Ukrainische Einsatzkräfte bergen eine nicht explodierte russische FAB-500-Bombe
AP/Andriy Andriyenko
Ukraine

Russland setzt auf umgebaute Lenkbomben

Obwohl es den russischen Luftstreitkräften bisher nicht gelungen ist, in der Ukraine die Lufthoheit zu erlangen, bringen sie die Ukraine mit einer neuen Taktik in Bedrängnis. Russland dürfte Berichten zufolge zunehmend auf umgebaute Fliegerbomben setzen, die auch für eine größere Reichweite eingesetzt werden können. Die Ukraine pocht weiterhin auf die Lieferung westlicher Kampfjets – bisher vergeblich.

Nach Angaben der ukrainischen Luftwaffe fielen in den vergangenen Wochen bis zu 20 gelenkte Fliegerbomben pro Tag. Betroffen seien vor allem die Regionen von Cherson im Süden und im Grenzgebiet zu Russland und Belarus. „Die Russen werfen immer mehr dieser Bomben ab, weil ihre Vorräte an Raketen aufgebraucht sind. Es sind nur noch sehr wenige übrig, also sind sie auf billige Fliegerbomben umgestiegen“, sagte Jurij Ihnat, Sprecher der ukrainischen Luftstreitkräfte, gegenüber der Deutschen Welle (DW).

Erst kürzlich schrieb der US-Thinktank Institute for the Study of War (ISW), dass es sich dabei um eine Taktikänderung der russischen Streitkräfte handeln könnte, um das Risiko weiterer Flugzeugverluste zu verringern. Denn diese gelenkten Bomben können außerhalb der Reichweite der ukrainischen Luftverteidigungssysteme eingesetzt werden. Russische Su-35-Jets könnten diese Munition aus einer Entfernung von 50 bis 70 Kilometern von der Kontaktlinie einsetzen.

Eine nicht explodierte FAB-250-Bombe vor einem zerstörten Wohnhaus in Mariupol (Ukraine)
APA/AFP
Fliegerbomben können verheerende Schäden verursachen

Kostengünstiger Umbau der Bomben

Berichten zufolge kommen von russischer Seite zwei verschiedene Typen von Lenkbomben zum Einsatz. Seltener eingesetzt werde die modernere UPAB-1500B nicht zuletzt aufgrund ihrer hohen Produktionskosten. Häufiger kämen Bomben sowjetischer Bauart vom Typ FAB mit einem Gewicht von 500, 1.000 oder 1.500 Kilogramm zum Einsatz, die noch in großen Mengen zur Verfügung stünden.

Diese Bomben seien eigentlich ungelenkt, würden aber vergleichsweise kostengünstig umgebaut, so Fachleute. Die Produktionskosten pro Bausatz betragen umgerechnet knapp 22.000 Euro, berichtete die Nachrichtenseite Kyiv Independent unter Berufung auf russische Quellen. Ein Kalibr-Marschflugkörper mit einem 450-Kilogramm-Sprengkopf und einer Reichweite von bis zu 1.500 Kilometern kostet dagegen knapp sechs Millionen Euro.

Die Bomben erhalten Tragflächen und eine Satellitensteuerung und werden meist mit russischen Su-34 und Su-35 eingesetzt. Die umgebauten Bomben seien zwar schlechter als moderne Systeme, analysiert der Militärexperte des ukrainischen Thinktanks Zentrum für Sicherheitsstudien, Olexandr Kowalenko. Aber sie stünden in großer Menge zur Verfügung.

Ukrainische Flugabwehr mit geringen Chancen

Die derzeitige Flugabwehr der Ukraine kann sich kaum gegen diese Bomben wehren. „Die Flugabwehrrakete trifft nicht das Objekt selbst, sondern explodiert neben ihm und durchschlägt es mit Splittern“, sagte Ihnat. Das funktioniere bei einer Bombe meistens nicht. Die zuletzt von den USA, den Niederlanden und Deutschland gelieferten modernen Luftverteidigungssysteme reichten nicht aus.

Ukrainisches Flugabwehrsystem
APA/AFP/Yasuyoshi Chiba
Gegen russische Fliegerbomben kann die ukrainische Armee derzeit kaum etwas ausrichten

Zudem sinke der ukrainische Bestand an Kampfflugzeugen, berichtete der „Economist“ unter Berufung auf ein Dokument, das mutmaßlich Teil des US-Geheimdienstleaks ist. Umso mehr pocht die Ukraine – bereits seit Monaten – im Westen auf die Lieferung westlicher Kampfjets. Bisher erhielt die Ukraine aus dem Westen nur Kampfflugzeuge sowjetischer Bauart.

Kaum Aussicht auf westliche Kampfflugzeuge

Moderne Kampfflugzeuge, die mit Luft-Luft-Raketen mit größerer Reichweite operieren, könnten der Ukraine am besten gegen die Lenkbomben helfen, ist Militärexperte Kowalenko überzeugt: „Bomben sind sehr schwer zu treffen, einfacher ist es, den Träger selbst zu zerstören, also russische Flugzeuge.“

Westliche Kampfjets sind aber derzeit eher nicht in Sicht. US-Präsident Joe Biden schloss eine Lieferung im Jänner dezidiert aus. Auch beim Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe am US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Deutschland vergangene Woche gab es keine dezidierte Zusage aus dem Westen.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg räumte nur ein, dass nach über einem Jahr Krieg „neue Systeme“ für die Unterstützung der Ukraine diskutiert werden müssen. Es sei aber auch notwendig sicherzustellen, dass die bereits gelieferten Waffen weiter funktionierten.