein richtiges Signal: „Auch Staatsoberhäupter stehen nicht über dem Recht.“

Sobotka versichert Hilfe bei Wiederaufbau

Sobotka betonte gegenüber Selenskyj, dass „die politische, finanzielle und humanitäre Unterstützung der Ukraine für die Österreicherinnen und Österreicher ein großes Anliegen“ sei. Österreich habe die Ukraine bisher mit über 129 Millionen Euro an finanzieller und humanitärer Hilfe unterstützt. „Wir werden diese Hilfe weiter fortsetzen.“ Fast 94.000 ukrainische Vertriebene hätte in Österreich Zuflucht gefunden.

Rund 200 österreichische Unternehmen seien in der Ukraine aktiv. Und Sobotoka versicherte Selenskyj, dass sich Österreich auch beim Wiederaufbau der Ukraine nach Kriegsende „sowohl im Rahmen der EU als auch bilateral konkret und aktiv beteiligen wird“. Sobotka: „Das offizielle Österreich ist zwar militärisch neutral, nicht aber politisch.“

Lopatka: Ukraine „mutig und entschlossen“

Die anderen Fraktionen wiesen in ihren anschließenden Redebeiträgen die Freiheitlichen zurecht. Selbstverständlich sei Selenskyjs Rede mit der Neutralität vereinbar, sagte der außenpolitische Sprecher der ÖVP, Reinhold Lopatka. Er kritisierte, dass die FPÖ-Abgeordneten dem ukrainischen Präsidenten den Rücken gekehrt haben: „Schade, dass sie ein solches Verhalten an den Tag legen. Wirklich schade.“

Die Ukraine habe sich „mutig und entschlossen“ dem Aggressor Russland entgegengestellt – „das verdient Respekt“. Die Ukraine führe diesen Abwehrkampf auch für die freie westliche Gesellschaftsordnung. Dass der Internationale Strafgerichtshof ein Verfahren gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin eingeleitet hat, sei richtig – Putin habe aber weiter Unterstützer in der Welt, auch in Österreich, wie man gesehen habe, so Lopatka. „Kickl ist solidarisch mit Putin, wir sind es mit der Ukraine.“

Grüne zu FPÖ: Das ist eine Schande

„Wenn hier im Hohen Haus jemand die Neutralität verrät, dann ist es die FPÖ“, so die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic. Die FPÖ entziehe sich dem demokratischen Diskurs, und „das ist eine Schande“, betonte sie. „Österreich ist solidarisch an der Seite der angegriffenen Ukraine.“ Dieser Krieg gefährde massiv die Stabilität in der gesamten Welt. Mit Blick auf die aufgenommenen Vertriebenen bedankte sich Ernst-Dziedzic bei der Zivilgesellschaft, dass sie derart solidarisch sei.

SPÖ hofft auf Stopp der Konfliktspirale

„Wenn man in einem Jahr ausschließlich 30 prorussische Anträge hier einbringt, ist das weder ein Signal für Frieden noch ein Signal für Neutralität“, schloss sich auch SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried der Kritik an der FPÖ an. Österreich habe von Beginn an schnell und entschlossen auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine reagiert. Er hoffte, dass die „Konfliktspirale“ bald gestoppt werden kann.

Die außenpolitische Sprecherin der SPÖ, Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner, war nicht anwesend. Wie ihre Sprecherin gegenüber der APA sagte, sei Rendi-Wagner krank. Laut „Kronen Zeitung“ fehlten „auch noch zahlreiche andere Abgeordnete der Sozialdemokraten, was ebenfalls für Irritationen sorgte“. Sie berief sich dabei auf einen Tweet von NEOS-Parlamentarier Douglas Hoyos. „Nur 18 von 40 Abgeordneten der SPÖ anwesend. Mir fehlen die Worte.“

NEOS zu FPÖ: Kollaborateur von Regimen

NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger sprach Selenskyj Respekt und Anerkennung aus. Die Ukraine kämpfe gegen „blinde Zerstörungswut“. Russland führe nicht nur einen Krieg gegen die Ukraine, sondern gegen Europa und den gesamten Westen. Sie frage sich, welches Kriegsverbrechen Putin nicht begangen habe in der Ukraine, besonders hob sie die hohe Zahl an Kindesentführungen hervor.

Wer hier auf der falschen Seite stehe, „macht sich zum Kollaborateur von diktatorischen Regimen“, richtete sie den FPÖ-Abgeordneten aus. „Ich schäme mich heute sehr“, sagte Meinl-Reisinger. Es gebe auch hier im Hohen Haus Abgeordnete, „die nicht unterscheiden können zwischen Opfern und Tätern“.

Proteste vor Parlament

Auf der Regierungsbank wohnten Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP), Sozialminister Johannes Rauch (Grüne), ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Kocher, Justizministerin Alma Zadic (Grüne) und Staatssekretär Florian Tursky (ÖVP) der Veranstaltung bei. Von der Galerie aus verfolgten unter anderen Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der ukrainische Botschafter Wassyl Chymynez und der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch, die Rede.

Vor dem Parlament demonstrierten dagegen an die hundert Friedensaktivisten, Vertreter der Kulturszene und linke Gruppierungen gegen die Rede Selenskyjs. Aktivist Stefan Krizmanich etwa sprach von einer „Schande für die Republik“, dass ein Präsident, der offen mit Ultranationalisten kooperiere, die Opposition ausschalte und schwarze Listen dulde, das Wort im Parlament ergreifen dürfe.

Formelle Einladung von Sobotka

Sobotka hatte Selenskyj formell zu einer virtuellen Rede im Parlament eingeladen, nachdem ein Vorstoß von NEOS letztes Jahr an der FPÖ gescheitert war. Offiziell fand das Statement nicht im Rahmen der Nationalratssitzung, sondern bei einer parlamentarischen Veranstaltung im Vorfeld der Plenarsitzung statt. Im APA-Interview im Vorfeld hatte Sobotka gesagt, dass er kein „Störfeuer der FPÖ“ erwarte. Er werde „Verbalangriffe“ nicht akzeptieren, so Sobotka vor der Rede.

Kickl: Taschenspielertrick

FPÖ-Chef Kickl sprach in Sachen Sobotka-Einladung von einem „Taschenspielertrick“. Die FPÖ hat traditionell gute Beziehungen zu Russland, 2016 hatten die Freiheitlichen einen Freundschaftsvertrag mit der Kreml-Partei Geeintes Russland abgeschlossen. Kickl wollte diesen 2021 nicht verlängern. Obwohl eine Kündigungsfrist versäumt wurde, bestätigte der Geeintes-Russland-Funktionär Andrej Klimow auf APA-Anfrage, dass der Kooperationsvertrag trotz der versäumten Frist keine Gültigkeit mehr habe.

Zum zweiten Mal an Österreich gewandt

Selenskyj wandte sich mit seiner Rede genau genommen zum zweiten Mal an Österreich. Ende Juni hatte er im Rahmen des 4Gamechangers-Festivals in der Wiener Marx Halle in einer Liveschaltung zu österreichischem Publikum gesprochen. Dabei dankte er jenen, „die verstehen, wer an diesem Krieg schuld ist“. Er verteidigte Sanktionen gegen Russland und warnte vor einem „Migrationstsunami“ aus Afrika.

der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videobotschaft beim 4Gamechangers Festival
ORF.at/Tamara Sill
Selenskyj im Rahmen des 4Gamechangers-Festivals

Keine Rede in Bulgarien und Ungarn

Selenskyj kam seit Kriegsbeginn in den Parlamenten von fast allen 27 EU-Ländern zu Wort. Nicht der Fall war das bisher in Bulgarien und im als russlandfreundlich geltenden Ungarn.

In Österreich war die NEOS-Initiative vom März des Vorjahres, Selenskyj zu einer Videoansprache einzuladen, am Widerstand der FPÖ gescheitert. Sobotka war damals zwar bereit, Selenskyj in den Nationalrat einzuladen. Bedingung sei allerdings ein Einvernehmen unter den Fraktionen, wie er damals der APA sagte. Die SPÖ sprach sich nach ursprünglichem Zögern später nicht dagegen aus.

Ukrainischer Parlamentspraesident Stefantschuk hält im österreichischen Parlament im Juni 2022 eine Rede
IMAGO/SEPA.Media/Martin Juen
Der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk Mitte Juni vor dem Nationalrat

Statt Selenskyj trat schließlich der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk Mitte Juni persönlich im Parlament auf. Stefantschuk plädierte in Wien vor Beginn einer Nationalratssitzung für eine EU-Annäherung seines Landes. Wenig später erhielt die Ukraine auf einem EU-Gipfel tatsächlich den EU-Beitrittskandidatenstatus.