Letzter Nürnberg-Ankläger Ferencz ist tot

Benjamin Ferencz, der letzte überlebende Ankläger der Nürnberger Prozesse gegen die NS-Kriegsverbrecher (1945–1949), ist im Alter von 103 Jahren gestorben. Das berichteten gestern US-Medien unter Berufung auf die Familie von Ferencz. Der US-Amerikaner fungierte 1947 als Chefankläger beim „Einsatzgruppen-Prozess“, bei dem am Ende 14 Angeklagte zum Tode verurteilt wurden.

Benjamin Ferencz
APA/AFP/Saol Loeb

„Heute hat die Welt eine führende Persönlichkeit auf der Suche nach Gerechtigkeit für die Opfer von Völkermord und ähnlichen Verbrechen verloren. Wir trauern um Ben Ferencz, den letzten Nürnberger Ankläger für Kriegsverbrechen“, teilte das US Holocaust Museum in einem Beitrag auf Twitter mit.

Der Harvard-Absolvent war selbst Soldat im Zweiten Weltkrieg, bevor er 1945 den Auftrag erhielt, Beweismaterial für Kriegsverbrechen der Deutschen zu sammeln. Im Zuge der Ermittlungen fand ein Mitarbeiter von Ferencz einen Aktensatz der Nazis, der unter anderem den Massenmord von Juden dokumentierte.

„Ich habe hier Massenmord“

„3.427 Juden, 50 Zigeuner oder was immer sie waren. Ich addierte die Zahlen mit einer Handrechenmaschine. Als ich bei einer Million angekommen war, sagte ich: genug. Mit einer Stichprobe nahm ich das nächste Flugzeug von Berlin nach Nürnberg, ging zu Telford Taylor (Hauptankläger, Anm.) und sagte, Herr General, wir müssen einen zusätzlichen Prozess ansetzen“, sagte Ferencz 2019 in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. „Ich habe hier Massenmord.“

Taylor wollte laut Ferencz zunächst nichts davon wissen, da das US-Verteidigungsministerium keine weiteren Mittel für noch einen Prozess freigeben werde. Doch der US-Jurist beharrte darauf: „Sie werden diese Massenmörder doch nicht straffrei ausgehen lassen? Na ja, sagte er (Taylor, Anm.), können Sie das dann zusätzlich übernehmen? – Ich sagte, sicher. – Okay, dann machen Sie das.“

24 Plätze für 24 SS-Männer

Ferencz wurde Chefankläger beim „Einsatzgruppen-Prozess“, einem von zwölf Nürnberger Nachfolgeprozessen. Im gleichen Saal saßen 1947 insgesamt 24 hochrangige SS-Männer auf der Anklagebank, denen der 27-jährige Staatsanwalt mehr als eine Million Morde vorwarf. Er habe 24 Angeklagte ausgewählt „aus dem lächerlichen Grund“, dass es nicht mehr Sitzplätze auf der Anklagebank gab, sagte er.

Insgesamt habe er 3.000 Namen gehabt, die Massenmord begangen haben sollen. Er nahm die Ranghöchsten und die Gebildeten ins Visier. „Viele hatten Doktortitel. Einer war sogar DDr. (Otto Rasch, Anm.). Der hatte das Massaker von Babi Yar zu verantworten, 33.000 Juden in zwei Tagen, am 29. und 30. September 1941.“

Schuldsprüche für alle Angeklagten

Bei der Urteilsverkündung saßen nur noch 22 SS-Männer auf der Anklagebank. Resch schied wegen Krankheit aus, einer beging Suizid. Alle anderen wurden schuldig gesprochen, 14 Todesurteile verhängt, aber nur vier davon 1951 vollstreckt. Später wurden die meisten zu Haftstrafen umgewandelt.

Nach Prozessende blieb Ferencz mit seiner Frau noch einige Jahre in Deutschland und wirkte an der Entwicklung der Entschädigungsgesetze der Bundesrepublik mit. Mit seiner Frau Gertrude und den vier Kindern kehrte er 1956 in die USA zurück.

Später schrieb der Jurist: „Das Konzentrationslager Buchenwald war ein Leichenhaus unbeschreiblichen Grauens. Es besteht kein Zweifel, dass ich durch meine Erfahrungen als Kriegsverbrechensermittler in den Vernichtungszentren der Nazis unauslöschlich traumatisiert wurde. Ich versuche immer noch, nicht über die Details zu sprechen oder nachzudenken.“