UNO-Sicherheitsrat
Reuters/Andrew Kelly
UNO-Sicherheitsrat

Ukraine zürnt über Russlands Vorsitz

Den ganzen April über werden die Sitzungen im UNO-Sicherheitsrat von Russland geleitet – das Land hat am Samstag im Zuge der üblichen Rotation den Vorsitz des mächtigsten UNO-Gremiums übernommen. Zwar hat das Vorsitzland im Grunde wenig Einfluss auf die Entscheidungen des Gremiums, doch kann es die Tagesordnung bestimmen. Im Vorfeld hatte die Ukraine an die Mitglieder appelliert, Russlands Vorsitz zu verhindern. Nun übt Kiew scharfe Kritik.

Erst am Vortag habe die russische Artillerie ein fünf Monate altes Kind getötet, und nun übernehme das Land den Vorsitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Samstag in seiner allabendlichen Videoansprache. „Es ist kaum etwas vorstellbar, was den vollständigen Bankrott solcher Institutionen besser demonstriert“, so Selenskyj.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kündigte am Sonntag an, die EU werde den Sicherheitsrat vor „jeglichem Missbrauch“ durch Russland schützen. „Trotz ständiger Mitgliedschaft im Sicherheitsrat verstößt Russland immer wieder gegen die Grundsätze des UNO-Rechtssystems“, schrieb der EU-Außenbeauftragte auf Twitter.

„Schlag ins Gesicht“

Vor Selenskyj hatte schon der ukrainische Außenminister Dmitri Kuleba den Wechsel als „schlechten Aprilscherz“ kritisiert. Der russische Vorsitz sei „ein Schlag ins Gesicht der internationalen Gemeinschaft“. Via Twitter drängte Kuleba die Mitglieder des Sicherheitsrats dazu, „jeden russischen Versuch zu vereiteln, seinen Vorsitz zu missbrauchen“. Russland sei im UNO-Sicherheitsrat „ein Geächteter“, schrieb der Außenminister.

„Ab dem 1. April wird die Absurdität auf ein neues Niveau gehoben“, sagte Serhij Kyslyzja, Ständiger Vertreter der Ukraine bei den Vereinten Nationen. Der Leiter des ukrainischen Präsidialamts, Andrij Jermak, schrieb auf Twitter: „Es ist nicht nur eine Schande. Es ist ein weiterer symbolischer Schlag gegen das auf Regeln basierende System der internationalen Beziehungen.“

Russland „will alle Rechte ausüben“

Der Vorsitz im UNO-Sicherheitsrat rotiert monatlich, die 15 Mitgliedsstaaten wechseln sich in alphabetischer Reihenfolge ab. In diesem Monat ist turnusgemäß Russland an der Reihe. Am Freitag hieß es aus dem Kreml, Russland wolle in dieser Funktion „alle seine Rechte ausüben“. Das letzte Mal hatte Russland den Vorsitz im Februar 2022 inne, in jenem Monat begann Russland mit der Invasion in der Ukraine.

Selenskyj kritisiert UNO-Sicherheitsrat

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kritisiert den UNO-Sicherheitsrat scharf, weil Russland dort wieder den Vorsitz übernommen hat.

Mit Russland sitzt dem Gremium ein Land vor, gegen dessen Präsident Wladimir Putin mittlerweile ein internationaler Haftbefehl wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen vorliegt. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) – der keine UNO-Institution ist – hat den Haftbefehl gegen Putin im vergangenen Monat ausgestellt. Laut dem Gericht ist Putin mutmaßlich für die Deportation von Kindern verantwortlich.

Lawrow wird zwei Sitzungen leiten

Moskau hatte in den vergangenen Tagen angekündigt, dass Außenminister Sergej Lawrow zwei Sitzungen des Sicherheitsrats leiten werde: „Ein (…) Schlüsselereignis der russischen Präsidentschaft wird die hochrangige öffentliche Debatte des Rates zum Thema ‚effektiver Multilateralismus durch die Verteidigung der Grundsätze der UNO-Charta‘ sein“, so Lawrows Sprecherin Maria Sacharowa zuletzt. Zudem werde Lawrow am 25. April eine Debatte über den Nahen Osten leiten.

Russlands UNO-Gesandter Wassili Nebensja erklärte gegenüber der russischen Nachrichtenagentur TASS, er plane, mehrere Debatten zu leiten, darunter auch eine zum Thema Rüstungskontrolle. Er gab an, auch über eine „neue Weltordnung“ sprechen zu wollen, die „die unipolare Weltordnung ablösen“ werde.

„Kein praktikabler internationaler Rechtsweg“

Auch die USA hatten Russlands Rolle und seinen ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat kritisiert. „Ein Land, das schamlos die UNO-Charta verletzt und seinen Nachbarn überfällt, hat keinen Platz im UNO-Sicherheitsrat“, erklärte die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, zuletzt.

Trotz der Beschwerden der Ukraine erklärten die USA, sie könnten Russland als ständiges Mitglied des Gremiums nicht daran hindern, den Vorsitz zu übernehmen. „Leider“ sei Russland ein ständiges Mitglied des Gremiums und es gebe „keinen praktikablen internationalen Rechtsweg“, um das zu ändern.

Die übrigen ständigen Mitglieder des Rates sind neben den USA und Russland das Vereinigte Königreich, Frankreich und China. Die nicht ständigen Mitglieder sind derzeit Albanien, Brasilien, Gabun, Ghana, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ecuador, Japan, Malta, Mosambik und die Schweiz.

Friedensappell „purer Zynismus“

Der ukrainische Botschafter Oleksij Makeiev hat unterdessen den Aufruf ehemaliger hochrangiger deutscher SPD-Politiker und Gewerkschafter zu Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine scharf kritisiert. „Dieser Friedensappell ist kein Aprilscherz. Das ist purer Zynismus gegenüber den zahlreichen Opfern der russischen Aggression“, sagte Makeiev der dpa. Er habe nur eins zum Ziel: „Die Verbrechen Russlands und dementsprechend die Verantwortung des russischen Regimes zu verschleiern.“

Der Appell mit dem Titel „Frieden schaffen!“ wurde von dem Historiker Peter Brandt, einem Sohn des ehemaligen deutschen Kanzlers Willy Brandt, zusammen mit dem früheren Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, und dem Ex-SPD-Bundestagsabgeordneten Michael Müller initiiert.

Darin wird Kanzler Olaf Scholz (SPD) aufgerufen, zusammen mit Frankreich die Länder Brasilien, China, Indien und Indonesien für eine Vermittlung zu gewinnen, um schnell einen Waffenstillstand zu erreichen. „Das wäre ein notwendiger Schritt, um das Töten zu beenden und Friedensmöglichkeiten auszuloten. Nur dann kann der Weg zu einer gemeinsamen Sicherheitsordnung in Europa geebnet werden“, heißt es in dem Appell.