Luftaufnahme des Flüchtlingscamps Lipa in Bosnien
Reuters/Antonio Bronic
Flüchtlingscamp Lipa

Spindeleggers ICMPD weist Vorwürfe zurück

Pläne für das Flüchtlingscamp Lipa in Bosnien-Herzegowina haben zuletzt für Aufregung gesorgt: So soll in der 2020 errichteten Anlage ein Abschiebezentrum mit einem Gefängnis entstehen, wie berichtet wurde. Die NGO SOS-Balkanroute erhob zugleich den Vorwurf, Österreich finanziere den Gefängnisbau mit, als Partner des Projekts wurde in Medienberichten das von Ex-Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) geleitete Zentrum für Migrationspolitik (ICMPD) genannt – dieses bestreitet jetzt die Vorwürfe.

„ICMPD ist selbstverständlich nicht am Bau von Haftzellen oder Ähnlichem beteiligt“, betonte ein Sprecher der in Wien ansässigen Organisation mit insgesamt 19 Mitgliedsstaaten am Dienstag auf APA-Anfrage. Die Rolle von ICMPD beschränke sich auf das „Beschaffungswesen“ und die Kontrolle von Verträgen, wurde seitens des Migrationsvereins festgehalten.

Beteiligt sei ICMPD „an der Errichtung einer temporären Aufenthaltsunterbringung, die eine Erweiterung des bestehenden Temporären Aufnahmezentrums darstellt“, hieß es weiter. Sowohl die Planung des Vorhabens als auch das Management des Zentrums liege aber nicht bei ICMPD, sondern beim Sicherheitsministerium und der Ausländerbehörde (SFA) in Bosnien-Herzegowina.

NGO spricht von „österreichischem Guantanamo“

SOS-Balkanroute bekräftigte indes die bereits in der Vorwoche erhobenen Vorwürfe gegen die Anlage. „Ein hoher Zaun, auf jedem Schritt und Tritt Kameras, Fenster mit Gefängnisgittern und fast kein Tageslicht in den Zellen“, hieß es am Dienstag in einer Aussendung mit dem Titel „So sieht das österreichische Guantanamo in Bosnien aus“.

Die EU-Vertretung in Bosnien, das Fremdenamt Bosnien-Herzegowinas und der Bürgermeister von Bihac (die Anlage steht etwa 25 Kilometer entfernt) würden bestätigen, dass das Wiener Migrationszentrum „für den Bau der Haftzellen verantwortlich ist“, so SOS-Balkanroute. Das Anfang der 1990er Jahre von Österreich und der Schweiz gegründete ICMPD wird dabei als „ÖVP-nahes Institut“ bezeichnet.

Menschen nach illegalen Pushbacks ins Lager gebracht?

Laut der NGO kommen Personen in das Abschiebezentrum, die zuvor von der Polizei des Schengen-Neumitglieds Kroatien durch illegale Pushbacks nach Bosnien-Herzegowina gebracht werden.

Ein Betroffener gab laut SOS-Balkanroute an, dass er vier Tage in einer sehr kalten Garage bei nur wenig Wasser und Brot festgehalten worden sei. Ein anderer sagte, dass die kroatische Polizei Geld, Schuhe und Handys eingesammelt und verbrannt habe. Die Geflüchteten seien geschlagen und ins Camp Lia gebracht worden. „Fast alle Betroffenen berichten, nahezu ausnahmslos, von massiver Gewalt durch die Polizei“, so die Organisation, die daher eine sofortige Aussetzung von Dublin-Abschiebungen nach Kroatien forderte.

Luftaufnahme des Flüchtlingscamps Lipa in Bosnien
Reuters/Dado Ruvic
Ein Teil des Camps von oben – das Bild wurde im Jänner 2021 aufgenommen. Gleich nach der Öffnung musste es damals wieder geschlossen werden, es fehlten Strom und Wasser.

EU-Vertretung: Menschen höchstens 72 Stunden im Camp

„Von Pushbacks wissen wir nur aus Medienberichten und können diese daher nicht näher kommentieren“, hieß es vom ICMPD gegenüber der APA. Die Organisation verwies im Zusammenhang mit Camp Lipa auch auf Aussagen der EU-Vertretung und der Regierung von Bosnien-Herzegowina. Wie es von der EU-Delegation gegenüber dem Sender N1 hieß, bleiben Geflüchtete höchstens 72 Stunden in dem Camp. Danach würden sie ins Migrationszentrum bei Sarajevo gebracht.

Den betreffenden Personen werde in Bosnien-Herzegowina eine Unterbringung mit Schutz, Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung einschließlich psychosozialer Unterstützung zuteil, betonte die vom österreichischen Diplomaten Johann Sattler geleitete EU-Vertretung.

Bosniens Außenminister kalmiert

Bosniens Außenminister Elmedin Konakovic sagte bei einem Besuch im Camp Lipa am Wochenende, dass es keinen Grund zur Beunruhigung gebe. Der von Kritikern und Kritikerinnen als Gefängnis dargestellte Bereich sei „ein Raum für die kurzzeitige Internierung von Migranten, die sich einem Sicherheitscheck unterziehen müssen“, sagte der Minister. Die Lage im Camp Lipa sei „völlig unter Kontrolle“. Derzeit würden sich nur etwas über 300 Menschen dort aufhalten, so Konakovic nach Angaben der „Sarajevo Times“ (Onlineausgabe).

Mehrere kritische Stimmen aus Bosnien

Beim Lokalaugenschein war auch der Bürgermeister von Bihac, Elvedin Sedic, dabei. Dieser hatte in den vergangenen Tagen deutliche Kritik an dem Bauprojekt geäußert und von einer fehlenden Baugenehmigung gesprochen. Er fühlte sich ebenso übergangen wie der regionale Regierungschef Mustafa Ruznic. Kritik kam laut SOS-Balkanroute auch vom bosnischen Menschenrechtsminister Senad Hurtic. Dieser bezeichnete es als „degoutant, ein Gefängnis in einem Flüchtlingscamp zu bauen“.

Österreich zählt via IOM zu größten Geldgebern

Österreich zählt zu den größten Geldgebern des Projekts. Das Innenministerium bestätigte in der Vorwoche, dass es der Internationalen Organisation für Migration (IOM) insgesamt 821.672 Euro zur Verfügung gestellt hat. Davon seien 483.000 Euro für den Ausbau der Strom- und Elektrizitätsversorgung sowie des Wasser- und Abwassernetzes auf dem Gelände verwendet worden, um die Aufnahmefähigkeit für 1.500 Personen zu sichern und einen ganzjährigen Unterkunftsbetrieb zu ermöglichen.

Innenministerium: In Finanzierung nicht involviert

17.000 Euro seien für die Finanzierung eines aus dem Bestand des Roten Kreuzes ausgeschiedenen Krankenwagens aufgewendet worden, weitere 321.671 Euro flossen in die Anschaffung von 71 Wohn- und Schlafcontainern für die Camps Borici (36 Container) und Lipa (35 Container). Das Innenministerium sei aber „weder in die Konzeption noch in die Finanzierung oder in den Betrieb involviert“. Dieser Stellungnahme schloss sich die oberösterreichische Landesregierung an, die 300.000 Euro zum Bau des Zentrums beigesteuert hat.

Zunächst nicht an Wasser- und Stromnetz angeschlossen

Das Camp war im Sommer 2020 errichtet worden, um auf der Balkan-Route hängen gebliebene Geflüchtete aus dem Zentrum der nordbosnischen Stadt wegzubekommen. Nach der Eröffnung musste es von der IOM schon nach wenigen Monaten geschlossen werden, weil es entgegen Zusagen der bosnischen Behörden nicht an das Wasser- und Stromnetz angeschlossen wurde.

Hunderte Geflüchtete wurden so obdachlos und irrten im tiefsten Winter in der Gegend herum, was international großes Aufsehen erregte. Unter dem Eindruck der humanitären Krise sagte damals auch Österreich eine Mio. Euro an Unterstützung für die IOM zu. Nachdem zunächst Zeltlager aufgestellt wurden, begann Anfang 2021 der Bau eines neuen Flüchtlingscamps, das nun wegen seines angeblichen Gefängnisbereichs in der Kritik steht.