Eine junge Japanerin mit Maske muss niesen, weil sie Heuschnupfen hat
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„Nationale Krankheit“

Japan sagt Heuschnupfen den Kampf an

In Japan leiden etwa 40 Prozent der Bevölkerung jedes Jahr im Frühling an hartnäckigem Heuschnupfen. Da die Pollenbelastung in Tokio kürzlich den höchsten Stand seit einem Jahrzehnt erreichte, möchte Japans Premierminister Fumio Kishida Zedern und Zypressen nun den Kampf ansagen. Der Heuschnupfen sei mittlerweile zu einem „sozialen Problem“ geworden, das bekämpft werden müsse, sagte er nach Angaben lokaler Medien diese Woche vor einem Parlamentsausschuss.

Kishida reagierte mit dem Vorstoß auf die Frage eines Abgeordneten der regierenden Liberaldemokratischen Partei, der die Allergie als „nationale Krankheit“ bezeichnete und andeutete, dass Kishida „in die Geschichte eingehen“ würde, wenn er sie ausrotten würde.

Er werde mit den Ministerinnen und Ministern zusammenarbeiten, um eine Lösung zu finden, erklärte Kishida laut Angaben lokaler Medien. „Wir wollen Ergebnisse erzielen.“ Laut der japanischen Tageszeitung „Mainichi Shimbun“ wird erwartet, dass Kishida eine stärkere Abholzung und Aufforstung von Wäldern mit Bäumen, die weniger Pollen absondern, sowie die Förderung einer Reissorte, die Heuschnupfensymptome lindern soll, forcieren wird.

Zu viel aufgeforstet?

Dabei handelt es sich bei der Volkskrankheit Heuschnupfen in Japan um ein relativ neuartiges Problem. Dass in Japan im Frühjahr laut Schätzungen wohl 40 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner von Symptomen wie juckenden und tränenden Augen, kratzendem Hals und Niesen betroffen sind, sobald die Zedern und Zypressen Pollen absondern, wird dem „Guardian“ zufolge auf ein Aufforstungsprogramm der Nachkriegszeit zurückgeführt.

Der berühmte Daimonzaka-Weg in Japan durch den Zypressenwald zu den Nachi-Wasserfällen
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Zumindest auf Bildern sieht Japans berühmter Daimon-Zaka-Pfad im riesigen Zypressenwald idyllisch aus

Denn nach dem Krieg suchte man in dem von Bergen dominierten Japan nach einer schnellen und einfachen Möglichkeit, um Bergrutschen vorzubeugen und Baumaterial zu gewinnen – weshalb in großem Stil aufgeforstet wurde, wobei die heranwachsenden Bäume große Mengen an Pollen produzierten.

Als die Preise für importierte Baumaterialien in den 1970er und 1980er Jahren fielen, wurden sie jedoch weniger abgeholzt, wodurch die Pollenbelastung weiter stieg. Auch die zunehmende Urbanisierung des Landes hat in der Folge zu dem Problem beigetragen, denn Pollen, die sich auf harten Oberflächen wie Beton und Asphalt absetzen, werden leichter vom Wind verbreitet.

Einzelne Unternehmen profitieren

Der jüngste Pollenpeak erklärt laut „Guardian“ auch, weshalb auf Japans Straßen nach wie vor im Freien Maske getragen wird – obwohl die Regierung vor Kurzem die während der CoV-Pandemie verabschiedete Maskenpflicht wieder gelockert hat. „Der Pollenflug ist in diesem Jahr so stark, dass das Tragen von Masken wahrscheinlich noch eine Weile anhalten wird“, sagte ein Sprecher von Unicharm, Japans größtem Hersteller von Einwegmasken, gegenüber „Yomiuri Shimbun“.

Und auch andere Unternehmen sind wohl heimliche Nutznießer der „Heuschnupfenepidemie“: Laut dem Marktforschungsunternehmen Intage hat sich der Umsatz von entzündungshemmenden Nasensprays Ende Februar mehr als verdoppelt. Der Umsatz von Anti-Allergie-Augentropfen ist laut „Japan Times“ sogar um 233 Prozent gestiegen.

Hohe japanische Zedern
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Der zweite große Übeltäter der aktuellen japanischen Pollensaison: die Zeder

Produktivität leidet unter Pollen

Der angekündigte Vorstoß von Premier Kishida dürfte auch im Sinne der japanischen Arbeitgeber sein: Heuschnupfen und Nasenallergien haben laut der „Japan Times“ bereits zu einem jährlichen wirtschaftlichen Verlust von etwa fünf Billionen Yen (35 Mrd. Euro) geführt, der auf einen Rückgang der Arbeitsproduktivität zurückzuführen ist.

So gaben laut einer Studie im Jahr 2020 etwa 80 Prozent der befragten japanischen Heuschnupfenpatienten an, dass sie aufgrund der Symptome weniger produktiv seien. Einige Unternehmen, wie etwa der Systementwickler Japan Knowledge Space und Lafool, ein in Tokio ansässiges Unternehmen für Gesundheitsdaten, wollen der sinkenden Produktivität ihrer Mitarbeitenden mit „Heuschnupfenzuschüssen“ für verschreibungspflichtige Medikamente und Klinikbesuche entgegenwirken.

Klimawandel verschlimmert Situation

Laut der Japan Weather Association haben die für die Jahreszeit ungewöhnlich hohen Temperaturen die Situation für die Betroffenen noch zusätzlich verschlimmert, da die Freisetzung von Pollen in einigen Gebieten bis zu zwei Wochen früher als im letzten Jahr begann.

Nach Angaben des japanischen Umweltministeriums haben auch die langen Sonnenstunden und die hohen Temperaturen des letzten Sommers dazu geführt, dass die Zedernpollenbelastung in diesem Jahr stark gestiegen ist. Japans Umweltministerium warnte kürzlich, dass in Tokio und elf anderen Präfekturen die höchste Zedernpollenbelastung seit zehn Jahren zu erwarten sei.

Und auch hierzulande beeinflusst die Klimakrise laut österreichischem Pollenwarndienst die Saison: Frühblüher blühen früher, Spätblüher umso länger – dadurch wird die Pollensaison länger. Ähnliche Änderungen gibt es laut GeoSphere Austria auch bei den Jahreszeiten: Die Winter werden kürzer, der Frühling beginnt früher und der Herbst endet später.