NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Kiew
Reuters/Gleb Garanich
Erster Besuch seit russischer Invasion

Stoltenberg besucht überraschend Kiew

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist am Donnerstag zu einem unangekündigten Besuch in die Ukraine gereist. NATO-Vertreter bestätigten Medienberichte, die zuvor Bilder von Stoltenberg im Zentrum von Kiew veröffentlicht hatten. Stoltenberg gilt als vehementer Unterstützer der Ukraine. Moskau bekräftigte sein Kriegsziel einer NATO-freien Ukraine.

Bei seinem ersten Besucht in der Ukraine seit dem russischen Einmarsch vor knapp 14 Monaten ehrte der NATO-Generalsekretär die gefallenen ukrainischen Soldaten an der Außenmauer eines zentralen Klosters. Treffen seien auch aus Sicherheitsgründen zunächst geheim gehalten worden, hieß es aus dem Verteidigungsbündnis. Am frühen Nachmittag gab Stoltenberg gemeinsam mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj eine Pressekonferenz.

Dieser sah im Besuch des NATO-Generalsekretärs ein Zeichen für die Bereitschaft des Verteidigungsbündnisses, ein neues, ehrgeiziges Kapitel bei den Beziehungen aufzuschlagen. Er habe Stoltenberg gedrängt, die „Zurückhaltung“ einiger Mitgliedsstaaten bei der Lieferung moderner Kriegsflugzeuge, Langstreckenwaffen und Artillerie zu überwinden.

NATO-Generalsekretär Stoltenberg und Ukraines Präsident Selenskij
Reuters
Stoltenberg (l.) gab gemeinsam mit Selenskyj eine Pressekonferenz

Selenskyj macht Druck zu NATO-Beitritt

Die Ukraine sieht ihre Zukunft in der NATO und kündigte im vergangenen Jahr einen Antrag auf eine beschleunigte Mitgliedschaft an. Die NATO-Staaten seien sich einig, dass Kiew Mitglied des Bündnisses werden sollte, teilte Stoltenberg im Februar mit. Allerdings sei das eine „langfristige Perspektive“.

Selenskyj erhöhte nun den Druck Richtung NATO-Beitritt. Er forderte einen klaren Zeithorizont für die NATO-Mitgliedschaft und Sicherheitsgarantien bis dahin. Entsprechend könnte der NATO-Gipfel im Juli, zu dem Selensykj bereits von Stoltenberg eingeladen worden war, „historisch“ sein.

Nun sei es auch an der Zeit, dass die Ukraine eine Einladung erhalte: „Es gibt kein einziges objektives Hindernis für die politische Entscheidung, die Ukraine in das Bündnis einzuladen, und jetzt, wo die meisten Menschen in den NATO-Ländern und die Mehrheit der Ukrainer den NATO-Beitritt unterstützen, ist es an der Zeit, die entsprechenden Entscheidungen zu treffen.“

Stoltenberg betonte am Donnerstag, dass der Ukraine ein Platz in der euro-atlantischen „Familie“ gebühre. Stoltenberg sicherte Selenskyj die Unterstützung der NATO zu und auch, dass NATO-Mitgliedschaft und Sicherheitsgarantien für die Ukraine auf dem NATO-Gipfel oberste Priorität haben werden.

Treffen für weitere Hilfen in Ramstein

Die Zusammenkunft mit Selenskyj war lange geheim gehalten worden. Bis Dienstagabend stand noch ein Treffen mit Tschechiens Präsident Petr Pavel in Brüssel auf Stoltenbergs Terminkalender. Dieses war möglicherweise ein Ablenkungsmanöver, denn der Termin mit Pavel wurde kurzfristig auf Mittwoch vorverlegt. Danach dürfte Stoltenberg in die Ukraine aufgebrochen sein.

Es wird erwartet, dass Stoltenberg von der Ukraine zum US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Deutschland weiterreisen wird. Dort findet am Freitag ein Treffen der internationalen Kontaktgruppe zur Koordinierung für Militärhilfe für die Ukraine statt. Dort wird auch der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow erwartet.

Koordinator der Unterstützung für Ukraine

Stoltenberg rief in den vergangenen Monaten immer wieder zu neuen Waffenlieferungen an die Ukraine auf. Er hatte einen wesentlichen Anteil daran, die Unterstützung der 31 NATO-Mitglieder zu sammeln und zu koordinieren. Die Organisation selbst stellte Kiew aber nur nicht tödliche Güter zur Verfügung, darunter Generatoren, medizinische Ausrüstung, Zelte und Uniformen.

Die USA und viele andere Mitglieder stellen bilateral und in Gruppen Waffen, Munition und Ausbildung für die ukrainischen Truppen bereit, aber die NATO als Ganzes möchte vermeiden, in einen Krieg mit der Atommacht Russland hineingezogen zu werden.

NATO-Chef Stoltenberg überraschend in Kiew

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist überraschend zu einem Besuch in der ukrainischen Hauptstadt Kiew eingetroffen. Bei seiner ersten Visite seit dem russischen Einmarsch vor knapp 14 Monaten ehrte Stoltenberg die gefallenen ukrainischen Soldaten an der Außenmauer des zentralen St.-Michaelsklosters.

Erst am Mittwoch kündigten die USA weitere Militärhilfe in der Höhe von 325 Mio. Dollar (rund 300 Mio. Euro) vor allem in Form von Munition an. Dänemark und die Niederlande wollen gemeinsam 14 Kampfpanzer vom Typ Leopard 2A4 beschaffen.

Kreml: NATO-freie Ukraine bleibt Kriegsziel

Der Kreml beeilte sich am Donnerstag mit seiner Warnung, dass die Ukraine nicht der NATO beitreten dürfe. Bei den unterschiedlichen und wechselnden Begründungen für die Invasion in die Ukraine hatte Russland immer wieder auf die Ausweitung des Militärbündnisses Richtung Osten hingewiesen. Dieses Argument wiederholte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Ein NATO-Beitritt der Ukraine würde „eine ernsthafte, erhebliche Gefahr für die Sicherheit unseres Landes darstellen“.

Der kürzlich erfolgte NATO-Beitritt Finnlands läutete eine Neuordnung der europäischen Sicherheitslandschaft ein und versetzte dem russischen Präsidenten Wladimir Putin einen schweren Schlag. Durch Finnlands Beitritt verdoppelt sich Russlands Grenze zur NATO.

Neue Truppen und Umstrukturierungen

Beide Seiten arbeiteten unterdessen an der Verstärkung und Umstrukturierung ihrer Truppen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigte an, neue Truppen für den Fronteinsatz vorzubereiten.

Das russische Militär dürfte laut britischen Geheimdienstinformationen in den besetzen Gebieten Umstrukturierungen durchführen. Eine Kreml-Meldung zu einem Putin-Besuch bei regionalen Kampftruppen am Dnipro deute darauf hin, dass aus regionalen Einheiten eine größere Dnipro-Kampftruppe zur Verteidigung der besetzten Gebiete im Süden gebildet wurde. Hintergrund dürften laut britischem Geheimdienst schwere russische Verluste sein.

Mit einer neuen Videokampagne wirbt das russische Militär indessen weiterhin um mehr Berufssoldaten für den Kampf. Interessierte werden in Werbespots damit gelockt, unter Beweis zu stellen, dass sie „echte Männer“ seien. Sie tauschten darin ein als trist beschriebenes Zivilleben gegen das Schlachtfeld ein. Es wird ein monatlicher Anfangssold von 204.000 Rubel (rund 2.280 Euro) geboten.