russische Soldaten in Bachmut
IMAGO/Evgeny Biyatov
Unterlagen im Netz

US-Leak zeigt Machtkampf in Moskau

Der Urheber der jüngst an die Öffentlichkeit gelangten US-Geheimdienstdokumente soll laut „Washington Post“ ein junger Mann sein, der auf einer US-Militärbasis gearbeitet hat. Die „New York Times“ berichtete indes unter Berufung auf die Unterlagen von einem Machtkampf in Moskau. Laut einem Militäranalysten legten sie zudem „gesundheitliche Herausforderungen“ von Russlands Präsident Wladimir Putin nahe.

Der „Washington Post“ zufolge teilte der Mann die geheimen Informationen in einer Gruppe der bei Videospielerinnen und -spielern beliebten Onlineplattform Discord. Die Person sei „Waffenliebhaber“ und auf einer Militärbasis beschäftigt. Das US-Verteidigungsministerium hat die Angaben bisher nicht bestätigt.

Die Gruppe bestehe aus zwei Dutzend Männern, die eine „gemeinsame Liebe zu Waffen, militärischer Ausrüstung und Gott“ verbinde, so die Zeitung, die ihren Bericht auf Interviews mit zwei Mitgliedern der Discord-Chatgruppe stützt. Die Person habe sich in den Chats „OG“ genannt und behauptet, die Dokumente von einer Militärbasis nach Hause gebracht zu haben.

Mitte März habe „OG“ aufgehört, Dokumente mit der Gruppe, die sich 2020 während der Coronavirus-Pandemie gegründet habe, zu teilen. „OG“ habe eine düstere Meinung von der US-Regierung. Er sei kein Whistleblower, der Missstände aufdecken wolle. Die von der Zeitung befragten Mitglieder sagten, sie wüssten den richtigen Namen von „OG“ und auch, wo er lebe, wollten das aber nicht verraten.

Disput zwischen Wagner-Chef und Minister

Auch wenn die Echtheit der Dokumente zum Teil in Zweifel gezogen wird, gibt es nach Ansicht des Pentagons „ein sehr ernstes Sicherheitsrisiko“. In den Unterlagen sollen etwa Details über Waffenlieferungen, Bataillonsstärken und andere sensible Informationen stehen. Wie die „New York Times“ am Donnerstag berichtete, werfen die Unterlagen auch ein Schlaglicht auf Querelen in Moskau. Die Machtkämpfe in der russischen Führung sollen umfassender sein, als bisher bekannt war.

Wagner-Chef Jewgeni Wiktorowitsch Prigoschin
Reuters/Yulia Morozova
Zwischen Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin und dem russischen Verteidigungsministerium soll es krachen

Laut „NYT“ beschuldigt der Inlandsgeheimdienst FSB das Militär, das Ausmaß der Opfer auf russischer Seite zu verschleiern, so die Zeitung am Donnerstag. Das Militär schrecke weiter davor zurück, schlechte Nachrichten in der Befehlskette nach oben zu übermitteln, heiße es in dem Dokument. Der FSB wiederum stelle in Diskussionen mit der russischen Regierung die Zahlen des Verteidigungsministeriums infrage.

Zudem offenbarten die neuen Dokumente Details über einen öffentlich ausgetragenen Disput zwischen dem Chef der Wagner-Söldner, Jewgeni Prigoschin, und Verteidigungsminister Sergej Schoigu über angeblich vom Militär zurückgehaltene Munition für die Wagner-Truppe. Dem Bericht zufolge soll Putin persönlich versucht haben, den Streit zwischen beiden zu schlichten. Das Treffen soll am 22. Februar stattgefunden haben, heiße es in einem der Dokumente.

Russland bestritt indes Streitigkeiten seiner Sicherheitsorgane. „Ich weiß nicht, worauf sich solche Meldungen stützen, aber ich bin bereit, die Glaubwürdigkeit und das Verständnis des Autors dafür, was in Russland wirklich vorgeht, in Zweifel zu ziehen“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag.

Selenskyj-Appell an IWF

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert bei der Tagung des Internationalen Währungsfonds (IWF), russisches Staatsvermögen für den Wiederaufbau der Ukraine zu verwenden.

„Wenn Putin seine Chemotherapie bekommt“

Aus den Dokumenten lassen sich laut dem Militäranalysten und Gardekommandanten des Bundesheers, Markus Reisner, auch Hinweise auf „gesundheitliche Herausforderungen“ Putins ablesen. Es gebe bei der Fortführung der Offensive der russischen Armee „interne Querelen“.

Generalstabschef Waleri Gerassimow versuche offensichtlich zu „sabotieren“, berichtete Reisner am Donnerstag im Ö1-Morgenjournal. Ein guter Zeitpunkt dafür sei, „wenn Putin seine Chemotherapie bekommt“.

der russische Präsident Wladimir Putin
APA/AFP/Gavriil Grigorov
Die Dokumente werfen erneut Fragen zu Putins Gesundheitszustand auf

Hinweise auf prekäre Lage der ukrainischen Armee

Reisner geht davon aus, dass die Dokumente inhaltlich weitgehend stimmen. Das sei „eine fatale Situation für die USA“. Aber die Auswirkungen seien weitreichender. Denn die Dokumente enthielten Hinweise, die die Situation der Ukraine „sehr prekär“ darstellten. So habe die ukrainische Luftabwehr offensichtlich nicht ausreichend Flugkörper für ihre Fliegerabwehrsysteme zur Verfügung.

Die russischen Streitkräfte würden es zudem schaffen, den Einsatz von Präzisionsbomben, die die USA geliefert hätten, zu „stören“ – und „offensichtlich“ komme es auch beim Abwurf „zu Herausforderungen, die man kaum lösen kann. Und das kann ja auch unter Umständen kriegsentscheidend sein“, so Reisner.

Biden sieht keine unmittelbare Gefahr

US-Präsident Joe Biden sah indes keine unmittelbare Gefahr durch das Datenleck. Nach seinem Wissen seien in den Unterlagen keine Echtzeitinformationen enthalten, die große Konsequenzen hätten, sagte Biden am Donnerstag. Er sei nicht besorgt über das Datenleck an sich, aber darüber, dass es dazu gekommen sei. Es laufe eine umfassende Untersuchung zu den Hintergründen des Datenlecks. Deshalb könne er sich derzeit nicht näher dazu äußern. Er betonte aber: „Sie kommen der Sache näher.“

NBC: Wagner wollte in Haiti aktiv werden

Der US-Sender NBC berichtete unterdessen unter Berufung auf die geheimen Dokumente über Bestrebungen der Wagner-Gruppe, in Haiti aktiv zu werden. Vertreter der Söldnertruppe hätten Ende Februar versucht, auf diskretem Weg in den Inselstaat zu reisen und der dortigen Regierung Hilfe im Kampf gegen die zunehmend mächtiger werdenden kriminellen Gruppierungen im Land anzubieten.