Person mit einer Kippa
APA/AFP/dpa/Boris Roessler
Antisemitismus

Krisen befeuerten Verschwörungsmythen

Die Folgen der vergangenen und aktuellen globalen Krisen haben antisemitische Verschwörungsmythen befeuert. Das belegt der am Dienstag präsentierte Antisemitismus-Bericht des Parlaments. So sagten etwa mehr als ein Drittel der Befragten, dass Juden und Jüdinnen die „internationale Geschäftswelt“ beherrschten.

Nach 2018 und 2020 ist es der dritte Antisemitismus-Bericht, der im Auftrag des Parlaments durchgeführt wurde. Insgesamt wurden 2.000 Personen ab 16 Jahren in Österreich von Mitte Oktober bis Ende November des vergangenen Jahres telefonisch und online befragt.

Auch diesmal wurde die Gesamtstichprobe aufgestockt, indem fast 1.000 in Österreich lebende Menschen mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund in einer eigenen Stichprobe berücksichtigt wurden. Das Ergebnis: Teilweise jahrtausendealte Verschwörungsmythen haben wesentlichen Einfluss auf antisemitische Einstellungen.

Basiswissen zu Holocaust mangelhaft

Dabei müssen diese nicht einmal per se etwas mit dem Judentum zu tun haben. Aber auch andere Faktoren gibt es. So drücken Menschen mit höherem Bildungsgrad deutlich weniger Zustimmung zu antisemitischen Aussagen aus. Auch das Basiswissen über Jüdinnen und Juden ist entscheidend – etwa zur Anzahl der im Holocaust Ermordeten.

Nur 45 Prozent der in Österreich Lebenden wissen, dass rund sechs Millionen Jüdinnen und Juden im Holocaust getötet wurden. Ein knappes Viertel wollte oder konnte keine Angabe machen. Bei jenen, die eine falsche Antwortoption ausgesucht haben, wurde sehr viel öfter eine geringere Opferzahl vermutet (23 Prozent) als eine höhere (zehn Prozent).

Grafik zu antisemitischen Verschwörungsmythen
Grafik: APA/ORF; Quelle: IFES/Parlament

Verschwörungsmythen wuchern nach wie vor in Bezug auf den Holocaust. 36 Prozent fanden in der IFES-Studie, dass Juden und Jüdinnen heute „Vorteile“ aus der Verfolgung während des Nationalsozialismus ziehen wollten. Immerhin 19 Prozent stimmten der Aussage zu: „Es ist nicht nur Zufall, dass die Juden in ihrer Geschichte so oft verfolgt wurden; zumindest zum Teil sind sie selbst schuld daran.“ Elf Prozent fanden, dass die Berichte über Konzentrationslager und Judenverfolgung übertrieben seien.

Israelbezogener Antisemitismus

Weit mehr antisemitische Einstellungen fanden sich in der Aufstockungsgruppe mit Migrationshintergrund, wobei Projektkoordinator Thomas Stern betonte, dass es sich hier um keinen „monolithischen Block“ handle. Vor allem der israelbezogene Antisemitismus sei hier stärker vertreten. 62 Prozent meinten etwa, dass sich Israelis in Bezug auf Palästinenser nicht anders verhalten würden als die Deutschen im Zweiten Weltkrieg.

Der Aussage „Es ist nicht nur Zufall, dass die Juden in ihrer Geschichte so oft verfolgt wurden; zumindest zum Teil sind sie selbst schuld daran“ stimmte die Aufstockungsgruppe zu rund 40 Prozent zu. Unter den gesamten Befragten sind es hingegen 19 Prozent. Die Mehrheit stimmte der Aussage übrigens nicht zu (59 Prozent).

„Auf Krise folgt Antisemitismus“

Auch Ereignisse wie die Coronavirus-Pandemie und Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine samt ihren Folgen hätten sich auf antisemitische Vorurteile ausgewirkt. „Man könnte sagen, auf Krise folgt Antisemitismus“, resümierte Stern. Während die Pandemie und die Energieversorgung Unbehagen quer durch die Bevölkerung hervorriefen, gebe es eine Gruppe, die „überdurchschnittlich ausgeprägte Ängste in Bezug auf die Zuwanderung nach Österreich und die Spaltung der Gesellschaft“ äußerte.

Die Klimakrise spiele für diese Gruppe eine geringere Rolle als die Energiekrise, heißt es in der Studie. „Wer antisemitisch eingestellt ist, fällt in diese Gruppe, wobei sich die Hauptsorgen je nach Erscheinungsform des Antisemitismus noch einmal geringfügig unterscheiden“, so die Studienautoren.

Verschwörungsantisemitinnen eine etwa die gemeinsame Sorge über die Zuwanderung. „Wer um seinen Lebensstandard fürchtet, ist dem Verschwörungsantisemitismus sehr viel mehr zugeneigt, als Befragte, die in eine ökonomisch sichere persönliche Zukunft zu schauen glauben.“

Studienleiterin Eva Zeglovits hatte aber auch Positives zu berichten. So hätten Befragte von 16 bis 25 Jahren Antisemitismus durchaus in ihrem Umfeld identifizieren können – vor allem in sozialen Netzwerken, aber auch in deren eigenem Bekanntenkreis und in der Schule. Zudem scheinen sich Jugendliche und junge Erwachsene vom Verschwörungsantisemitismus weniger angezogen zu fühlen als die Älteren. Sie widersprechen der Vorstellung einer weltweiten jüdischen Wirtschaftsherrschaft am häufigsten (54 Prozent).

Zeitvergleich mit Ausnahmejahr 2020

Im Zeitvergleich fällt laut der Studie auf, dass das Jahr 2020 „mit seinem besonderen Kontext (insbesondere sei hier auf den Terroranschlag in Wien wenige Tage vor Beginn der Erhebung 2020 verwiesen) bei fast allen Fragen herausfällt“, heißt es in der Zusammenfassung des Berichts. In den Jahren 2018 und 2022 seien hingegen relativ ähnliche Antwortmuster zu beobachten.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), der auch Auftraggeber der Studie ist, bezeichnete den Antisemitismus ein weiteres Mal als Gefahr für die Demokratie. Es handle sich dabei auch um kein Phänomen politischer Randgruppen, sondern werde dort schlicht sichtbar. „Wir brauchen eine Vielzahl von Instrumenten und ein neues Denken“, sagte Sobotka. Auf die Frage, warum seine Partei in Niederösterreich dann mit der FPÖ regiere, antwortete er lediglich, dass jede Bewegung ihre Vergangenheit aufarbeiten müsse.

Antisemitismus in Österreich nimmt zu

Die Krisen der vergangenen Jahre haben antisemitische Verschwörungsmythen befeuert. Das ist das Ergebnis eines Berichts des Parlaments, der am Dienstag präsentiert wurde. Am stärksten zugenommen hat Antisemitismus im Onlinebereich.

Deutsch: „Erschreckend, aber nicht überraschend“

„Die Ergebnisse sind erschreckend, aber nicht überraschend“, reagierte Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien, gegenüber der APA. Die Studie sei „ein wichtiges Element im Sichtbarmachen des Antisemitismus“. Dass ein Drittel der Österreicher findet, dass Juden und Jüdinnen einen Vorteil aus der Nazi-Zeit zu ziehen versuchen, komme einer Verhöhnung gleich. „Es zeigt aber vor allem, dass es bessere Wissensvermittlung braucht – Wissen um die Schoah und Wissen über das Judentum selbst“, meinte Deutsch.

Gefahr geht laut dem IKG-Präsidenten aber nicht nur von Rechtsextremisten und Islamisten aus. „Antisemitismus gibt es auch in der Mitte der Gesellschaft, das zeigen die Daten eindringlich.“ Umso wichtiger sei es, „dass Kellernazis nicht politisch legitimiert werden wie zuletzt durch eine ÖVP-Zusammenarbeit mit der FPÖ in Niederösterreich“. Die stärkere Anfälligkeit für Judenhass unter türkisch- und arabischsprachigen Österreichern verdeutliche abermals, dass weder die Politik noch die Zivilgesellschaft auf diesem Auge blind sein dürfen.

Politik zeigt sich besorgt

Für Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) zeigt die Studie auf, „dass Antisemitismus auch aus der Mitte der Gesellschaft kommt“. Daher müssten neue Konzepte für die Erinnerungskultur geschaffen werden. Der Bericht zeige erneut, „wie wichtig der Kampf gegen jede Form des Antisemitismus noch immer ist“, meinte Eva Blimlinger, Antisemitismus- und Rechtsextremismussprecherin der Grünen.

Auch die SPÖ-Sprecherin für Erinnerungskultur, Sabine Schatz, zeigte sich ob der Ergebnisse besorgt. „An den Zahlen der Studie sehen wir aber auch, dass gerade unter Erwachsenen Antisemitismus weit verbreitet ist. Nur in den Schulen anzusetzen reicht also nicht“, hielt sie in einer Stellungnahme fest.

NEOS-Außenpolitiksprecher Helmut Brandstätter bezeichnete die Studienergebnisse als „überaus besorgniserregend“. Man habe bereits während der Covid-Pandemie gesehen, „wie schnell wieder gegen Jüdinnen und Juden polemisiert wird und dass antisemitische Vorurteile nach wie vor Nährboden finden. Hier gilt es, stets wachsam zu bleiben. Wir appellieren an alle, demokratiefeindlichen Bewegungen und jenen, die die Gesellschaft spalten möchten, entschlossen entgegenzutreten.“