Jede dritte beschäftigte Person kann sich laut Arbeiterkammer (AK) nicht vorstellen, ihren aktuellen Job bis zur Pension ausüben zu können.
„Es wird immer intensiver gearbeitet, der Arbeitsdruck steigt“, sagte Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl heute bei einer Pressekonferenz. „Eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung ist der nächste logische Schritt.“
Die AK erneuerte damit ihre Forderung nach einer schrittweisen Arbeitszeitreduktion bei voller Bezahlung. Der ÖVP-Wirtschaftsbund kritisierte den Vorstoß.
„Gesunde Vollzeitarbeit“ bei 30 bis 35 Stunden
Eine „gesunde Vollzeitarbeit“ liege nach Ansicht der Arbeiterkammer bei 30 bis 35 Stunden. Der Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten ziehe sich durch alle Branchen. Anderl stützt sich dabei auf eine nicht repräsentative Onlineumfrage, an der rund 4.700 Personen teilnahmen.
Acht von zehn Befragten gaben dabei an, weniger arbeiten zu wollen. Jede zweite Teilzeitkraft gab an, sie würde mehr arbeiten, wenn Vollzeit anders definiert werden würde. „Besonders Frauen mit Kindern haben eine Mehrfachbelastung durch Erwerbsarbeit, Familie und Hausarbeit“, sagte Anderl. „Daher würde eine neue, gesunde Vollzeit ein wesentlicher Beitrag zur Gleichstellung von Frauen und Männern sein.“
Kein „Niedergang der Wirtschaft“
In Österreich werde länger Vollzeit gearbeitet als im EU-Durchschnitt, zudem würden viele unbezahlte Überstunden geleistet. Anderl erinnerte auch daran, dass die letzte gesetzliche Arbeitszeitreduktion in den 1970ern beschlossen wurde.
Seitdem sei die Produktivität aber enorm gestiegen, und damals wie heute sei vor dem „Niedergang der Wirtschaft“ gewarnt worden. „Es gab aber keinen Niedergang, unserer Wirtschaft, sie ist noch da“, so Anderl.
Anderl: Arbeitskräftepotenzial nicht ausgeschöpft
Mit Blick auf den Fachkräftemangel wies Anderl darauf hin, dass es ein noch nicht ausgeschöpftes Arbeitskräftepotenzial gebe. So seien derzeit 438.000 Personen aufgrund von Betreuungspflichten teilzeitbeschäftigt, würden aber gerne mehr arbeiten.
Auch durch eine bessere Wiedereingliederung von Müttern in den Arbeitsmarkt und der Forcierung des „zweiten Bildungsweges“ ließe sich der Fachkräftemangel lindern. Unternehmen, die bereits jetzt mit kürzeren Arbeitszeiten experimentierten, hätten zudem weniger Probleme, geeignete Fachkräfte zu finden.
Kocher: Sache der Sozialpartner
Von ÖVP-Arbeits- und -Wirtschaftsminister Martin Kocher forderte Anderl, ein neues Arbeitszeitgesetz auf den Weg zu bringen und dabei alle Sozialpartner einzubinden. Kocher selbst sieht die Sozialpartner in der Pflicht. Diese sollten die gesetzlichen Möglichkeiten nutzen, so der Minister zur APA.
Unverständnis bei Wirtschaftskammer
Auf Unverständnis stieß die AK-Forderung bei Wirtschaftskammer und ÖVP-Wirtschaftsbund. So würde eine generelle Arbeitszeitverkürzung den Arbeitskräftemangel weiter verschärfen. Eine Arbeitszeitverkürzung würde den Faktor Arbeit verteuern und zur Abwanderung von Betrieben ins Ausland führen.
Zudem erhöhe eine Arbeitszeitverkürzung den Druck auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die gleiche Arbeit in kürzerer Zeit zu leisten, warnten die Wirtschaftsvertreter.