Credit Suisse Bank in Zürich
APA/AFP/Fabrice Coffrini
Nach Turbulenzen

Treichl sieht „keine Finanzkrise“

Die Pleite der Silicon Valley Bank (SVB) und der Credit Suisse hat den Bankensektor in Turbulenzen gestürzt. Die Gefahr einer weltweiten Krise wie 2008 sieht Andreas Treichl, Aufsichtsratsvorsitzender der Erste Stiftung, zwar nicht. „Im Journal zu Gast“ übte er dennoch scharfe Kritik an der Zins- und Inflationspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), die „viel zu vorsichtig“ mit Einschätzungen zur Inflation gewesen sei.

Das Beben begann Anfang März mit US-Banken, die bis dato in der breiteren Öffentlichkeit eher unbekannt waren: Binnen weniger Tage verlor die kalifornische SVB das Vertrauen von Anlegerinnen, Anlegern und Kunden, am 10. März übernahm die US-Einlagensicherung FDIC die Kontrolle und schloss das auf Start-up-Finanzierung spezialisierte Institut. Inzwischen hat die amerikanische First Citizens Bank Vermögenswerte des kollabierten Instituts in Form von Einlagen und Krediten übernommen.

Weitere kleine Geldhäuser in den USA gerieten ins Straucheln, die Signature Bank brach komplett zusammen. Aktienkurse von Bankhäusern weltweit gerieten unter Druck, die bereits zuvor kriselnde Schweizer Großbank Credit Suisse wurde Mitte März per Notverkauf an die UBS aufgefangen. Umsetzen soll die Integration der Rivalin der langjährige UBS-Chef Sergio Ermotti: Ermotti wird nach der Aktionärsversammlung am 5. April Ralph Hamers als Konzernchef ablösen, wie die UBS am Mittwoch mitteilte.

Sorgen über die künftige Größe des Instituts nach der Notübernahme der Credit Suisse trat Ermotti zuletzt entgegen. „Die Frage übermäßiger Größe stellt sich nicht“, sagte Ermotti in einem am Samstag veröffentlichten Interview der italienischen Wirtschaftszeitung „Il Sole 24 Ore“.

Strauchelnde Banken „unterschiedliche Fälle“

Angesichts der Turbulenzen nahmen zuletzt Befürchtungen zu, dass sich die zunächst lokalen Krisen wie 2008 zu einer globalen Bankenkrise auswachsen könnten. Aufsichtsratsvorsitzender der Erste Stiftung und ehemaliger Erste-Group-CEO Treichl sah diese Gefahr „Im Journal zu Gast“ nicht, bei den betroffenen Banken handle es sich um „sehr unterschiedliche Fälle“.

„Sie haben gemeinsam, dass die Geschäftsmodelle nicht gepasst haben“, so Treichl weiter. Regulatorisch hätte das, was in Amerika passiert ist, in Europa nicht passieren können. Die Credit Suisse habe seiner Meinung nach „viele Jahre schon Anzeichen gehabt, dass vieles in die falsche Richtung geht. Das ist keine Finanzkrise.“

Die Bankenaufsicht sei in Europa besser aufgestellt. Und es gebe in Österreich keine Bank, die ein ähnliches Geschäftsmodell wie die Credit Suisse habe: „Ein sehr aggressives, sehr, sehr großes Investmentbanking, über den ganzen Globus verstreut. Dann ein lokales Retailgeschäft, das sehr gut war bei der Credit Suisse und eine Vermögensverwaltung, die aufgrund des wachsenden Misstrauens der Kunden in ihre eigene Bank einen massiven Abbau hat hinnehmen müssen“, so Treichl. Es hätten viele Kunden ihr Geld abgezogen, da das Vertrauen verloren gegangen sei.

Silicon Valley Bank
Reuters/Brittany Hosea-Small
Die Turbulenzen begannen am 10. März mit dem Kollaps der Silicon Valley Bank

Kritik an Zinspolitik der EZB

Kritik übte Treichl jedoch an der EZB. Sie habe zwar kein Glaubwürdigkeitsproblem, habe aber zu lange mit Zinserhöhungen zugewartet. Dadurch leide die Bevölkerung nicht nur unter der hohen Inflation, sondern auch unter der Verlängerung der Periode an negativen Realzinsen. Diese reduziere das Vermögen der Mittelklasse seit weit über zehn Jahren.

„Ich glaube, dass die EZB über einen viel zu langen Zeitraum viel zu vorsichtig war mit ihren Inflationsschätzungen und keine Aktivitäten gesetzt hat“, sagte der Bankmanager. „Hätte die EZB früher reagiert, wären wir jetzt in einer besseren Situation.“ Jetzt komme man in eine schwierige Situation, denn es gebe auf Bankeinlagen, Lebensversicherungen und Bausparverträge praktisch keine Zinsen. Die Menschen würden seit langer Zeit viel Geld verlieren.

„Wir haben in Europa in den Banken Haushaltseinlagen liegen von acht Billionen Euro. Bei fünf Prozent negativer Realverzinsung ist das ein Vermögensverlust von 400 Milliarden Euro pro Jahr“, sagte Treichl. „Die Situation ist dramatisch, darüber wird weder in der Politik geredet noch in der Zentralbank.“

Ukraine-Krieg als „Weckruf für Europa“

Zu den Russland-Geschäften der Raiffeisen-Bank merkte Treichl an, dass es sehr viele Unternehmen in den unterschiedlichsten Branchen gebe, die seit Jahrzehnten ein extrem gutes Geschäft mit Russland, aber auch mit der Ukraine und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken gemacht hätten. Daher sei es verständlich, dass es Österreich mit den Russland-Sanktionen schwerer habe als andere Länder.

Noch immer sei die Chance da, dass der Überfall auf die Ukraine einen Weckruf in Europa erzeugt habe. Dieser sei allerdings bereits 30 Jahre im Verzug. „Europa war schon vor 30 Jahren energieabhängig, verteidigungsunfähig und in keiner der neuen Industrien mehr führend“, so Treichl. Es brauche eine Welt, in der Europa eine Rolle spiele – das könne unter anderem gelingen, indem sich Europa zu einem attraktiven Arbeitgeber für Menschen von anderen Kontinenten entwickle und mit den technologischen Fortschritten mithalte.