Polizeisperre vor Ennahda-Zentrale in Tunis
Reuters/Jihed Abidellaoui
Tunesien

Opposition weitgehend ausgeschaltet

In Tunesien verschärfen die Behörden ihr Vorgehen gegen die Opposition. Die Polizei nahm am Dienstag drei weitere prominente Funktionäre der größten Oppositionspartei Ennahda fest, wie Vertreter der islamistischen Partei mitteilten. Zudem hätten Sicherheitskräfte mit einer Durchsuchung der Parteizentrale begonnen, und in sämtlichen Büros der Partei seien Zusammenkünfte verboten worden.

Auch die Zentrale des Oppositionsbündnisses Nationale Heilsfront, das aus Parteien und Protestgruppen besteht, wurde geschlossen, wie Partei- und Behördenvertreter der Nachrichtenagentur Reuters mitteilten. Erst am Montagabend war mit Ennahda-Parteichef Rached Ghannouchi der führende Gegner von Präsident Kais Saied festgenommen worden.

Ein Vertreter des Innenministeriums sagte, Ghannouchi sei auf Anordnung der Staatsanwaltschaft zum Verhör abgeführt und sein Haus durchsucht worden. Gegen den 81-Jährigen werde wegen „aufrührerischer Äußerungen“ ermittelt. Ghannouchis Anwälte erklärten, sie hätten keine Kenntnis über den Verlauf der Ermittlungen.

Ennahda-Parteichef Rached Ghannouchi
Reuters/Jihed Abidellaoui
Mit Rached Ghannouchi wurde der führende Oppositionspolitiker des Landes verhaftet

„Tunesien ohne politischen Islam Fall für Bürgerkrieg“

Ghannouchi hatte am Samstag auf einer Versammlung der Opposition gesagt: „Tunesien ohne Ennahda, ohne den politischen Islam, ohne die Linke oder irgendeine andere Komponente ist ein Fall für den Bürgerkrieg.“

Ghannouchi war in den 80er Jahren ein politischer Gefangener und ging in den 90er Jahren ins Exil. Während der Revolution in Tunesien 2011 kehrte er in seine Heimat zurück. Unter seiner Führung bewegte sich Ennahda in Richtung der politischen Mitte und trat mehreren Regierungskoalitionen mit säkularen Parteien bei. Nach der Wahl 2019 wurde er Parlamentspräsident.

Oppositionsführer in Tunesien verhaftet

In Tunesien hat die Polizei einen führenden Oppositionspolitiker festgenommen. Die Staatsanwaltschaft ermittle wegen „aufrührerischer Äußerungen“. Viele Expertinnen und Experten sehen die demokratische Entwicklung des Landes nach dem „arabischen Frühling“ in Gefahr.

Mit der Festnahme Ghannouchis hat die Verhaftungswelle von Oppositionellen in Tunesien einen neuen Höhepunkt erreicht. Treibende Kraft ist Präsident Saied. Er hatte 2021 das Parlament entmachtet und die Regierung durch von ihm ausgesuchte Minister ersetzt. Zudem vergrößerte er die Befugnisse des Präsidenten, sodass fast alle Macht in seinen Händen liegt.

Sicherheitskräfte vor dem Haus von Rached Ghannouchi
APA/AFP/Fethi Belaid
In den vergangenen Wochen wurden nach landesweiten Protesten mehr als 20 Oppositionelle und Aktivisten festgenommen

Warnungen vor Rückkehr zu Autokratie

Seine Gegner befürchten, Saied wolle den letzten demokratischen Staat in Nordafrika in eine Autokratie verwandeln und die demokratischen Errungenschaften der Revolution des „arabischen Frühlings“ vom Jahr 2011, die in Tunesien seinen Anfang nahm, zurückschrauben. Saied rechtfertigt sein Vorgehen damit, Tunesien aus der Krise führen zu wollen.

Vergangene Woche starb nach seiner Selbstanzündung aus Protest gegen den „Polizeistaat“ in Tunesien ein dort bekannter Fußballprofi an den Folgen seiner schweren Verbrennungen. Der 35-jährige Nisar Issaoui war zum Zeitpunkt seines Todes an keinen Verein gebunden, hatte aber früher in der ersten Liga gespielt.

In einem Facebook-Post kurz vor seiner Tat erklärte der Fußballer, er habe sich selbst zum „Tod durch Feuer“ verurteilt. „Ich habe keine Energie mehr. Lasst den Polizeistaat wissen, dass das Urteil heute vollstreckt werden wird“, schrieb er.

Tunesischen Medien zufolge entschloss sich Issaoui zu seinem extremen Schritt, nachdem ihm Beamte wegen einer Beschwerde über zu teure Bananen „Terrorismus“ vorgeworfen hatten. Issaouis Fall weckt Erinnerungen an die Selbstverbrennung eines jungen Tunesiers 2010, die den Auftakt für den „arabischen Frühling“ markierte.

Krisen wirkten sich auf Lebensstandard aus

Während Saied anfangs für seinen autoritären Kurs noch Unterstützung erhielt – stillschweigend selbst von der Opposition und dem mächtigen Gewerkschaftsbund UGTT –, ist davon jetzt nichts mehr übrig. Das Versprechen Saieds, die Zustände in dem Land zu verbessern, bewahrheiteten sich nicht, die globalen Krisen verschlechterten die Situation zusätzlich.

Die Inflation liegt bei über zehn Prozent, die Bevölkerung litt aber schon davor an den Folgen einer Wirtschaftskrise – zusätzlich befeuert durch die Pandemie und den Krieg in der Ukraine. Denn Tunesien ist stark von Öl- und Getreideimporten abhängig, wie die Nachrichtenagentur AFP schreibt.

Mehr und mehr Menschen machen sich deshalb auf den Weg nach Europa, um dort Arbeit und eine Perspektive zu finden. Tunesiens Führung setzt derzeit einzig auf Hilfe in Form eines Milliardenkredits des Internationalen Währungsfonds (IWF), um einen Staatsbankrott des Landes abzuwenden. Die Staatsverschuldung liegt bei mehr als 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.