Ein Rohr mit Abwässern wird in das Meer geleitet
AP/Science Photo Library/Robert Brook
Fäkalien im Meer

Briten kämpfen gegen „Shitstorm“ an Küste

Die Stellen, an denen in Großbritannien ungeklärtes Abwasser – teils legal – in Flüsse, Seen und Meer gelangt, gehen in die Tausende. Auch zahlreiche beliebte Badeorte sind betroffen. Die Entrüstung darüber wächst und findet auch Gehör: Die Regierung von Rishi Sunak bemüht sich, das Problem in den Griff zu bekommen. Trotzdem bleiben Zweifel.

Zahlen, die letzte Woche von der britischen Umweltbehörde Environment Agency (EA) veröffentlicht wurden, zeigen das Ausmaß der Verschmutzung: 2022 sei durchschnittlich 825-Mal pro Tag ungeklärtes Abwasser in britische Gewässer geflossen. Es gehe um Abermilliarden Liter von mit Fäkalien verseuchtem Wasser.

Viele Menschen würden sich wortwörtlich „beschissen“ fühlen, schreiben britische Medien, und ihrem Ärger in einem „Shitstorm“ gegen die Regierung Luft machen. Nicht nur Badegäste und Einheimische seien erbost, sondern auch Restaurant- und Hotelbetreiber, die über Einbußen an den verseuchten Stränden klagen. Vor gesundheitlichen Folgen beim Schwimmen im Meer warnten Experten. Und Fischer befürchteten, dass ihr Fang bald ungenießbar werde.

Luftaufnahme von verfärbtem Abwasser in der Themse in Dartford (London)
APA/AFP/Ben Stansall
Die ekeligen Abwässer im Meer sind oft mit bloßem Auge sichtbar

Ein Systemproblem

Dass so viele Fäkalien ins Meer gelangen, liegt am britischen Abwassersystem, das teilweise noch aus viktorianischer Zeit stammt und seit Ende der 1980er Jahre vollständig privatisiert ist. Regenwasser und Abwässer werden in denselben Rohren zu den Kläranlagen geleitet. Bei starken Regenfällen ist die Kapazität aber zum Teil nicht ausreichend. Um ein Überlaufen zu vermeiden, darf überschüssiges Abwasser direkt in das Meer und die Flüsse geleitet werden. Kläranlagen nutzen das immer wieder.

Zudem funktionieren zahlreiche Anlagen, die die Einleitung von Abwässern überwachen sollen, nicht oder sind gar nicht wie vorgesehen installiert. Etliche Kläranlagen würden einfach auch nur illegal handeln und Abwässer bei trockenen Bedingungen oder ungeklärt freisetzen, berichtete die BBC. Water UK, das die Abwasserunternehmen vertritt, wies das zurück und machte geltend, dass ausreichende Schutzmechanismen in Kraft seien.

Kritiker „angewidert“

Die Konservative Partei wird von Kritikern als Hauptschuldiger ausgemacht. Denn die Torys verweigerten im Herbst 2021 eine Änderung des Umweltgesetzes, die Wasserunternehmen gesetzlich dazu verpflichtet hätte, kein Abwasser mehr in Flüsse zu pumpen. Sunaks Vorgängerin Liz Truss strich als Umweltministerin einst Millionen Pfund, die für den Kampf gegen Wasserverschmutzung eingeplant waren. Wahlkampfleiterin von Truss wiederum war die jetzige Umweltministerin Therese Coffey.

Luftaufnahme einer Kläranlage in Dartford (London)
APA/AFP/Ben Stansall
Die gesamte britische Wasseraufbereitung wird – wie hier in Dartford an der Themse – von Privatunternehmen betrieben

Die Regierung habe zugelassen, dass Gewässer als Abwasserkanäle missbraucht würden, sagte Labour-Chef Sir Keir Starmer. Er sei „angewidert von dem, was vor sich geht“. Großbritannien brauche einen „guten Plan“, um das Problem zu lösen. Starmer schlug unter anderem eine strenge Überwachung aller Abwasserauslässe vor. Die Liberaldemokraten wiederum forderten Coffeys Rücktritt. Und die Grünen verlangten, die Abwasserunternehmen zur Verantwortung zu ziehen.

Einen weiteren Grund für die verseuchten Strände sehen manche auch im Brexit. Bereits vor dem Votum über den EU-Austritt 2016 hatten Umweltverbände gewarnt, nach dem Brexit könne die Regierung Umweltvorschriften verwässern. Erst strenge EU-Gesetze und Druck aus Brüssel hätten dazu geführt, dass Gewässer und Luft in Großbritannien sauberer wurden, hatte etwa Stanley Johnson gesagt, der Vater von Ex-Premier Boris Johnson. Nun gibt der Umweltaktivist der Regierung die Schuld an der Situation.

Wasser als „Schlüsselthema“

Unter dem wachsenden Druck verkündete Coffey am Dienstag ein Maßnahmenpaket zur Verbesserung der Wasserqualität, darunter die Androhung von Bußgeldern in unbegrenzter Höhe, wenn Wasserunternehmen gegen die Umweltauflagen verstoßen. Außerdem sollen Feuchttücher großteils verboten werden – angeblich sind sie eines der Hauptprobleme im oft maroden Kanalsystem, die zur Bildung teils riesiger „Fettberge“ führen, die die Kanäle verstopfen.

Die Torys befürchten, dass das Thema sie bei den bevorstehenden Kommunalwahlen im Mai teuer zu stehen kommt. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage unter Parteimitgliedern ergab laut „Politico“, dass Coffey von allen 31 Mitgliedern des Kabinetts am unbeliebtesten war. Sie stehe aus mehreren Gründen unter Beschuss, nicht nur wegen des Abwasserproblems, sondern auch wegen Versäumnissen bei der Reduzierung der CO2-Emissionen und wegen ihrer Spannungen mit dem Bauernverband National Farmers’ Union bezüglich möglicher Schranken für die intensive Landwirtschaft, insbesondere die Hühnermastbetriebe.

Wasser sei ein „Schlüsselthema“ für alle Parteien, sagte Glen O’Hara von der Oxford Brookes University, Autor von „The Politics of Water in Post-War Britain“. Die Torys hätten viel zu verlieren. Küstenstädte und Badeorte haben großteils einen Bürgermeister von der konservativen Partei. Der Vorsitzende und Gründer von River Action, Charles Watson, sagte, die Aufhebung der Obergrenze für Bußgelder bei Verstößen könne bedeuten, dass die Regierung „endlich durch die enorme öffentliche Empörung über das, was mit unseren Flüssen passiert, aufgewacht ist“.