Sophie Karmasin
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Prozessauftakt

Karmasin rechtfertigt sich vor Gericht

Der Betrugsprozess gegen Ex-ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin ist der erste seiner Art gegen eine Vertraute bzw. einen Vertrauten des ehemaligen Kanzlers Sebastian Kurz (ÖVP). Karmasin steht gemeinsam mit einem außer Dienst gestellten Abteilungsleiter im Sportministerium vor Gericht. Die Ex-Ministerin verantwortete sich zum Auftakt des Prozesses und plädierte am Dienstag auf nicht schuldig.

Karmasin steht wegen zweier verschiedener Komplexe vor Gericht:
Sie soll sich nach ihrem Ausscheiden aus der Politik Ende 2017 widerrechtlich Bezugsfortzahlungen erschlichen haben, indem sie Bediensteten des Bundeskanzleramts verschwieg, dass sie ihre selbstständige Tätigkeit nach ihrer Amtszeit als Familienministerin nahtlos fortgesetzt hatte. Inkriminiert sind 78.589,95 Euro, die Karmasin vom 19. Dezember 2017 bis zum 22. Mai 2018 zu Unrecht bezogen haben soll.

Der zweite Anklagekomplex betrifft drei Studien für das Sportministerium, für die Karmasin nach ihrem Ausscheiden aus der Politik den Zuschlag erhielt, indem sie laut Anklage zwei Mitbewerberinnen – darunter ihre frühere Mitarbeiterin Sabine Beinschab – dazu brachte, „von ihr inhaltlich vorgegebene und mit ihr vorab inhaltlich abgesprochene Angebote an die Auftraggeber zu übermitteln, um sicherzustellen, dass die ihr zuzurechnende Karmasin Research & Identity GmbH die Aufträge bekommen würde“, so die Anklageschrift.

Grundsätzlich steht jedem ehemaligen Mitglied der Bundesregierung eine Bezugsfortzahlung zu, da man während der Amtszeit einem Berufsverbot unterliegt. Für die Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung. Kommt es zu einem Schuldspruch, drohen Karmasin bis zu drei Jahre Haft. Ihre Zeit in Untersuchungshaft – 26 Tage – würden ihr angerechnet.

„Habe das auf die leichte Schulter genommen“

Karmasin wurde am Dienstag mehrere Stunden vom vorsitzenden Richter vernommen. Als der Vertreter der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) von seinem Fragerecht Gebrauch machte, nahm Karmasin ihr Aussageverweigerungsrecht in Anspruch. Aufgrund „der Traumata“, die sie im Zuge des Ermittlungsverfahrens erlitten habe, wolle sie keine Fragen der WKStA beantworten.

Karmasin bekannte sich – ebenso wie der Mitangeklagte – nicht schuldig. In Bezug auf die inkriminierten Bezügefortzahlungen habe sie zwar einen Fehler begangen, sich nach ihrem Dafürhalten aber nicht strafbar gemacht. Auch bezüglich der von der Anklage umfassten Studien für das Sportministerium habe sie keine Gesetze gebrochen.

Sophie Karmasin vor Beginn eines Prozess wegen Betrugs am Wiener Landesgericht
APA/Georg Hochmuth
Karmasin mit ihren Verteidigern Holm und Wess. Jilek und Adamovic vertreten die Anklage.

„Verzeihen Sie mir, wenn ich etwas nervös bin, aber meine vierwöchige Haft in diesem Gebäude hat mich schon einigermaßen beeindruckt“, so Karmasin einleitend. Nach ihrem Ausscheiden aus der Politik habe sie nicht in das Familienunternehmen zurückkehren können, das man aufgrund ihrer politischen Karriere zum Bedauern der Familie habe abgeben müssen, und aus einem in Aussicht gestellten Job sei nichts geworden.

Deshalb habe sie „sicherheitshalber Entgeltfortzahlung beantragt“, sagte Karmasin. „Ich habe das auf die leichte Schulter genommen“, räumte sie ein. Ihr „naives Verständnis“ sei gewesen, dass ein solcher Antrag mit einem möglichen zukünftigen Beschäftigungsverhältnis zu vereinbaren sei: „Rückblickend war das ein Fehler. Es tut mir leid. Aber ich habe das Doppelte des Bruttobezuges zurückbezahlt.“

„Auftraggeber hat mich explizit gebeten“

Mitte 2018 habe sie dann „ein Einfrauunternehmen“ aufgezogen und sich beruflich umorientiert, sagte Karmasin: „Ich habe ganz neu angefangen mit Verhaltensökonomie.“ Ihre neuen Ansätze seien im Sportministerium geradezu auf Begeisterung gestoßen: „Es war klar, dass ich ins Schwarze getroffen habe.“

Ein Sektionschef habe sich sehr für ihre Methodik interessiert und diese wissenschaftlich mit dem Thema Sport verbinden wollen: „Er hat mir signalisiert, dass er damit arbeiten und schnell in die Umsetzung kommen will.“ So sei eine erste Studie zum Thema Bewegung im Sport in die Gänge gekommen, und sie sei aufgrund ihrer Kompetenzen und Erfahrungen damit beauftragt worden – und zwar per Direktvergabe, wie die Ex-Ministerin feststellte.

Analyse: Karmasin vor Gericht

ORF-Reporterin Gaby Konrad meldet sich vom Straflandesgericht Wien. Sie erläutert die Position der Anklage gegen Ex-Familienministerin Karmasin.

„Das war für mich nachvollziehbar, weil ein Konzept unter 100.000 Euro so vergeben werden kann“, sagte sie. Bei einem Gesprächstermin im Ministerium am 5. April 2019 habe man sie dann allerdings gebeten, „als Dokumentationszweck zwei weitere Angebote für die Akten“ zu beschaffen: „Der Auftraggeber hat mich explizit gebeten, zwei vertrauenswürdige Unternehmen zu bringen und sie anzuleiten.“

Nur deshalb und nicht – wie angeklagt – wegen wettbewerbsbeschränkender Absprachen sei sie an ihre Ex-Mitarbeiterin Beinschab und eine weitere Meinungsforscherin herangetreten und habe „vermeintliche Angebote“ besorgt, sagte die Ex-Ministerin.

„Habe für Beinschab Angebot formuliert“

Die Vorgabe aus dem Ministerium „hat mich ein bisschen überrascht“, merkte Karmasin an. Sie habe sich aber „auf die formale nachträgliche Dokumentation“ eingelassen: „Den Auftrag hatte ich ja schon. Das war irrelevant für den Auftrag.“ Sie habe sich vom Sportministerium „einspannen lassen“, bedauerte die Angeklagte: „Im Nachhinein hätte ich die Bitte des Auftraggebers ablehnen sollen.“ Ihr, aber auch ihren beiden Berufskolleginnen sei ja bewusst gewesen, „dass dieses Projekt nicht an sie (die Konkurrenz, Anm.) gehen wird“.

Vonseiten des Ministeriums sei offensichtlich nicht recherchiert worden, warf Karmasin diesem vor. Eine kleine Recherche hätte nämlich ergeben, dass die beiden „Konkurrentinnen“ mangels Vorwissen nicht infrage gekommen wären und auch dass sie teils dieselben Büroräumlichkeiten wie Karmasin nutzten. „So ehrlich muss ich sein, ich habe dann für Beinschab das Angebot formuliert“, sagte Karmasin. Das sei aber alles passiert, nachdem sie den Auftrag aufgrund ihres Konzeptes und Preises bereits erhalten hatte, bekräftigte sie einmal mehr. „Im Nachhinein war das eine komplett unnötige Aktion, ich hätte dieser Bitte nicht nachkommen sollen.“

Richter: „Was war Ihre Leistung?“

Auf die Frage, warum sie Beinschab die Nachricht „Bitte nichts verrechnen, ich darf nichts verdienen“ gesendet hatte, antwortete Karmasin nur: „Ich bin mit diesem Thema leichtfertig umgegangen.“ Einen Vortrag, den Karmasin im Mai 2018 hielt, also im letzten Monat, in dem sie noch Bezüge bekam, habe sie erst im Juni verrechnet, wie ihr der Richter vorhielt. „Das hab ich nicht gemacht, um wen zu täuschen, sondern weil ich dachte, dass man das Datum einträgt, in dem man sich gerade befindet“, so Karmasins Rechtfertigung. Und weiters: „Ich bin keine Buchhalterin.“

Ex-Ministerin Karmasin vor Gericht

Der Betrugsprozess gegen Ex-ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin ist der erste seiner Art gegen eine Vertraute bzw. einen Vertrauten des ehemaligen Kanzlers Sebastian Kurz (ÖVP). Karmasin steht gemeinsam mit einem außer Dienst gestellten Abteilungsleiter im Sportministerium vor Gericht. Die Ex-Ministerin verantwortete sich zum Auftakt des Prozesses und plädierte am Dienstag auf nicht schuldig.

Die von ihr lukrierten Provisionszahlungen seien die Idee von Beinschab gewesen, behauptete Karmasin: „Im Jahr 2016 hat sie mich aktiv gefragt, ob sie Provision zahlen darf.“ Sie habe „dem zugestimmt“, wäre aber nicht selbst „auf diese Idee gekommen“. Auf die Frage des Richters „Was war ihre Leistung?“, antwortete Karmasin, sie habe Beinschab den ehemaligen Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, vorgestellt. Ansonsten habe Beinschab sie hin und wieder nach Rat gefragt, „aber ich habe mich inhaltlich nicht dafür interessiert“.

WKStA sieht „Scheinvergabeverfahren“

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sieht das deutlich anders. „Sie wollte immer mehr, hatte nie genug, und zahlen sollten es die anderen“, so Oberstaatsanwalt Gregor Adamovic in seinem Eröffnungsvortrag. „Es geht hier um Sozialleistungsbetrug der für Sozialleistungen zuständigen Ministerin“, sagte er.

Laut Adamovic fingen Karmasins „Delikte des Betrugs“ unmittelbar nach ihrer Zeit in der Politik an. Er forderte eine hohe Strafe, handle es sich doch um eine „Bewährungsprobe für den Rechtsstaat“, wenn eine Ex-Ministerin vor Gericht stehe. Adamovic warf Karmasin vor, die Studien für das Sportministerium in einem „Scheinvergabeverfahren“ ergattert zu haben. Zudem wäre ihre Praxis der unrechtmäßigen Absprachen „bis heute so weitergegangen“, wenn die Ankläger dem nicht ein Ende gesetzt hätten, so Adamovic unter Anspielung auf 21 gleichzeitig durchgeführte Hausdurchsuchungen, die am 6. Oktober 2021 im Rahmen der ÖVP-Umfragenaffäre stattfanden, darunter auch bei Karmasin.

Suppe von „cremig“ bis „dick“

Wiederholt war der WKStA vorgeworfen worden, zu wenig Substanz für eine Anklage gegen Karmasin zu haben. Adamovic wies das zurück, schon zu Beginn der Ermittlungen sei die Suppe „nicht dünn, sondern ziemlich cremig“ gewesen. Jetzt sei „die Suppe so dick, wenn man den Löffel auslässt, bleibt er stehen“. Dessen ungeachtet stelle sich Karmasin als Opfer dar.

„Ich wünsche Ihnen, dass Sie den Mut finden, Ihre Opferrolle aufzugeben und für Ihre Straftaten einzustehen.“ Denn Karmasin habe die „Sozialleistung“ – die Bezugsfortzahlung – nicht nötig gehabt. „Während der Zeit ihrer Bezugsfortzahlung hat sie sich eine Luxusvilla gebaut. Ist jemand mit so einem Vermögen bedürftig? Nein. Braucht so jemand Überbrückungshilfe? Nein. Hatte sie Anspruch darauf?“ Das könne man ganz einfach mit „sicher nicht“ beantworten.

„Handelte mit der Absicht, sich zu bereichern“

Karmasin habe letztlich rund 62.000 Euro der etwa 78.000 zurückgezahlt. Eine „tätige Reue“, die ihr Straffreiheit sicherstelle, liege dadurch nicht vor. „Karmasin hat auch erst zurückgezahlt, nachdem die Zeit im Bild darüber berichtet hatte“, obwohl sie seit 2018 vier Jahre Zeit gehabt hätte. „Sie handelte mit vollem Wissen und der Absicht, sich zu bereichern“, war sich der Oberstaatsanwalt sicher.

Als Belege dafür brachte er E-Mails von zahlreichen Nachfragen Karmasins bei einem zuständigen Beamten ein, ob sie etwas verdienen dürfe oder nicht. Dieser habe ihr mehrmals klar gesagt, dass sie in der Zeit der Bezugsfortzahlung nichts verdienen dürfe. Auch eine Nachricht von Karmasin an Beinschab, in der Karmasin klarstellte: „Ich darf nichts verdienen“, weswegen sie eine Rechnung erst zu späterem Zeitpunkt abrechnen wolle, sei ein Beleg dafür.

„WKStA ist falsch abgebogen“

Nicht weniger hart argumentierten die Verteidiger. „Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hat den Sachverhalt großteils richtig ermittelt. Rechtlich ist die WKStA aber großteils falsch abgebogen“, sagte Karmasins Erstverteidiger Norbert Wess.

Hinsichtlich der Studien für das Sportministerium seien die Aufträge an Karmasin längst offiziell vergeben gewesen, seine Mandantin habe sich vom Ministerium aber dazu überreden lassen, nachträglich eine Dokumentation anzulegen und „Vergleichsangebote von zwei vertrauenswürdigen Personen“ – darunter Beinschab – vorgelegt. „Vergleichsangebote sind zu einem absurden Formalismus mutiert“, sagte Wess. Da sei Karmasin „naiv“ gewesen und habe „im Nachhinein definitiv einen Fehler gemacht“, so Wess. Aber strafbar habe sie sich damit nicht gemacht. „Preisangemessenheit“ sei bei den Studien gegeben, vergaberechtlich alles in Ordnung gewesen. Auch bezüglich der Entgeltfortzahlung sei die WKStA „rechtlich falsch abgebogen“.

Der Vorwurf, dass Karmasin den Auftraggeber getäuscht habe, „geht sich hinten und vorne nicht aus“, sagte Wess. Von vornherein sei festgestanden, dass Karmasin den Auftrag bekomme. „Wo kein Wettbewerb geführt wird, kann auch kein Wettbewerb beschränkt werden.“ Der Verteidiger verlangte für seine Mandantin einen Freispruch. „Ich werde meine Mandantin nicht in einen Schuldspruch jagen, wenn ich überzeugt bin, dass in beiden Anklagepunkten der Tatbestand nicht erfüllt ist.“

Mit Karmasin steht eine erste Person aus dem politischen Umfeld von Kurz vor Gericht, Ermittlungen gegen weitere Ex-ÖVP-Funktionäre von Kurz abwärts sind anhängig. Der jetzige Prozess ist auf drei Tage anberaumt und hat noch nichts mit der Rolle Karmasins in der ÖVP-Umfragenaffäre zu tun, in die sie wesentlich eingebunden gewesen sein soll. Diesbezüglich sind die Erhebungen noch nicht abgeschlossen.