Getreidefrachter mit ukrainischem Getreide im Meer
APA/AFP/Ozan Kose
Ukraine

Getreidedeal auf wackeligen Beinen

Obwohl Russland und die Ukraine den von der UNO und der Türkei vermittelten Getreidedeal, der Hungersnöte in Afrika und Asien verhindern soll, erst kürzlich verlängert haben, steht das Abkommen derzeit auf wackeligen Beinen. Russland blockierte am Montag erneut kurzzeitig Inspektionen von Schiffen in türkischen Gewässern. Gleichzeitig sehen sich immer mehr östliche EU-Staaten durch den zollfreien Import großer Mengen ukrainischen Getreides bedroht und planen Importverbote.

Das ukrainische Ministerium für Restaurierung erklärte am Montag, das Getreideabkommen, das den sicheren Export von Getreide aus einigen ukrainischen Schwarzmeer-Häfen nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine ermöglicht, drohe zu scheitern. Russische Vertreter würden einen „inakzeptablen“ Plan für die Inspektion von Schiffen verfolgen, der „völlig im Widerspruch“ zu den Bedingungen der Initiative stehe.

„Zum zweiten Mal in den neun Monaten, in denen die Getreideinitiative läuft, wurde kein Inspektionsplan erstellt und kein einziges Schiff inspiziert. Das bedroht das Funktionieren der Getreideinitiative“, erklärte das Restaurierungsministerium auf Facebook.

RIA: Inspektionen wieder angelaufen

Auch von russischer Seite war am Dienstag von einer Unterbrechung der Inspektionen die Rede. Die vereinbarte Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine über das Schwarze Meer sei nach einer eintägigen Unterbrechung aber wieder angelaufen, meldete die russische Nachrichtenagentur RIA unter Berufung auf einen Vertreter des Außenministeriums in Moskau. Dieser machte die Nichteinhaltung vereinbarter Verfahren durch die Ukraine für die Unterbrechung am Montag verantwortlich.

Das aktuelle Abkommen läuft am 18. Mai aus. Moskau erklärte bereits letzte Woche, dass es möglicherweise nicht verlängert werde, wenn der Westen die Hindernisse für die Ausfuhr von russischem Getreide und Dünger nicht beseitige. Die Aussichten für eine Erneuerung des Getreideabkommens seien weiterhin „nicht so rosig“, bekräftigte der Kreml am Montag.

Mehrere Importstopps in EU geplant

In östlichen EU-Staaten sehen sich zudem immer mehr Landwirtinnen und Landwirte durch den im Zuge des Krieges ermöglichten zollfreien Import großer Mengen ukrainischen Getreides unverhältnismäßiger Konkurrenz ausgesetzt. Infolge des russischen Angriffskriegs exportiert die Ukraine weniger landwirtschaftliche Produkte auf dem Seeweg etwa nach Afrika, sondern nutzt den Landweg durch die EU. Dabei verbleiben Agrargüter oft in Nachbarländern wie Polen und Ungarn. Das sorgt dort für volle Silos und deutlichen Druck auf die Preise.

Die Slowakei hatte am Freitag den Verkauf von ukrainischem Weizen als Lebensmittel und Tierfutter untersagt und sich dabei auf die mutmaßliche Pestizidhaltigkeit des ukrainischen Weizens berufen. Am Montag wurde mitgeteilt, dass ein vorübergehendes Importverbot für ukrainisches Getreide und andere Güter wie Trockentierfutter, Saatgut und Hopfen verhängt wurde. Der Transit in andere Länder soll nicht betroffen sein.

Ungarn vermisst „sinnvolle EU-Maßnahmen“

Am Wochenende hatten Polen und Ungarn ähnliche Maßnahmen angekündigt, auch Bulgarien erwägt ein Verbot. Man handele „in Ermangelung sinnvoller EU-Maßnahmen“, so Ungarns Landwirtschaftsminister Istvan Nagy am Samstag. Auch Tschechien fordert eine EU-weite Lösung, individuelle Einfuhrverbote seien aber nicht sinnvoll, so eine Erklärung vom Montag.

der ungarische Agrarminister Istvan Nagy
IMAGO/Beata Zawrzel
Ungarns Landwirtschaftsminister Istvan Nagy forderte eine EU-weite Abstimmung

Insbesondere in Polen stelle die Situation auch ein politisches Problem dar, so der „Guardian“. Denn die regierende nationalistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die eigentlich seit Beginn des Krieges zu den wichtigsten Verbündeten der Ukraine gehört, sei auf die Unterstützung der ländlichen Wählerinnen und Wähler angewiesen und bereite sich auf Wahlen vor.

Ukraine sucht Gespräch mit Polen

Das polnische Embargo gilt auch für den Transit durch das Land, um zu verhindern, dass Getreidetransporte auf den polnischen Markt gelangen. Das ukrainische Landwirtschaftsministerium bedauerte den Schritt. Zwar befänden sich die polnischen Bäuerinnen und Bauern in einer „schwierigen Lage“, doch sei die Situation der ukrainischen Bauern angesichts des russischen Angriffskrieges noch weit schlechter.

Der ukrainische Landwirtschaftsminister Mykola Solskyj erklärte am Montag vor Gesprächen in Warschau, in einem ersten Schritt solle es um eine Öffnung des Transits der Güter über Polen gehen. Das sei „ziemlich wichtig und sollte bedingungslos getan werden. Und danach werden wir über andere Dinge sprechen.“

Die Gespräche zwischen der Ukraine und Polen werden einem Insider zufolge am Dienstag fortgesetzt. Ebenfalls am Dienstag wird der ukrainische Infrastrukturminister Oleksandr Kubrakow auch die Türkei besuchen, um den Status des Abkommens zu erörtern.

EU-Kommission kritisiert Importverbote

Auch die EU-Kommission sieht die von Ungarn und Polen verhängten Importverbote für Getreide aus der Ukraine kritisch. Eine Sprecherin der Brüsseler Behörde betonte am Montag auf Nachfrage, dass Handelspolitik unter die ausschließliche Zuständigkeit der EU falle und daher einseitig ergriffene Maßnahmen nicht akzeptabel seien.

Wehrschütz (ORF) zum Stopp des Getreideimports

Ungarn, Slowakei und Polen haben die Einfuhr ukrainischen Getreides untersagt. ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz ordnet die Auswirkungen dieses Stopps ein.

Man habe weitere Informationen angefragt, um die Lage bewerten zu können, hieß es. In schwierigen Zeiten sei es wichtig, alle Entscheidungen innerhalb der EU abzustimmen. Ein hochrangiger EU-Beamter sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass die EU-Abgesandten diese Woche die Verbote Polens und Ungarns erörtern würden.

Die EU-Kommission hatte im Februar vorgeschlagen, Zölle auf Importe aus der Ukraine ein weiteres Jahr auszusetzen. Einer erneuten Verlängerung müssen die EU-Staaten zustimmen. Derzeit sind die Handelserleichterungen noch bis Juni in Kraft, mit ihnen soll der Wirtschaft des Landes geholfen werden. Um negative Folgen für Landwirte aus der EU zu verhindern, ist allerdings ein neuer Schutzmechanismus vorgesehen, wie die EU-Kommission mitteilte. So sollen bestimmte Zölle im Zweifelsfall schnell wieder eingeführt werden können.

Ein LKW beim Abladen von Getreide
AP/Efrem Lukatsky
Aufgrund von logistischen Problemen wird ukrainisches Getreide in einigen EU-Ländern nicht weitertransportiert

Weltweite Unsicherheit

Die Vereinbarung zur Schwarzmeer-Getreideinitiative war unter Vermittlung der Vereinten Nationen und der Türkei im Juli 2022 zustande gekommen und sieht eine Freigabe der ukrainischen Häfen und einen Korridor im Schwarzen Meer für den Getreideexport vor. Russland hatte nach Beginn seines Angriffskrieges am 24. Februar 2022 monatelang ukrainische Getreideausfuhren blockiert.

Die Ukraine und Russland sind wichtige Lieferanten von Weizen, Gerste, Sonnenblumenöl und anderen Nahrungsmitteln für Länder in Afrika, im Nahen Osten und in Teilen Asiens. Vor Beginn des Krieges war Russland außerdem der weltweit größte Exporteur von Düngemitteln. Der Ausfall dieser Lieferungen nach der russischen Invasion im Februar 2022 trieb die Lebensmittelpreise weltweit in die Höhe und schürte die Sorge vor einer Hungerkrise in ärmeren Ländern.