Telegram-Messanger auf einem Smartphone vor der brasilianischen Flagge
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Neonazi-Ermittlungen

Brasilien geht gegen Telegram vor

Ein brasilianisches Gericht hat die landesweite Sperrung der Messenger-App Telegram angeordnet. Die Betreiber des Onlinedienstes hätten sich geweigert, den brasilianischen Behörden Daten über Mitglieder von Neonazi-Gruppen auf Telegram bereitzustellen, sagte Justizminister Flavio Dino. Der Schritt wird als Teil der Maßnahmen des Landes gegen die zunehmende Gewalt an Schulen angesehen.

Das Gericht habe Telegram zu einer Geldstrafe von einer Million Reais (rund 180.000 Euro) pro Tag verurteilt, weil es Behördenersuchen im Rahmen von Ermittlungen zu Neonazi-Aktivitäten in Onlinenetzwerken ignoriert habe. Zudem sei die „vorübergehende Aussetzung“ des Onlinedienstes angeordnet worden, teilte das Gericht am Mittwoch mit.

„Es gibt Gruppen namens ‚Antisemitische Front‘ und ‚Antisemitische Bewegung‘, die in diesen Netzwerken aktiv sind, und wir wissen, dass sie im Kern der Gewalt gegen unsere Kinder liegen“, fügte er mit Hinblick auf eine Welle von Angriffen an Schulen hinzu.

Google und Apple müssen App sperren

Am Mittwoch erklärten mehrere Telegram-Nutzer und -Nutzerinnen, dass sie die Messaging-App nicht mehr nutzen könnten, nachdem die lokalen Betreiber dem Urteil nachgekommen waren. Auch Google und Apple wurden angewiesen, die App zu sperren.

Brasiliens Justizminister Flavio Dino
Reuters/Amanda Perobelli
Justizminister Flavio Dino kündigte am Mittwoch die Aussetzung von Telegram an

Laut dem Urteil des Bundesgerichts mit Verweis auf Polizeibehörden zeige Telegram die klare Absicht, bei den Ermittlungen nicht zu kooperieren. Die brasilianische Bundespolizei bestätigte am Mittwoch in einer Erklärung, dass der Versuch, Telegram zu blockieren, bereits im Gange ist.

Gewalt an Schulen nimmt zu

Die Entwicklung kommt zu einem Zeitpunkt, an dem das Land mit einer Welle von Angriffen auf Schulen zu kämpfen hat, darunter eine Attacke im November, bei der ein 16-Jähriger mit einem Hakenkreuz auf seiner Weste in der Kleinstadt Aracruz im Bundesstaat Espirito Santo vier Menschen erschoss und zwölf verwundete. Das Nachrichtenportal G1 berichtete unter Berufung auf Polizeiquellen, der Jugendliche habe mit antisemitischen Gruppen auf Telegram kommuniziert.

Messenger Telegram

Telegram steht seit geraumer Zeit in Kritik. Der Onlinedienst hat den Ruf, jeglichen Inhalt ohne Moderation zuzulassen. Die Größe von Gruppen und das Weiterleiten von Nachrichten sind so gut wie nicht beschränkt. Das hat vor allem während der Coroanvirus-Pandemie Akteure angezogen, die auf Plattformen wie YouTube und Facebook wegen Falschinformationen oder verhetzender Inhalte gesperrt wurden.

Seit dem Jahr 2000 gab es in Brasilien fast zwei Dutzend Anschläge oder gewalttätige Vorfälle in Schulen, die Hälfte davon in den letzten zwölf Monaten. Im März tötete ein 13-Jähriger einen Lehrer bei einem Messerangriff in einer Schule in Sao Paulo. Anfang April tötete ein Mann in einem Kindergarten in der südlich gelegenen Stadt Blumenau vier Kinder im Alter zwischen vier und sieben Jahren. In derselben Woche gab es zwei weitere, nicht tödliche Schulangriffe.

Nach Angaben der Bundesjustizbehörde in Espirito Santo hatten Ermittler Telegram nach Nutzerdaten von Mitgliedern zweier antisemitischer Gruppen auf der Plattform gefragt. Das Unternehmen habe nur Daten über den Administrator einer der Gruppen übergeben und war nach Einschätzung der Behörde nicht bereit, „bei der laufenden Untersuchung zu kooperieren“.

Soziales Netzwerk ein „Niemandsland“

Die brasilianische Regierung hat sich bemüht, die Gewalt an Schulen einzudämmen, und sich dabei insbesondere auf den angeblich schädlichen Einfluss sozialer Netzwerke konzentriert. Die Regulierung von Social-Media-Plattformen war ein wiederkehrendes Thema bei einem Treffen Anfang des Monats zwischen Präsident Luiz Inacio Lula da Silva, seinen Ministern, Richtern des Obersten Gerichtshofs, Gouverneuren und Bürgermeistern.

Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva
AP/Europa Press/A.Ortega/Pool
Lula will eine stärkere Regulierung von Social-Media-Plattformen

In seiner Rede bei dem Treffen am 18. April bezeichnete der Richter des Obersten Gerichtshofs, Alexandre de Moraes, soziale Netzwerke als „Niemandsland“, in dem Nutzer und Nutzerinnen immer noch mit Handlungen und Äußerungen davonkommen, die im wirklichen Leben illegal sind, und sagte, dass eine Regulierung notwendig sei. Auch Lula sprach sich für eine Regulierung aus.

Schon einmal Sperrung angeordnet

Letztes Jahr ordnete de Moraes eine landesweite Abschaltung von Telegram an, da das Unternehmen nicht mit den Behörden kooperiert habe. Er sagte in seiner Entscheidung, dass Telegram wiederholt Aufforderungen der Behörden ignoriert habe, einschließlich einer polizeilichen Aufforderung, Profile zu sperren und Informationen über einen Nutzer bereitzustellen, und gab Apple, Google und brasilianischen Telefongesellschaften fünf Tage Zeit, Telegram auf ihren Plattformen zu sperren.

Damals gab einer der Betreiber von Telegram eine Erklärung ab, in der er sagte, dass es sich um ein Missverständnis aufgrund einer veralteten E-Mail-Adresse gehandelt habe. Er entschuldigte sich anschließend beim Obersten Gerichtshof für seine Nachlässigkeit. Die Plattform wurde nicht abgeschaltet.

Der ultrarechte ehemalige Präsident Jair Bolsonaro und seine Verbündeten ermutigten ihre Anhänger und Anhängerinnen, Telegram nach dem Jänner 2021 beizutreten. Zu dem Zeitpunkt wurde das US-Kapitol von Anhängerinnen und Anhängern des früheren US-Präsidenten Donald Trump gestürmt. Trump wurde damals von der Nachrichtenplattform Twitter verbannt.