Doch nicht nur den russischen, sondern auch fossilen Importen will die grüne Ministerin den Rücken kehren. Zu groß sei im vergangenen Jahr die Verunsicherung vor allem in der österreichischen Industrie gewesen, so Gewessler. Es könne nicht sein, dass ein Mann im Kreml entscheide, ob die heimische Industrie produzieren könne oder nicht und dass die heimischen Haushalte Angst haben müssten, nicht mehr heizen zu können.
„Unabhängigkeit, Freiheit und Sicherheit wird es nur geben, wenn wir uns unabhängig gemacht haben von russischen Importen“, zeigte sich die Energieministerin überzeugt. Bereits Anfang April hatten Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) die Erarbeitung besagter Strategie in Aussicht gestellt.
Tanner: Sicherheit umfassend sehen
Die geltende Sicherheitsstrategie hatte der Nationalrat auf Basis einer Regierungsvorlage mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP, FPÖ und Team Stronach am 3. Juli 2013 in Form einer Entschließung beschlossen. Seither hat sich nicht nur mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine einiges geändert, weshalb die Sicherheitsstrategie nun neu aufgesetzt werden soll.
Man habe im verteidigungspolitischen Bereich gleich nach Beginn des Krieges mit den Vorarbeiten begonnen, so Tanner. Sicherheit müsse man umfassend sehen, das sehe man bei der Energiekrise, aber auch der Pandemie, so die Verteidigungsministerin. Die umfassende Landesverteidigung müsse ins Zentrum der Sicherheitsstrategie rücken, bisher sei diese vernachlässigt worden. Laut Gewessler gibt es für Österreich nur einen Weg: weiterhin auf den Ausbau von erneuerbaren Energien zu setzen.
NEOS: „Schlicht und ergreifend inakzeptabel“
Die Opposition monierte bereits nach der Ankündigung durch die Regierungsspitze eine fehlende Einbindung von Beginn an – stieß dabei aber in der Regierung offensichtlich nicht auf offene Ohren. „Es ist schlicht und ergreifend inakzeptabel, dass bei der Ausarbeitung einer neuen Sicherheitsstrategie nicht von Anfang an alle relevanten Akteure eingebunden werden“, sagte NEOS-Landesverteidigungssprecher Douglas Hoyos nach dem Ministerrat. „Ein derart wichtiges nationales Anliegen braucht einen nationalen Schulterschluss und eine breite Einbindung aller Akteure. Dazu gehören alle politischen Kräfte, also auch die Opposition, und Fachleute von Anfang an einen Tisch."
Wenn die Regierung sich weigere, werde eben NEOS eine breite öffentliche Diskussion ermöglichen. Es stehe freilich, so Hoyos, außer Frage, dass die österreichische Sicherheitsstrategie dringend überarbeitet gehöre. Wichtig sei aber nicht nur, dass Österreich eine neue Sicherheitsstrategie bekomme, sondern auch, wie sie erarbeitet wird.
„Es darf kein Alleingang von ÖVP und Grünen sein“, sagte der NEOS-Politiker. „Die Regierung darf nicht die Scheuklappen aufsetzen und die Sicherheitsstrategie allein im Hinterzimmer verhandeln.“ Und weiter: „Das können wir uns bei einem derart wichtigen Thema wie unserer Sicherheit nicht leisten.“
SPÖ will Sicherheitsstrategie „nicht einfach abnicken“
Der Wehrsprecher der SPÖ, Robert Laimer, kritisiert das Vorhaben ebenfalls. „Erst wird die Opposition ausgeschlossen, und dann soll sie das Papier abnicken, ohne in der Ausarbeitung beteiligt gewesen zu sein", zeigte er sich via Aussendung schockiert. „Die Regierung sollte nach mehr als drei Jahren eigentlich gelernt haben, wie parlamentarische Zusammenarbeit funktioniert.“
Mit Widerstand müsse daher gerechnet werden. Laimer habe auch schon mit Vertreterinnen und Vertretern der anderen Oppositionsparteien darüber ausgetauscht und man sei sich einig: „Sie stehen genauso zu ihren Worten und lassen sich als Nationalratsabgeordnete nicht von der Erarbeitung der Sicherheitsstrategie ausschließen.“
Auch für die FPÖ ist eine frühe Einbindung des Parlaments „unabdingbar“, bekräftigte FPÖ-Wehrsprecher Volker Reifenberger in einer Aussendung. „Gerade die Themen Sicherheit und Autarkie sind einfach zu wichtig, um sie nicht gemeinsam mit den Oppositionsparteien zu diskutieren.“ Reifenberger sorgt sich vor allem um die Neutralität: Mit der neuen Sicherheitsstrategie sei zu befürchten, dass ein Verfassungsbruch vereinfacht würde, so der FPÖ-Wehrsprecher.
Parlamentseinbindung bis Ende des Jahres geplant
Trotz Forderungen aus der Opposition will die Regierung zunächst Dokumente erarbeiten, die bis Ende des Jahres dem Parlament zur Debatte zugeleitet werden sollen, wie Tanner und Gewessler sagten. Es sei wichtig, dass die Vorarbeiten als Basis gesehen werden, meinte Tanner dazu gefragt. Bis Ende des Jahres sollen die Dokumente der Regierung dem Parlament zur Debatte zugeleitet werden, und sie halte das durchaus für sinnvoll. Selbstverständlich werde laufend über sicherheitspolitische Ableitungen diskutiert, Tanner verwies etwa auf diverse Ausschüsse im Parlament.
Sicherheitspolitik dürfe kein „parteipolitisches Mascherl“ tragen. Ziel sei es jedenfalls, die neue Sicherheitsstrategie auf eine „ganz, ganz breite Basis“ zu stellen. Gewessler sagte ebenfalls, dass es sinnvoll sei, einmal ein Dokument zu erarbeiten. Aber man werde einen guten, breiten Prozess aufsetzen, versicherte sie.