Schüler während Matura in Turnhalle
APA/Robert Michael
Abitur retour

Deutsche Maturapanne sorgt für Empörung

Eigentlich hätten die Schülerinnen und Schüler des deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen (NRW) am Mittwoch Matura bzw. Abitur gehabt, doch eine technische Panne hat Hunderten Schulen keinen Download der zentralisierten Fragen erlaubt. Mit nur wenigen Stunden Vorankündigung wurde das „Abi“ deshalb verschoben – auf Freitag, jenen Tag, an dem die Bahn in Deutschland streikt und außerdem Musliminnen und Muslime einen ihrer höchsten Feiertage begehen. Zu allem Übel kursieren jetzt auf Social Media auch noch angebliche Prüfungsfragen.

„Stell dir vor, du bist jung und motiviert. Zunehmend steigt der Druck, etwas ‚aus dir machen zu müssen‘. Du bereitest dich vor und schläfst vor Aufregung kaum noch. Und dann das!“, fasste ein Twitter-User die IT-Panne rund um das Abitur in NRW zusammen. Kurz gesagt, der Traum oder Alptraum vieler Maturantinnen und Maturanten ist wahr geworden.

Rund 72.000 Schülerinnen und Schüler konnten ihre schriftliche Matura in den Fächern Biologie, Chemie, Ernährungslehre, Informatik, Physik und Technik nicht wie angenommen am Mittwoch schreiben, sondern, wie sie am Dienstagabend durch das Schulministerium erfuhren, nach derzeitigen Informationen erst zwei Tage später.

Filmdatei offenbar zu groß

Auslöser war ein „massives technisches Problem“, von dem die Behörden am Dienstag erfuhren. Die zentral gestellten Aufgaben waren nicht überall verlässlich herunterzuladen. Ursache dafür könnte Berichten von betroffenen Lehrerinnen und Lehrern zufolge ein Film gewesen sein. Die Datenmenge sei viel zu groß gewesen, das könnte die Hunderten Schulserver zum Absturz gebracht haben.

Andreas Tempel, Direktor einer Schule in der Stadt Solingen, erläuterte gegenüber dem Radio WDR-5 die Hintergründe: Für Naturwissenschaften sollte zum ersten Mal ein Film Anleitung dafür geben, einen Versuch aufzubauen. Schulleitungen und Verbände hätten jedoch schon vorher darauf hingewiesen, „dass man das am besten testen sollte. Das ist unterblieben, und wahrscheinlich ist es da jetzt bei stecken geblieben“, so Tempel.

„Die haben uns das erst gar nicht geglaubt“

Eine erste Mail sei schon am Dienstag um 15.30 Uhr an die Behörden geschickt worden, dass etwas nicht funktioniere. Abgesagt sei dann aber erst um 20.36 Uhr worden. „Viel zu spät“, so der Schulleiter zum WDR 5.

Man hätte die Schülerinnen und Schüler ja schleunigst informieren müssen, dass keine Matura stattfinde: „Die haben uns das erst gar nicht geglaubt. Wir haben dann nur gesagt: Ja, 1. April ist jetzt schon längst vorbei und sie sollten mal die Presse anschauen, was da gerade so passiert“, schilderte der Schulleiter dem Radio. Witze über die technische Panne in NRW nehmen auf Social Media nun jedenfalls gar kein Ende mehr, sogar Unternehmen sprangen auf den Zug auf und posteten Memes, um den Hype für ihre Reichweite zu nutzen.

Bahnstreik und Fastenbrechen

Neben zahlreichen Scherzen sind die Folgen jedoch aus mindestens ebenso vielen Gründen ernst. Am Freitag finden in ganz Deutschland Warnstreiks der öffentlichen Verkehrsmittel statt. Genauso wie in Österreich fahren auch in Deutschland die meisten Schülerinnen und Schüler mit Bahn und Bus in die Schule. Unter anderem kommt laut Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) der gesamte Regionalverkehr in der ersten Tageshälfte zum Erliegen.

Die Deutsche Bahn (DB) stellte ihre Fahrgäste jedenfalls bereits auf „erhebliche Einschränkungen“ ein. Wie die Tausenden Maturantinnen und Maturanten in NRW nun in die Schule kommen sollen, dazu gab es noch keine offiziellen Stellungnahmen.

Ein weiteres Ärgernis äußerte die muslimische Community in Deutschland. Genau von Donnerstag auf Freitag geht nämlich der islamische Fastenmonat Ramadan zu Ende. Der Fastenmonat ist eine der fünf Säulen des Islam und damit religiöse Pflicht. Sein Ende markiert das große Fest des Fastenbrechens Id al-Fitr, das mit vielen Freundinnen und Freunden und Familie gefeiert wird. Ähnlich wie im Christentum zu Weihnachten und Ostern werden kunstvolle Bäckereien und Süßigkeiten angefertigt, im Türkischen heißt das Fest deswegen Seker Bayrami, Zuckerfest. „Das wäre in etwa so, als wäre die Matura am Karfreitag“, hieß es dazu von der ORF-Religionsabteilung.

Datei mit angeblichen Prüfungsfragen kursiert

Zu allem Überfluss finden sich online nun auch noch Maturaprüfungsangaben aus NRW. Eine Twitter-Userin gab an, dass sie zwar nur Testfragen veröffentlicht habe, allerdings sei es „nur eine Frage der Zeit“, bis jemand die echten Fragen finden würde. „Also die Aufgaben liegen offen im Internet in einem Ordner auf einem Server, auf dem viel anderes lustiges Zeug läuft“, warnt die Userin. „Hoffentlich ist NRW mit Abschalten schneller.“

Die SPD-Fraktion beantragte für Mittwoch eine Sondersitzung im Schulausschuss des Landtags in NRW. Schulministerin Dorothee Feller (CDU) solle erklären, „wie sie ein rechtssicheres Abitur gewährleisten will“, sagte die schulpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Dilek Engin. „Eigentlich können sie (die Prüfungsfragen, Anm.) nicht mehr verwendet werden, da eine Geheimhaltung nicht hundertprozentig sichergestellt werden kann“, so Engin mit Blick auf die Prüfungsaufgaben.

NRW-Ministerpräsident: „Darf nicht passieren“

Die Sozialdemokratin warf der Ministerin eine schlechte Kommunikation vor, diese sei „über Stunden abgetaucht“ gewesen und habe die Betroffenen im Ungewissen gelassen über das weitere Vorgehen. „Ausbaden müssen es jetzt die Lehrkräfte und die Abiturienten“, sagte Engin. „Im Übrigen insbesondere die Schülerinnen und Schüler muslimischen Glaubens, die am Freitag das Zuckerfest feiern.“

Am Mittwoch entschuldigte sich Feller ausdrücklich bei den Betroffenen. Sie wisse, was die kurzfristige Entscheidung mitten in den Prüfungsvorbereitungen bedeute. „Das ist wirklich ärgerlich.“

Der Ministerpräsident von NRW, Hendrik Wüst (CDU), entschuldigte sich mittlerweile für die schwere Technikpanne. „Dass die Abiturprüfungen in NRW verschoben werden müssen, darf nicht passieren – ganz gleich, woran es gelegen hat“, schrieb Wüst am Mittwoch auf Twitter. Jetzt müsse sichergestellt werden, dass alle ihre Prüfungen „unter bestmöglichen Bedingungen“ ablegen könnten. Wüst forderte eine „gründliche Untersuchung der Vorgänge“.

Für Donnerstag sind Prüfungstermine in weiteren Fächern geplant. Diese können laut den Behörden stattfinden. Der Download der schriftlichen Abituraufgaben für die Prüfungen am Donnerstag „verläuft reibungslos“, teilte das Schulministerium am Mittwoch auf Twitter mit. Die Prüfungen könnten „wie geplant stattfinden“.