Demonstranten in München anlässlich der Abschaltung der letzten 3 Atomkraftwerke in Deutschland
AP/Matthias Schrader
AKW vom Netz

Deutsches Atomzeitalter ist Geschichte

Mit der Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke ist in Deutschland nach mehr als 60 Jahren die Stromgewinnung aus Atomkraft zu Ende. Das AKW-Aus war von langer Hand vorbereitet worden, der Rückbau wird noch lange dauern. Am Samstag demonstrierten Gegner und Befürworterinnen der Kernkraft.

Die Meiler Isar 2 in Bayern, Emsland in Niedersachsen und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg waren die verbliebenen drei AKWs, die noch am Netz hingen. Sie wurden Samstagabend kurz vor Mitternacht abgeschaltet.

Die drei letzten deutschen AKWs hätten eigentlich schon Ende vergangenen Jahres vom Netz gehen sollen. Wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der dadurch ausgelösten Energiekrise beschloss die deutsche „Ampelkoalition“ jedoch, sie noch über den Winter weiterlaufen zu lassen. Als letztes ging nun am Samstag Neckarwestheim 2 nach Angaben des Betreibers um 23.59 Uhr vom Netz.

Langer Rückbau und offene Frage Endlagerung

Während die Debatte politisch in den vergangenen Tagen immer wieder schwelte, haben sich die Betreiber lange im Voraus auf den Stichtag vorbereitet. Die Leistung der Reaktoren wurde kontinuierlich gesenkt. Der Rückbau – insgesamt müssen noch mehr als 30 Meiler zurückgebaut werden – wird allerdings noch lange dauern. Auch die Frage der Endlagerung der radioaktiven Abfälle ist nach wie vor ungeklärt.

„Wir haben etwa drei Generationen lang Atomkraft genutzt in unserem Land und dabei Abfälle produziert, die noch für 30.000 Generationen gefährlich bleiben. Diese Verantwortung übergeben wir an unsere Enkel, Urenkel und noch viele weitere Generationen“, sagte die deutsche Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne).

Pfeifer (ORF) zum Aus der deutschen Atomenergie

ORF-Korrespondent Andreas Pfeifer meldet sich vom Atomkraftwerk Isar 2 in Bayern.

Erleichterung und Melancholie

Atomkraftgegnerinnen und -gegner sprachen dennoch von einem historischen Tag. Jasmin Duregger, Klima- und Energieexpertin bei Greenpeace in Österreich, sagte in einer Aussendung, es sei „ein riesiger Meilenstein in Richtung erneuerbare Energien und einer sicheren und grünen Energiezukunft. Gleichzeitig droht Atomkraft aber in anderen EU-Ländern, wie Frankreich, unter dem Scheinargument Klimaschutz eine Renaissance zu erleben.“ Die Umweltschutzorganisation forderte deshalb das Ende der Kennzeichnung von Atomkraft als grüne Energie und hat dazu bereits eine Klage gegen die EU-Taxonomie in Vorbereitung.

Atomkraftwerke in Deutschland

Der Chef des Energieversorgers PreussenElektra, Guido Knott, hingegen verspürte Melancholie. Für die Beschäftigten am Standort Isar 2 sei das Ende „ein sehr emotionaler Akt“. Die Vorstellung, dass die Anlage „dann nicht wieder ans Netz kommt, ist schon schwierig für die Kollegen“. Der Leiter des Kraftwerks, Carsten Müller, sprach von einem „letzten schweren Schritt“, die Anlage endgültig vom Netz zu nehmen. In den vergangenen Wochen „haben wir sehr großen Zuspruch bekommen, Rückhalt bekommen“, sagte Müller. Es habe ihn sehr gefreut, dass sich doch sehr viele Menschen wieder für die Kernenergie „positioniert haben“.

Demos für und wider

Kurz vor der Abschaltung gingen in mehreren Städten auch Gegner und Befürworterinnen auf die Straßen. Auf dem Odeonsplatz in München, beim AKW in Neckarwestheim und an der Brennelementefabrik in Lingen kamen Hunderte Menschen zu „Abschaltfesten“ zusammen. Aktionen gab es auch in Hamburg, Hannover und Freiburg.

Greenpeace Aktivisten in Berlin anlässlich der Abschaltung der letzten 3 Atomkraftwerke in Deutschland
APA/AFP/Odd Andersen
Atomkraft ausgestorben: Greenpeace feierte vor dem Brandenburger Tor

Greenpeace feierte in Berlin mit einem nachgebauten Dinosaurier mit der Aufschrift „Deutsche Atomkraft“ und „Besiegt am 15. April 2023!“ vor dem Brandenburger Tor. Dort hatten sich auch einige Menschen versammelt, um gegen die Abschaltung der Kernkraftwerke zu protestieren. Der Verein Nuklearia hatte in einem Aufruf angekündigt, ein positives Zeichen für Atomkraft setzen zu wollen. „Wir sehen die Kernkraft als besten Weg, unseren Wohlstand zu erhalten und gleichzeitig die Natur und das Klima zu schützen.“

Parteien gespalten

SPD und Grüne freuten sich über den Ausstieg. Die FDP bedauerte ihn hingegen. „Wir machen keinen Hehl daraus, dass wir uns beim Atomausstieg einen befristeten Weiterbetrieb für ein Jahr gewünscht hätten“, so die Fraktion auf Twitter. Dafür gebe es in der Koalition aber keine Mehrheit. Die FDP bekräftigte aber, dass die drei letzten Atommeiler nach ihrer Abschaltung betriebsbereit bleiben sollten, damit sie im Ernstfall schnellstmöglich reaktiviert werden können. FDP-Chef Christian Lindner hielt ein Comeback der Kernkraft aber „nicht für eine realistische Vorstellung“.

Die oppositionelle CSU im Bundestag sprach via Twitter hingegen von einem „schwarzen Tag für Bürger, Industrie und Klimaschutz in Deutschland“ durch das AKW-Aus. Auch eine Mehrheit für den Weiterbetrieb in der Bevölkerung habe die Koalition nicht zum Umlenken bewogen. In Umfragen der vergangenen Tage hatte sich eine Mehrheit der Deutschen gegen den Ausstieg zum jetzigen Zeitpunkt ausgesprochen.

Söder will in Bayern AKWs in Landesregie

Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will Atomkraftwerke wie den Meiler Isar 2 in Landesverantwortung weiterbetreiben und verlangt vom Bund daher eine Änderung des Atomgesetzes.

Bayern fordere vom Bund „eine eigene Länderzuständigkeit für den Weiterbetrieb der Kernkraft“, sagte Söder der „Bild am Sonntag“. Solange die Krise nicht beendet und der Übergang zu erneuerbaren Energien nicht gelungen sei, „müssen wir bis zum Ende des Jahrzehnts jede Form von Energie nutzen“.

Komplizierte Stilllegung

Die Reaktoren müssen nun weiter gekühlt werden. In den Tagen nach der Abschaltung werden die pro Kraftwerk 193 Brennelemente aus dem Reaktorkern in wassergefüllte Lagerbecken gebracht.

Danach kann nach und nach mit einem Rückbau der Anlagen begonnen werden. Die Brennelemente werden nach einer Abklingzeit in Atommüllzwischenlager an den Kraftwerksstandorten gebracht. Bis zu einer „grünen Wiese“ dürften dort aber etliche Jahre oder Jahrzehnte vergehen.